Sybil
Manchmal glaubte ich selbst nicht, was ich gerade im Begriff war zu tun. Aber alle Zweifel waren wie weggewischt. Ich hatte meinen Platz an Toms Seite gefunden und war deshalb nicht traurig, mein altes Leben zu verlassen. Auch wenn es bedeutete, von meiner Familien und meinen Freunden getrennt zu sein. Als Lizzy ihre Probleme mit ihrem Verlobten ansprach, wurde es mir deutlicher als je zuvor, dass ich sie ab jetzt nicht mehr persönlich unterstützen konnte. Was die ganze Sache nicht gerade einfacher machte. Ich ließ sie ausreden. Meine Überraschung und Erschrecken sah sie mir sicher an - ich hatte Pierre und sie nur einmal zusammen gesehen und hatte mir daher kein eigenes Bild über ihre Beziehung machen können. "Ich hatte gehofft, dass du genauso glücklich bist wie ich mit Tom. Natürlich werden auch wir schlechte Zeiten durchmachen, aber nach allem, was wir jetzt hinter uns haben, kommt es mir wie eine Kleinigkeit vor", sagte ich ihr ernst. "Zuerst einmal würde ich dir raten, nichts zu überstürzen und deine Zweifel ernst zu nehmen. Du bist eine eigenständige, selbstbewusste Frau, die auf keinen Mann angewiesen ist. Sprich mit Pierre über deine Gedanken." Ich hatte keine Ahnung, ob meine Ratschläge etwas bringen würden. Aber ich wollte auf keinen Fall, dass sie unglücklich in ihrer Ehe sein würde. Sie war vor der mit Henry Redvers weggelaufen, weil es einfach nicht ihre Welt war. Jetzt stellte sich anscheinend die Frage, ob ein französischer Schauspieler in London die bessere Wahl war. "Liebst du ihn?", fragte ich dann. Für mich war das der wichtigste Aspekt einer Beziehung. Gesellschaftliche Stellung, Geld oder Beruf traten dabei in den Hintergrund. Wenn Lizzy Pierre liebte, müsste sich alles andere doch regeln lassen. Vielleicht war ich aber auch einfach nur naiv und romantisch. Vielleicht, weil ich in Moment einfach so glücklich war, Tom gefunden zu haben. Unser Essen wurde serviert und ich nahm mir vor, mich nicht eher von Lizzy zu verabschieden, bis wir ihr Problem einigermaßen gelöst hatten.

Sybil
Unseren Lunch hatte ich mir eigentlich ganz anders vorgestellt. Anstatt einer problemlosen Verabschiedung für längere Zeit standen jetzt Lizzys Beziehungsprobleme im Raum, die wir wohl kaum heute Nachmittag lösen könnten. Ich war mir sicher, nächste Woche nach Irland auch viele Gedanken über Lizzy und Pierre im Gepäck zu haben. Dennoch gab ich mein bestes und war dabei ehrlich. Es würde ihr keinesfalls helfen, wenn sie auf meinen Rat hin Pierre heiratete und dann todunglücklich war. "Natürlich musst du dir sicher sein. Ich war mir auch für lange Zeit einfach nicht sicher, ob ich Tom heiraten sollte. Ich brauchte Zeit. Und eines Tages war es mir dann so klar, dass ich mich gefragt habe, wie ich so lange so blind sein konnte", erzählte ich ihr von mir, um ihr zu zeigen, dass Toms und meine Beziehung Zeit gebraucht hatte. Dass wir jetzt so glücklich waren, war lange Zeit undenkbar gewesen. "Du hast dich doch nie um gesellschaftliche Erwartungen geschert, oder? Warum beugst du dich dann der, dass du jetzt unbedingt heiraten musst?" Ich grinste sie kurz an. "Ich kenne Pierre leider zu wenig, um dir noch weitere Ratschläge zu geben, ob er der Richtige für dich ist. Ich kann nur sagen, dass er besser zu dir passt als Henry Redvers mit seinem Titel, dem Anwesen und den altmodischen Ansichten. Aber ich würde mir für dich wünschen, dass du auf dein Herz hörst" Ich hatte es getan und auch Edith. Dass unsere Männerwahl damit ein wenig ungewöhnlich verlaufen war, änderte daran nichts. Und ich war mir sicher, dass auch Lizzy ihren eigenen Weg gehen würde.

Jimmy
"Jimmy, da ist jemand für dich an der Tür", sagte Anna, als ich gerade mit Thomas eine Runde Karten spielte. Das Dinner war eben zuende gegangen und das hieß, dass wir jetzt frei hatten. Leicht verwirrt sah ich sie an, denn wer würde schon etwas von mir wollen? Thomas Blick spiegelte das gleiche wieder. Vor der Tür stand dann eine Frau in einem umwerfenden schwarzen Kleid. Erst auf den zweiten Blick erkannte ich Lizzy und sofort verzogen sich meine Lippen zu einem Grinsen. Noch bevor ich den Mund aufmachen konnte, fragte sie mich einfach geradeheraus, ob ich tanzen wollte. Und ob ich das wollte... "Mit einer so hübschen Frau jederzeit", antwortete ich deshalb genauso direkt und musterte sie. Im Gegensatz zu ihrem Outfit wirkten ihre Augen traurig und verloren. Irgendetwas schien passiert zu sein und sie brauchte anscheinend Ablenkung. Wie hätte ich sie also auch abweisen können? Es war das erste Mal seit vielen Tagen, dass wieder etwas in meinem Leben passierte. Darüber, warum sie mich zum Tanzen fragte und nicht ihren Verlobten, machte ich mir einfach gar keine Gedanken. Diese Chance musste ich nutzen, denn so schnell würde sie nicht mehr kommen. "Ich bin in fünf Minuten wieder da", sagte ich breit lächelnd zu ihr, bevor ich wieder nach drinnen verschwand. Thomas flüsterte ich nur zu, dass ich mit Lizzy ausgehen würde und er Carson nichts sagen sollte. Dann rannte ich nach oben, zog mich um, kämmte mir einmal die Haare und lief dann wieder zu Lizzy. Sie stand noch immer vor der Tür - es war also keine Wunschvorstellung gewesen. Ich bot ihr meinen Arm an. "Und wo möchtest du tanzen gehen? In den Blue Dragon?", fragte ich sie, während wir von Grantham House weggingen. Ich war noch nie dort gewesen - aber im Moment hörte man in London von nichts anderem. Es würde zu Lizzy passen, in diesem Kleid im angesagtesten Nachtclub Londons tanzen zu gehen, um es ihrem Verlobten so richtig zu zeigen."Du siehst übrigens toll aus" Ich zwinkerte ihr zu. Es war wie früher - und dann auch wieder nicht. Sie hatte einen Verlobten, aber sie wählte mich. Es machte die ganze Sache gleich noch spannender. Auch wenn sie sicher nicht darüber sprechen wollte, warum sie jetzt hier an meiner Seite war. Ich würde jedenfalls dafür sorgen, dass sie einen tollen, unvergesslichen Abend hatte.

Jimmy
Der Blue Dragon war zwar nicht weit von Grantham House entfernt, aber es war eine andere Welt. Schon von draußen drang die Musik heraus und dabei handelte es sich keineswegs um die klassische Musik, die man bei einer Tanzveranstaltung der Crawleys zu hören bekam. Es war schon jetzt großartig. Und noch viel besser, weil ich Lizzy an meiner Seite hatte. Natürlich nutzte ich es schamlos aus, dass sie anscheinend Streit mit ihrem Verlobten hatte. Aber genau das hatte sie ja von mir erwartet - warum sonst sollte sie mich extra aufsuchen und zum Tanzen bitten? Sie wusste, dass ich ihr nicht widerstehen konnte. Nicht, wenn man mir eine solche Gelegenheit auf dem Silbertablett servierte. Die Tanzfläche war bereits gut gefüllt, als wir hereinkamen. Breit grinsend sah ich meine Begleitung an. "Tanzen natürlich", antwortete ich ihr sofort, als die Musik schneller und lauter wurde. "Wenn ich bitten darf, Miss?" Ich hielt ihr meine ausgestreckte Hand hin. Es war zwar lange her, dass ich das letzte Mal tanzen gewesen war. Aber ich war mir sicher, den Laden hier ein wenig aufmischen zu können. Vor allem mit Lizzy, die nichts lieber wollte, als ihren Verlobten zu vergessen. Ich führte sie auf die Mitte der Tanzfläche. Und dann begannen wir zu tanzen. Ausgelassen, als ob es keinen Morgen geben würde. Ihr schwarzes Kleid leuchtete in dem gedämpften Licht und ich erkannte ihr Lächeln. Wie konnte ihr Verlobter sie einfach abweisen und ihr noch nicht einmal ein Kompliment über ihr Aussehen machen? Würde er uns jetzt sehen, er würde sich schwarz ärgern. Allein dieser Gedanke ließ mich noch besser tanzen.

Jimmy
Spätestens beim zweiten Lied merkte ich, wie Lizzy all ihre schlechten Gedanken losgelassen hatte und einfach im Hier und Jetzt lebte. Und Spaß hatte. Als Tänzer harmonierten wir beide wirklich gut zusammen und nachdem ich auch wieder in den Rhythmus gefunden hatte, wagten wir immer ausgefallener Tanzschritte. Ich wirbelte sie herum und es fühlte sich so an, als würde die Musik nur auf uns beide hören. Aber irgendwann - nach unzähligen Liedern und so vielen Drehungen, dass Lizzy eigentlich hatte schlecht werden müssen - sahen wir uns beide nur an und beschlossen ohne ein einziges Wort, dass es Zeit für einen Drink war. Eine Haarsträhne fiel wieder in meine verschwitzte Stirn und ich strich sie nachlässig nach hinten. Auch Lizzy sah mitgenommen aus, aber vor allem glücklich. Und das war doch das Wichtigste. Heute Abend vergaßen wir beide unser eigentliches Leben. Ich hob meinen bunten Drink - so etwas würden die Crawleys nie trinken - und nahm einen tiefen Schluck. "Ich bin immer wieder gern dein Retter in der Not", sagte ich ihr grinsend. Was auch immer das heißen mochte... Jetzt war nicht der Zeitpunkt, um nachzudenken. "Ich merke schon, dass du genauso gut tanzen kannst wie schauspielern" Und das meinte ich wirklich so und nicht nur, um mich weiter bei ihr einzuschmeicheln. Ich hatte das Gefühl, dass ich das gar nicht mehr so oft machen musste. Lizzy wusste, was sie an mir hatte. Und wenn es auch nur hieß, dass ich der Mann war, mit dem sie eine Nacht lang Spaß haben konnte.

Jimmy
Mit einem Zug leerte sie die Hälfte ihres Drinks. Vielleicht musste ich doch ein wenig mehr auf sie aufpassen - auch wenn ich ihr zutraute, einiges an Alkohol zu vertragen. Schließlich war sie Schauspielerin. Ich ließ es dahingestellt, wann sie genau auf mein Angebot zur Rettung zurückkommen wollte. Ich wollte unseren tollen Abend nicht damit verderben, eine Diskussion über ihren Verlobten anzufangen. Also trank ich meinen Drink genauso schnell wie sie und willigte sofort auf eine weitere Tanzrunde ein. Wahrscheinlich würde ich morgen dafür bezahlen, wenn meine Beine nach einer durchtanzten Nacht schmerzen würden, während ich um den Dinnertisch stehen musste. Durch die jetzt spätere Uhrzeit war es noch voller geworden, aber wir fanden unseren Platz. Dennoch rückte Lizzy verglichen zu eben jetzt deutlich näher an mich heran. Keine Frage, ich würde sie davon nicht abhalten. Aber ein wenig Abstand wahrte ich dennoch. Es war schon großartig genug, heute Abend so ausgelassen mit ihr tanzen und trinken zu können. Nach mehr zu fragen, kam mir zu riskant vor. Auch wenn es mich einiges an Selbstbeherrschung kostete, sie nicht einfach zu küssen, wenn sie so nah bei mir war. Zwischendurch kamen immer ruhigere Lieder, die einfach einen engen Tanz erforderten. In diesem Nachtclub war es keine Ausnahme, dass man sich dabei auch noch näher kam. Wer wusste schon, was mit Lizzy und mir heute Abend noch passierte. Wieder tanzten wir ohne Ende. Einmal, nach einem schnellen Stück, blieb ich stehen und rückte ihr Stirnband zurecht, wobei meine Hand wir aus Versehen ihre Wange streifte, die glühte. Aber ansonsten konzentrierte ich mich einfach darauf, besonders gut mit ihr zu tanzen, damit sie sich vollkommen fallen lassen konnte. Und irgendwann ließen uns die anderen Paare Platz in der Mitte der Tanzfläche, damit Lizzy und ich zeigen konnte, wie gut wir waren.

Jimmy
Wir mussten uns wieder nicht absprechen, als wir das Tanzen schließlich beendeten. Was vermutlich eine weise Entscheidung war, da meine Füße doch ein wenig schmerzten und ich ganz schön außer Atem waren. Trotzdem war es ein tolles Gefühl, den ganzen Abend mit einer Frau getanzt und dabei auch einen Eindruck hinterlassen zu haben. Gleichzeitig atmeten wir draußen vor dem Club tief durch. Bis es auf einmal stark regnete - ein Platzregen, der uns bis auf die Knochen durchnässen würde. "Rennen!", entschied ich ohne lange nachzudenken. Mir war so heiß, dass ein bißchen Abkühlung nicht schlecht sein würde. Ich griff nach Lizzys Hand und dann rannten wir lachend wie zwei kleine Kinder über die Straße, bis wir uns in einem Durchgang unterstellen konnten. Wir lachten immer noch, als wir dort standen und dem Regen zusahen. Ihre Hand hatte ich noch nicht losgelassen. Ich tat es erst, als ich sie hob, um eine nasse Strähne aus Lizzys Gesicht zu streifen. Aus meinen eigenen Haaren tropfte das Wasser, aber das war mir egal. Bei jeder anderen Frau hätte ich mich jetzt vorgebeugt und sie geküsst, aber irgendetwas ließ mich innehalten. Vielleicht, weil ich dachte, sie durch das Tanzen schon genug ausgenutzt zu haben. Vielleicht war ich aber auch einfach erwachsener geworden und verhielt mich wie ein echter Gentleman. Naja, daran glaubte ich nicht wirklich. Es waren zwar einige Jahre vergangen, seitdem ich sie das letzte Mal geküsst hatte. Aber noch heute bereute ich keine meiner waghalsigen Entscheidungen von damals. Ich ließ meine Hand, die noch vor ihrem Gesicht schwebte, wieder sinken und legte sie stattdessen hinter ihren Rücken. So sahen wir hinaus in den Regen, der kein bißchen nachließ.

Jimmy
Hatte sie meine Gedanken gelesen? Natürlich wollte ich sie küssen. Mehr als alles andere. Und jetzt war der perfekte Zeitpunkt dazu. Man könnte diese Szene fast schon als kitschig bezeichnen - der Regen, unser perfekter Abend davor, ihr schönes Kleid. "Schon wieder nicht?", ärgerte ich sie kurz und ließ die Hand auf ihrem Rücken weiter nach oben wandern. "Warum hast du mir das nicht schon früher gesagt? Dann hätte ich nicht so viel Zeit vergeudet" Ich grinste sie an. Ich hatte keine Ahnung, was mich eben davon abgehalten hatte. Vielleicht schreckte mich der Gedanke an eine Hochzeit ab. Ich fragte mich, was genau mit ihrem Verlobten heute Abend oder schon viel früher passiert war, dass sie ihn jetzt doch abblitzen ließ. Es musste auf jeden Fall mehr sein, als dass er vergessen hatte, ihr ein Kompliment für ihr Aussehen zu machen. Aber ohne jetzt weiter darüber nachzudenken beugte ich mich endlich nach vorn und küsste sie. Es war furchtbar nass, was nicht nur an unserem Kuss lag - aber mir war es egal. Weil Lizzy sicher in ihrem Kleid fror, zog ich sie noch ein Stück enger zu mir. Wie lange war es her, seitdem ich sie zuletzt geküsst hatte? Erst jetzt merkte ich, wie sehr ich es und auch sie vermisst hatte. Unsere Lippen wussten ganz genau, was sie tun mussten und so standen wir eine Ewigkeit vor dem Regen geschützt da und küssten uns.