#691

RE: ρяѕ

in Dowɴтoɴ Aввey 23.05.2017 17:47
von Rikki • 1.675 Beiträge

Jimmy
Da er ja anscheinend hier Wurzeln schlagen wollte, schubste ich ihn grob aus der Tür. Mit einem Knall ließ ich sie zuschlagen und schloss dann sofort ab. Wer wusste schon, auf welche Gedanken er noch kommen würde... Wütend raufte ich mir die Haare. Noch immer war es unvorstellbar, was Thomas da gerade getan hatte. Ich wusch mir das Gesicht, um endgültig das Gefühl von seinen Lippen herunterzuwaschen. Ich könnte jetzt sofort zu Mr. Carson gehen und Thomas würde ohne Zeugnis auf der Straße stehen. So wie du, hätte er dich mit Lizzy verraten. Wütend trat ich gegen mein Bett, beschloss aber dann, heute Nacht nichts mehr zu machen. Auch wenn die Tür abgeschlossen war, konnte ich die ganze Nacht über nur unruhig schlafen. Immer wieder wachte ich auf und glaubte Thomas neben mir stehen zu sehen. Am Morgen war ich dementsprechend noch schlechter gelaunt als ohnehin schon wegen dem Vorfall der Nacht. Ich wollte nicht mehr mit so einem Mann zusammen arbeiten. Aber hatte ich eine Wahl? Wütend zog ich mir meine Livree an - aber wegen meinem Verband und den noch immer schmerzenden Fingern, bekam ich meine Fliege einfach nicht gebunden. Gestern hatte ich noch Thomas gefragt, ob er das für mich machen würde. Heute ganz sicher nicht mehr. Ich lief nach unten, wo er zum Glück noch nicht war. "Daisy? Kannst du mir die Fliege binden?", fragte ich die erstbeste Person, die ich sah.

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#692

RE: ρяѕ

in Dowɴтoɴ Aввey 23.05.2017 17:57
von Mü~ • 1.639 Beiträge

Thomas
Ich tat in dieser Nacht kein Auge mehr zu. Viel zu traurig war ich über meine wie so oft unerwiderte Liebe und viel zu viel Angst hatte ich davor, was mich in Zukunft erwarten würde. Noch immer wie in Trance zog ich mich am nächsten Morgen an und erst etwas kaltes Wasser ließ meine Gedanken aufklaren – und damit auch die Frage, wie ich Jimmy heute gegenüber treten sollte. Vielleicht redet er in genau diesem Augenblick mit Mr. Carson... Aber es half ja alles nichts, ich musste nach unten. Und außerdem hatte ich immer noch einen Trumpf im Ärmel – und der hieß Elizabeth Allen. Aber im Grunde genommen wollte ich ihn gar nicht verraten.
Unten war Jimmy eine der ersten Personen, die ich sah. Er ließ sich in der Küche von Daisy seine Fliege binden. Diese Aufgabe wäre sonst mir zugefallen. Hat er Daisy gefragt, um zu beweisen, dass er auf Frauen – wenn auch auf solche – steht oder hat er wirklich einfach nur Hilfe mit seiner Fliege gebraucht? Ich rief ein etwas scheues "Guten Morgen" in Richtung Daisy und Jimmy. Daisy erwiderte meinen Gruß wie üblich, während Jimmy stumm blieb. Dieser Tag wird ein Spießrutenlauf werden, dachte ich, während ich ins Dienstbotenzimmer ging.

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#693

RE: ρяѕ

in Dowɴтoɴ Aввey 23.05.2017 18:11
von Rikki • 1.675 Beiträge

Jimmy
Ich lächelte Daisy öfter an als üblich und bedankte mich mehr als nötig. Ich richtete mich nicht auf, als Thomas in die Küche kam. Sollte er ruhig sehen, dass ich nicht so wie er war - dass ich Frauen mochte. Anstatt ihn zu grüßen, sah ich ihn nur wütend an. Zum Glück ging er gleich wieder weg. Um ein erneutes Zusammentreffen zu vermeiden, putzte ich meine Schuhe im Putzraum und ignorierte dabei den Schmerz in meiner Hand. Erst als Carson mich rief, um den Frühstückstisch zu decken, ging ich mit ihm nach oben. Ich hielt den größtmöglichen Abstand zu Thomas und sagte kein Wort, als wir allein waren. Sobald wir fertig waren, war ich wieder unten und setzte mich zum Frühstück einfach neben Charlotte und Anna. Sollte ich ihn bei Mr. Carson melden? Leider bestand dann nur die Gefahr, dass er mein kleines Geheimnis ausplaudern würde und wir beide auf der Straße standen. Warum hatte ich mich ausgerechnet ihm anvertraut?

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#694

RE: ρяѕ

in Dowɴтoɴ Aввey 23.05.2017 18:25
von Mü~ • 1.639 Beiträge

Thomas
Ich wollte mit Jimmy reden, aber natürlich ging er mir den ganzen Tag über aus dem Weg und lächelte der weiblichen Dienerschaft deutlich öfter zu als nötig. Ich hab's doch verstanden. Er mied mich, wo immer es ging – beim Tisch decken, beim Essen, beim Silber polieren. Erst als wir zwischen Tee und Dinner etwas Luft hatten und ich ihn im Dienstbotenzimmer Zeitung lesen sah, ergriff ich meine Chance, denn außer uns war niemand da. "Jimmy, bitte lass uns kurz reden", bat ich ihn und setzte mich, allerdings mit etwas Abstand zwischen uns. Er sollte sich nicht von mir bedrängt fühlen. "Ich... ich wollte dir nur sagen... Es tut mir leid, was heute Nacht passiert ist. Wenn man... so ist wie ich, dann muss man lernen, die Zeichen zu deuten, denn niemand spricht jemals über... darüber. Und ich habe was dich angeht, alles so falsch wie nur möglich gedeutet." Über mich selbst den Kopf schüttelnd sah ich in meinen Schoß. "Ich kann verstehen, wenn du deswegen zu Mr. Carson gehst."

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#695

RE: ρяѕ

in Dowɴтoɴ Aввey 23.05.2017 18:48
von Rikki • 1.675 Beiträge

Jimmy
Ich wusste, dass es irgendwann unmöglich sein würde, Thomas aus dem Weg zu gehen. Schließlich lebten und arbeiteten wir in einem Haus. Als er ins Dienstbotenzimmer kam, wollte ich gerade aufstehen und irgendwohin gehen, wo er nicht war - aber er kam mir zuvor. Seine Stimme klang leicht flehend. Ich legte die Zeitung zusammen. "Ich habe noch nicht einmal gewusst, dass ich Ihnen Zeichen gegeben habe", meinte ich leise, aber wütend. Ich wollte auf keinen Fall, dass auch nur irgendjemand davon erfuhr, was gestern Nacht passiert war. "Und ich muss wohl nicht sagen, wie sehr mich das anwidert, was Sie gestern getan haben. Ich kann sie bei der Polizei anzeigen" Kurz freute ich mich über seinen ängstlichen Ausdruck. Ich hatte es in der Hand, sein komplettes Leben zu ruinieren. Dann kam mir wieder Lizzy in den Sinn. Er hatte sogar angeboten, für mich Lady Mary zu erpressen. Wütend presste ich die Lippen aufeinander und sah mich kurz um, ob jemand kam. Eigentlich hatte ich nämlich überhaupt nicht mehr mit ihm reden wollen. "Ich werde nicht zu Mr. Carson gehen. Aber ich tue das nicht für Sie. Fassen Sie mich nur noch einmal an und ich schwöre Ihnen, dass sie ohne Zeugnis auf der Straße stehen", meinte ich dann ernst. Den ganzen Tag hatte ich darüber nachgedacht. Das einzig gute war, dass gestern niemand anderes mitbekommen hatte, was Thomas getan hatte. Sonst könnte derjenige ja denken, dass ich genauso war wie er - weil ich nichts tat. Ich würde ihn nicht verraten, weil ich wirklich noch in seiner Schuld stand. Und weil ich nicht dafür verantwortlich sein wollte, das Leben eines Mannes zu ruinieren. Auch wenn er so war wie Thomas. Ich könnte ihm aus dem Weg gehen und sonst immer noch etwas zur Polizei sagen. Das wusste er nur zu gut. Ich sah Thomas noch einmal kurz an und ging dann.

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#696

RE: ρяѕ

in Dowɴтoɴ Aввey 23.05.2017 20:17
von Mü~ • 1.639 Beiträge

Thomas
Während Jimmy sprach, konnte ich ihn nicht ansehen. Nur als er die Polizei erwähnte, sah ich kurz auf. Natürlich war ich erstmal erleichtert, dass er nicht zu Carson gehen wollte, aber das sagte er jetzt. Auf die lange Sicht hatte er mich in der Hand, und das gefiel mir ganz und gar nicht. Normalerweise war ich es, der andere Menschen mit solchen Dingen erpresste. Nun musste ich am eigenen Leib erfahren, wie sich das anfühlte. Ein Läuten schreckte mich aus meinen Gedanken auf und ein Blick auf das Klingelbrett verriet mir, dass es aus der Bibliothek kam. Warum musste ich ausgerechnet jetzt der einzige sein, der hier war? Seufzend stand ich auf, strich überflüssigerweise meine Haare und Kleidung glatt und ging nach oben.

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#697

RE: ρяѕ

in Dowɴтoɴ Aввey 23.05.2017 20:24
von Rikki • 1.675 Beiträge

Lady Sybil
Schnell versteckte ich meine Zeitschrift unter meinem Buch und musste mich nicht zwingen, nicht übermäßig zu lächeln. Morgen würde erneut ein Redner in Ripon auftreten. Ich war schon viel zu lange nicht mehr dort gewesen und sehnte mich, endlich wieder den steifen Regeln hier zu entgehen. Wenn es auch nur für einen Nachmittag war. Mary war seit Mr. Armstrongs Besuch sowieso ausgesprochen gereizt und auch meine Eltern schienen viel beschäftigt - ein Nachmittag nur für mich war da genau das richtige. Lächelnd sah ich auf, als sich die Tür öffnete und Thomas eintrat. "Thomas, könnten Sie Taylor bitte sagen, dass ich morgen Nachmittag nach dem Lunch gerne nach Ripon würde?", fragte ich ihn und stand dann auf. Besser, ich brächte meine Zeitschrift wieder nach oben, wo sie sicher war. Ich wollte nicht einmal, dass jemand sie zufälligerweise beim Putzen fand und sie dann über Carson in Papas Hände kommen würde. Ich ging näher auf Thomas zu und erkannte erst jetzt, wie er aussah. Oder besser gesagt, wie schlecht. Er war blass und sah wirklich aus, als könnte er jede Minute zu weinen anfangen. Auch hielt er seinen Blick gesenkt, aber das konnte mich nicht täuschen. "Ist alles in Ordnung, Thomas?", fragte ich vorsichtig und freundlich. Das machte mir wirklich Sorgen.

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#698

RE: ρяѕ

in Dowɴтoɴ Aввey 23.05.2017 20:30
von Mü~ • 1.639 Beiträge

Thomas
Nur Lady Sybil war in der Bibliothek. Gott sei Dank, denn sie war definitiv das netteste Mitglied der Familie. Sie war einer der wenigen Menschen, die immer nett zu mir waren. "Natürlich, mylady", antwortete ich auf ihren Wunsch, dem Chauffeur eine Nachricht zu überbringen, hielt den Kopf aber mehr gesenkt also sonst, damit sie nicht sehen konnte, dass ich mit den Tränen kämpfte. Zu meiner großen Überraschung erkundigte sie sich aber auch, ob alles in Ordnung sei. Überrascht sah ich auf. "Alles in Ordnung, mylady", nickte ich und versuchte zu lächeln, was mir vermutlich kläglich misslang. Sah ich wirklich so schlecht aus? Bei Lady Sybil war das in Ordnung, aber von jedem anderen unter diesem Dach wollte ich nicht ertappt werden, wenn ich mich gerade anstrengen musste, nicht zu weinen. Dass ich so gerührt von ihrer Anteilnahme war, machte die Sache nicht gerade besser.

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#699

RE: ρяѕ

in Dowɴтoɴ Aввey 23.05.2017 20:34
von Rikki • 1.675 Beiträge

Lady Sybil
"Das sieht in meinen Augen aber nicht so aus. Also, was ist los? Ich bin Ihr Freund, Thomas", sagte ich einfühlend und lächelte ihn zur Aufmunterung an. Sein Versuch zu lächeln nahm ich ihm auf keinen Fall ab. Ich konnte mich gerade noch davon abhalten, ihm den Arm zu tätscheln. Aber er sah im Moment einfach so verletzlich aus und tat mir unendlich leid. Irgendetwas schlimmes musste passiert sein. Da die Tür zur Eingangshalle noch hinter ihm geöffnet war, schloss ich sie wieder und drehte mich zu ihm um in der Hoffnung, dass er mir erzählen würde, was ihn so bedrückte.

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#700

RE: ρяѕ

in Dowɴтoɴ Aввey 23.05.2017 20:41
von Mü~ • 1.639 Beiträge

Thomas
Lady Sybil ließ nicht locker, und ich war mir nicht sicher, ob mich das freute oder nervte. Ich konnte einfach mit niemandem über diese Geschichte reden. Mit absolut niemandem. "Ich sollte Euch nicht damit belasten, mylady", sagte ich nervös, als sie auch noch die Tür schloss. "Die Wahrheit ist... ich kann mit niemandem darüber reden, ohne meine Arbeit oder sogar mein Leben zu riskieren", fuhr ich fort und sah sie entschuldigend an. Es war so nett von ihr und alles andere als selbstverständlich, dass sie mir helfen wollte, aber ich musste sie abweisen.

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#701

RE: ρяѕ

in Dowɴтoɴ Aввey 23.05.2017 20:48
von Rikki • 1.675 Beiträge

Lady Sybil
"Ich würde mir nur noch mehr Sorgen machen, wenn Sie gar nichts sagen, Thomas", meinte ich noch. Aber seine Antwort blieb vage - was mir aber am meisten Sorgen bereitete, war, dass er mit niemandem darüber reden konnte. Er musste sich schrecklich einsam fühlen und war wahrscheinlich deswegen so niedergeschlagen. Ich wusste nicht, wie ich ihm antworten sollte. Gab es denn wirklich niemandem, dem er sich anvertrauen konnte? Ich konnte ja verstehen, dass er es mir nicht sagen wollte. "Es tut mir so leid, Thomas. Wenn ich irgendetwas tun kann, dann lassen Sie es mich wissen, ja? ", bot ich deswegen an. Ich meinte es wirklich ernst. Und was konnte ich denn sonst tun? "Sie stehen sowieso noch in meiner Schuld, seitdem Sie mich an dem Nachmittag gedeckt haben, als ich unten in der Küche war", fügte ich dann noch mit einem aufmunternden Lächeln hinzu.

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#702

RE: ρяѕ

in Dowɴтoɴ Aввey 23.05.2017 20:53
von Mü~ • 1.639 Beiträge

Thomas
Lady Sybils Mitleid wirkte echt, und bemitleidet zu werden war kein Gefühl, das ich gut kannte. Aber es tat gut zu wissen, dass ich nicht jedem in diesem Haus vollkommen egal war. "Danke, mylady", sagte ich aufrichtig und lächelte jetzt schon etwas echter. Dass ich sie gedeckt hatte, als sie für den Kuchenwettbewerb gebacken hatte, war schon komplett aus meinem Gedächtnis verschwunden und fast hatte ich ein schlechtes Gewissen deswegen. Immerhin wusste sie es noch und sie war in keinster Weise verpflichtet, einem Bediensteten etwas zu schulden. Ich nickte ihr noch einmal lächelnd zu und verließ die Bibliothek wieder. Ein klein wenig fühlte ich mich tatsächlich besser. Vielleicht sollte ich auch öfter versuchen, so nett zu sein. Es kann anderen wirklich den Tag retten...

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#703

RE: ρяѕ

in Dowɴтoɴ Aввey 23.05.2017 21:00
von Rikki • 1.675 Beiträge

Lady Sybil
Ich sah ihm noch hinterher. Zwar wirkte er ein wenig besser gelaunt als vorher, aber noch immer wurde ich das Gefühl nicht los, dass es ihm ziemlich schlecht ging. Ich beschloss, ein Auge auf Thomas zu halten und lief dann nach oben in mein Zimmer, um meine Zeitschriften in der Schublade zu verstecken, die ich dafür vorgesehen hatte. Jetzt musste ich nur noch Papa erzählen, dass ich morgen wieder zu einem der Treffen fahren würde und alles wäre vorbereitet. Lächelnd legte ich Lizzys Brief, den ich heute morgen schon beantwortete hatte, zu ihren anderen und sah dann aus dem Fenster in den Nieselregel. Ich wünschte, ich könnte herausfinden, warum es Thomas so schlecht ging - aber ich hatte keine Ahnung, an wen ich mich wenden konnte. Der Gong hallte durchs ganze Haus und so wartete ich auf Anna.

Jimmy
"James? Hören Sie mir überhaupt zu?", fragte Carson und ich blinzelte ihn an. Natürlich hatte ich nicht zugehört. Meine Gedanken waren heute ganz woanders. "Sie beide sind seit heute Morgen schon wie benebelt", sagte er zu mir und Thomas, während wir nach oben gingen und alles eindeckten. Ich konnte ihm da leider nicht widersprechen, vermied einen Blick auf Thomas und nahm einen Stapel Teller, auch wenn das verdammt weh tat. Aber ich war ein Mann und keine Heulsuse, also deckte ich den Tisch, als wäre nichts.

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#704

RE: ρяѕ

in Dowɴтoɴ Aввey 23.05.2017 22:39
von Mü~ • 1.639 Beiträge

ZEITSPRUNG

23. Dezember

Lizzy
Ich hatte gefühlt erst gestern angefangen, nicht mehr jeden Tag an Jimmy zu denken und Sybil zu vermissen, als Mama an einem verregneten Samstag Mitte Dezember beim Lunch verkündete, wir hätten eine Einladung von den Crawleys erhalten, über Weihnachten und Neujahr bei ihnen zu bleiben. Meine freudige Reaktion war nicht gespielt, ich wollte Sybil endlich, endlich wiedersehen und Edith und überhaupt freute ich mich, wieder nach Yorkshire zu kommen und sicher war das Haus wundervoll geschmückt an Weihnachten und, und, und. Das einzige, oder besser gesagt: der einzige, der meiner Freude einen kleinen Dämpfer versetzte, war James Kent.
Die ersten Wochen nach unserer Heimreise im September waren hart gewesen. Ich hatte abwechselnd geweint, weil ich so traurig und verletzt war und die Hühner viel zu heftig mit ihrem Futter beworfen sowie in meine Kissen gehauen, weil ich gleichzeitig auch wütend war. Dass ich auch noch Jimmys Fliege irgendwann in meinen Sachen fand und sie nach ihm roch, hatte die Sache nicht besser gemacht. Zum Glück hatte ich wenigstens wieder Paula, mit der ich stundenlang unter einer großen schattigen Eiche vor unserem Haus sitzen und über Jimmy reden konnte. Sie war zweifellos der Auffassung, er sei ein Idiot und hätte keine Frau auf der Welt verdient, und wenn, dann höchstens unsere etwas griesgrämige und in die Jahre gekommene Köchin, Mrs. Davies. Sybil drückte sich in ihren Briefen – wir schrieben uns regelmäßig – zwar etwas gemäßigter aus, war aber derselben Meinung. Nur bis mein Herz das verstand, dauerte es noch bis November. Dann endlich schaffte ich es, seltener an ihn zu denken und mich, wenn es doch passierte, auf seine schlechten Eigenschaften zu konzentrieren. Bei einem meiner heimlichen Ausflüge in einen Pub lernte ich sogar einen jungen Mann aus dem Dorf kennen, der zwar nicht halb so gut aussah wie Jimmy, aber den gleichen Charme an den Tag legte und obendrein noch weniger von sich überzeugt zu sein schien.
Das erste jedoch, was nach meiner Heimreise angestanden hatte, war natürlich ein Besuch beim Arzt. Ich wusste nicht, wie ich die zwei Wochen bis zu meinem Termin überlebte, so voller Panik, ich könne ein Kind von Jimmy erwarten. Paula besorgte mir den Termin in einer Londoner Praxis auf ihren Namen und mit der Ausrede, eine gemeinsame Freundin zu besuchen, waren wir frühmorgens losgefahren. Nach der Untersuchung, die zum Glück nicht schmerzhaft gewesen war und mir Entwarnung gab, fiel ich Paula lachend und weinend gleichzeitig um den Hals. Über die Methoden, wie ich das Kind im Falle des Falles hätte loswerden wollen, wollte ich mir gar nicht erst Gedanken machen. Erst nach dem Arzttermin fühlte ich mich auch imstande, bei einer Freundin das Buch, das ich mir bestellt hatte, abzuholen, Married Love. Nicht, dass ich es momentan noch brauchte, aber ich wollte doch nie wieder in die gleiche Situation geraten wie an meinen letzten Tagen auf Downton und so verschlang ich es regelrecht, fand es interessanter, als ich jemals jemandem gestehen würde und behielt einiges im Hinterkopf.
Mein Leben hatte also wieder recht geregelte Bahnen angenommen, als die Einladung zur Weihnachtsgesellschaft kam. Ich hatte keine Ahnung, was passieren würde, wenn Jimmy und ich uns wiedersehen würden. Aber die Wahrscheinlichkeit, dass das passieren konnte war doch recht hoch, wenn ich nicht das Glück hatte, dass er zwischenzeitlich von Mrs. Patmore in den Backofen gesteckt worden war oder sich eine andere Stelle gesucht hatte. Wahrscheinlich würden wir uns entweder gegenseitig umbringen oder er würde früher oder später wieder in meinem Bett landen. Ich versuchte eine Nacht lang, herauszufinden, was mir lieber wäre, aber es gelang mir nicht. Gegen Ende meines letzten Besuchs war ich schon so gut wie verliebt in ihn gewesen, bis wir diesen ekelhaften Streit gehabt hatten, nachdem ich mir einfach nicht mehr sicher war, was ich empfand. Letztendlich musste ich mir eingestehen, dass ich ihn nach wie vor einfach viel attraktiver fand, als ich sollte.
Die ganze Zeit über stellte sich mir aber natürlich auch die Frage, was Jimmy über mich dachte. So, wie er bei unserem Streit geklungen hatte, war ich nur ein Zeitvertreib gewesen, und noch dazu ein langweiliger. Damit, dass er mich indirekt versnobt genannt hatte, konnte ich leben, denn ich wusste, dass es nicht so war. Aber war ich wirklich so langweilig und leicht zu haben? Und hatte er zwischenzeitlich eigentlich wirklich etwas mit einem Küchenmädchen angefangen und sie aufregender gefunden als mich? Nachdem klar geworden war, dass ich für einige Wochen nach Downton zurückkehren würde, stellte ich mir diese Fragen immer öfter. Große Hoffnungen, sie beantwortet zu bekommen, machte ich mir aber nicht. Selbst wenn Jimmy und ich jemals wieder ein Wort miteinander wechseln würden – lange, tiefsinnige Gespräche mochte er nicht und welche über Gefühle vermutlich noch weniger. Es war hoffnungslos. Wir waren hoffnungslos.
Der Tag der Abreise kam wie so oft schneller als erwartet. Paula bei ihren altmodischen Eltern zu lassen, tat mir wirklich weh, am liebsten hätte ich sie in meinen Koffer gesteckt und mitgenommen. Wir hatten mal wieder zusammen meine Kleider ausgewählt – für Weihnachten hatte ich ein tiefrotes Kleid aus Cashmere mit goldenen Stickereien ausgewählt und für Silvester ein dunkelgrünes Batiste-Kleid mit silbernen Details. In den letzten Monaten hatte ich deutlich mehr Interesse an Mode entwickelt als jemals in meinem Leben zuvor, was ich auf meine Aufenthalte in Downton schob. Mama und Paula jedenfalls schienen recht glücklich darüber zu sein, endlich mit mir Kleider kaufen gehen zu können wie mit jeder anderen jungen Frau auch.
Am Nachmittag vor der Abreise ging Paula nochmal die Kleider in meinem Koffer durch, während ich vor unserem großen Bücherregal stand und überlegte, was ich noch nicht gelesen hatte und mir über die Feiertage zu Gemüte ziehen könnte. Ich strich mit dem Zeigefinger an den Buchrücken entlang. Bei einem bereits etwas schäbig aussehenden, braun-grünen Einband hielt ich inne. Anne Brontë. Agnes Grey. Das war doch… Langsam und mit zitternden Fingern zog ich das Buch aus dem Regal und schlug es auf. Direkt zwischen den ersten beiden Seiten fand ich ihn: Jimmys Zettel. Die Tinte war nur leicht verblasst und die Ränder wellten sich etwas, aber ansonsten sah er aus wie an dem Mittag, an dem ich ihn gefunden hatte, nachdem Jimmy meinen Koffer in mein Zimmer gebracht hatte. Einige Sekunden lang starrte ich das kleine Stück Papier in meiner Hand an und mir stiegen Tränen in die Augen. Verdammt, nicht schon wieder, ermahnte ich mich, konnte es aber nicht lassen, mit den Fingerspitzen die Worte zu berühren, als wären sie Jimmys Haut. Schnell stellte ich mich aufrecht hin, holte tief Luft und wischte mir mit dem Ärmel meines Kleids über die Augen. Dann ging ich zielstrebig zum Kamin, warf den Zettel hinein und sah zu, wie sich die Flammen langsam durch ihn durch fraßen. Nimm das, du Idiot. Sofort fühlte ich mich besser und ging zum Regal zurück, um Agnes Grey wieder an ihren Platz zu stellen und mir, ohne noch großartig darüber nachzudenken, zwei neue Bücher herauszunehmen.
Am nächsten Morgen gab es den üblichen tränenreichen Abschied von Paula. Ich entschuldigte mich tausendmal dafür, dass wir zum ersten Mal seit fünf Jahren die letzten Wochen des Jahres getrennt sein würden, während sie versuchte mir klarzumachen, dass Jimmy mich niemals glücklich machen würde und ich mich auf keinen Fall nochmal auf ihn einlassen sollte, sondern abwarten, wie sich die Geschichte mit Elliot – dem Mann aus dem Pub – entwickeln würde. Ich versicherte ihr, nichts Unüberlegtes zu tun, aber neben Jimmy war Elliot eben doch recht langweilig, wie mir mit der Zeit auffiel. Und viel weniger verboten. Nach einer halben Stunde schaffte ich es endlich, ins Auto einzusteigen, und nachdem wir uns noch so lange wie möglich zugewunken hatten, musste ich nun die nicht gerade kurze Fahrt von Leicestershire nach Yorkshire allein mit meinen Gedanken verbringen. Ich wechselte ab und zu ein paar Worte mit meinen Eltern, aber im Großen und Ganzen wurde ich mit jedem Kilometer, den wir uns Downton näherten, nervöser. Verdammt, verdammt, verdammt. Da war ich mir monatelang sicher, dass ich über ihn hinweg war, und dann wurde ich beim bloßen Gedanken an ein Wiedersehen mit ihm fast wahnsinnig. Er wird mir wahrscheinlich bald die Autotür aufhalten, oh Gott! Als das Haus schließlich in Sicht kam, blieb mein Herz fast stehen und je länger wir die Auffahrt herauffuhren, desto deutlicher wurden die Personen, die vor der Tür standen. Innerlich fluchend setzte ich mich aufrechter hin und strich nervös mein Kleid glatt. Mama versuchte noch erfolglos, eine abtrünnige Locke wieder in meiner Frisur zu verstauen, doch dann hielt das Auto schon. Und ich musste als erste aussteigen. Ich sah Jimmy kurz durch die Scheibe an, während er die Tür öffnete – er sah noch genauso aus wie vor einem viertel Jahr, was in seinem Fall bedeutete: zu attraktiv für jede Frau mit schwachem Willen. Während ich ausstieg, schaute ich nur zu Cora und Robert, die aus der Tür gelaufen kamen und schließlich zu Sybil, die uns kurz darauf auch entgegen kam. Ich umarmte sie sofort und konnte einfach nur strahlen – es war so schön, wieder hier zu sein. Jimmy hin oder her. Ich würde mir Weihnachten sicherlich nicht von einem Diener verderben lassen.

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#705

RE: ρяѕ

in Dowɴтoɴ Aввey 24.05.2017 12:53
von Rikki • 1.675 Beiträge

Jimmy
Weihnachten war die Hölle. Mrs. Patmore war seit Wochen mit dem großen Dinner für die Familie und auch für die Dienstboten beschäftigt und manchmal traute man sich gar nicht in die Küche, so schnell rastete sie aus. Mrs. Hughes scheuchte die Mägde durch jedes einzelne Zimmer, um es für die Gäste gründlich zu putzen. Und Carson hatte Thomas und mich dazu verdonnert, das beste Silber zu polieren. Ich hatte gar keine Zeit, mir Gedanken darüber zu machen, dass Elizabeth Allen wieder mir ihren Eltern nach Downton kommen würde. Dass ich sie nie wiedersah, war reines Wunschdenken gewesen. Zum ersten Mal machte mir die viele Arbeit fast nichts aus. Sie bewahrte mich wenigstens davor, in Versuchung zu geraten und mehr als nötig an sie zu denken. "James? Sie kommen gleich, ich brauche Sie oben!", rief Mr. Carson und ich sprang sofort auf - mit dem Silberbesteck war ich noch immer nicht fertig, es würde mir also auch die eigentlich freie Zeit zwischen Lunch und Tee rauben. Wie eigentlich immer seit ein paar Wochen. Und alles nur, weil Weihnachten war. Kurz vor dem Hochgehen, sah ich mich ein letztes Mal im Spiegel an, zog die Livree zurecht und kämmte mir die Haare aus dem Gesicht. Nicht für Lizzy. Sie würde ich professionell behandeln und ansonsten ignorieren. Thomas wartete bereits in der Eingangshalle und schloss sich Carson und mir an. Ich warf ihm keinen Blick zu, wie ich es seit jener Nacht im Oktober tat. Unsere Gespräche beschränkten sich auf unsere Arbeit und auch sonst ging ich ihm so gut es ging aus dem Weg. Manchmal kamen mir immer noch Zweifel, ob ich ihn nicht doch hätte bei Carson melden sollen.
Eisiger Wind stieß uns draußen entgegen und ich wünschte mir schon jetzt nichts sehnlicher, als wieder unten vor dem Kamin zu sitzen und das Silber zu polieren. Meine Hand hatte damals noch etwa eine Woche gebraucht, bevor ich wieder alles ohne Schmerzen heben konnte. Den Verband, den Thomas mir angelegt hatte, hatte ich so schnell wie möglich abgelegt und weggeschmissen. Mittlerweile war das Gelenk auch nicht mehr blau. Ich richtete mich gerader auf, als das Auto der Allens wie vor ein paar Monaten die Einfahrt hochkam und vor der Tür hielt. Lord und Lady Granham kamen aus der Tür, gefolgt von Lady Sybil. Carson nickte mir zu - ausgerechnet mir, warum konnte Thomas die blöde Tür nicht aufhalten? - und ich ging pflichtbewusst nach vorn. Natürlich war sie auch die erste, die ausstieg. Ich hielt meinen Blick gerade nach vorn und starrte in die Ferne. Als auch Mr. und Mrs. Allen ausgestiegen waren, schloss ich die Tür und machte mich gleich an die Koffer. Die Crawleys waren mit ihren Gästen längst ins Warme verschwunden. Ich packte den ersten Koffer - der deutlich schwerer war, als ich gedacht hatte. Nur dank Thomas schneller Hilfe konnten wir verhindern, dass er auf den Boden kam. "Ich schaffe das schon", sagte ich zu ihm, warf ihm einen flüchtigen Blick zu und trug den Koffer dann durch den Dienstboteneingang nach oben.

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