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Sir Richard
Ich lachte mir ihr, denn anders konnte ich einfach nicht. "Sie fahren so gut wie jeder Chauffeur, Lady Edith", sagte ich ihr lächelnd und nahm die Straße in Richtung Ripon. "Aber vielleicht wäre es doch ein wenig stressig für Sie, jeden Tag immer alle anderen herumfahren zu müssen. Das könnte Ihnen die Freude am Fahren nehmen, was doch sehr schade wäre, nicht wahr? Wenn Sie möchten, dürfen Sie gleich wieder ans Steuer" Eigentlich war ich nur ungern der Beifahrer, aber bei ihr machte mir es sogar Spaß, gefahren zu werden. "Ich freue mich übrigens sehr, dass Sie meine Einladung angenommen haben. Ich war schon sehr lange nicht mehr bei einem Konzert. Es wird eine willkommene Abwechslung sein", wechselte ich dann das Thema, denn tatsächlich würde es der erste Abend seit langer Zeit sein, an dem ich ausging.

Edith
Ich war mir ziemlich sicher, dass ich bei seinem Kompliment rote Wangen bekommen hatte. "Da könnten Sie Recht haben. Also werde ich es wohl dabei belassen müssen, gelegentlich in Ihrem Auto zu fahren", sagte ich und sah ihn lächelnd an. Auf einer ruhigen und leeren Landstraße hielt er wieder an und wir tauschten unsere Plätze. Ich rückte meinen Hut zurecht, ehe ich anfuhr und wie schon beim letzten Mal wieder nach nur wenigen Kilometern das Tempo deutlich erhöhte. Dass Sir Richard mir sein Auto, dass ihm offensichtlich sehr wichtig war, einfach so zum Fahren überließ, machte mich wirklich stolz. Mittlerweile hatte ich schon wieder viel mehr Übung im Autofahren und fühlte mich dementsprechend sicherer. "Da geht es Ihnen nicht viel anders als mir", lächelte ich, denn ich ging selten aus und das letzte Mal war viel zu lange her. Was bei einer jungen Frau wie mir zugegebenermaßen doch ungewöhnlicher war als bei ihm.

(...)
Henry
Eigentlich war es nur ein Zufall, dass ich jetzt die Auffahrt von Downton entlangfuhr und in der Ferne das Haus schon sehen konnte. Aber es lag einfach auf dem Weg zu einem meiner Freunde und ich hatte mir gedacht, warum ich die Gelegenheit nicht einfach nutzen wollte. Dagegen sprach natürlich eins: Mary. Die Sache zwischen uns schien endgültig vorbei zu sein. Ich hatte lange darüber nachgedacht, hatte mir immer wieder in Erinnerung gerufen, wie sie sich bei unseren Treffen verhalten hatte und war zu dem Entschluss gekommen, dass wir nicht zueinander passten - so sehr es unseren Eltern auch gefallen würde. Um die Wahrheit zu sagen, fühlte ich mich einer Frau wie Mary einfach unterlegen. Gleichzeitig hatte sie mir ihre Überlegenheit ja oft genug gezeigt, indem sie mich nicht gerade nett behandelte. Warum war ich dann aber doch auf dem Weg nach Downton? Aus einem Brief waren mehrere geworden und mittlerweile hatte ich mich so daran gewöhnt, Post von Elizabeth Allen zu bekommen, dass ich sie einfach gerne wieder einmal persönlich treffen würde. Wie ich damit umgehen würde, dass Mary im gleichen Raum war, wusste ich noch nicht. Ein wenig nervös stieg ich aus dem Auto und klingelte an der Tür. Der Butler höchstpersönlich nahm mich in Empfang und verkündete, dass alle in der Bibliothek wären. Was mit 'Alle' gemeint war, wurde nicht weiter definiert - und so war ich noch etwas nervöser, als ich durch die geöffnete Tür hineinkam. Überraschte Gesichter blickten mich an und erleichtert stellte ich fest, dass Mary nicht darunter war. "Henry, was für eine Überraschung!", sagte Lady Grantham und ich begrüßte sie, Miss Allen, Lady Sybil und Lady Edith lächelnd. "Ich hoffe, ich störe nicht. Ich dachte nur, dass ich kurz vorbeischaue, da ich gerade sowieso an Downton vorbeigefahren bin", antwortete ich und machte somit hoffentlich gleich klar, dass ich nicht hier war, um mich wieder mit Mary zu vertragen.

Lizzy
Ich hatte nicht damit gerechnet, Henry Redvers so schnell wiederzusehen. Seit seinem letzten Besuch waren zwar einige Wochen vergangen und wir hatten uns in der Zwischenzeit regelmäßig Briefe geschrieben, aber er und Mary waren anscheinend so unschön auseinandergegangen, dass ich vermutet hätte, er würde einen großen Bogen um ganz Yorkshire machen, um ihr auf keinen Fall zu begegnen. Als er aber an diesem Nachmittag plötzlich in der Bibliothek stand, war Mary ohnehin gerade auf einem Ausritt. Ich hatte keine Ahnung, was er hier wollte, freute mich aber genauso wie Cora, die anscheinend eine Versöhnung mit ihrer ältesten Tochter erwartete, ihn zu sehen. In unseren Briefen hatten wir uns erstaunlich gut verstanden und außerdem hatte ich nichts dagegen, Mary noch ein bisschen zu ärgern, indem ich ihr diese Tatsache unter die Nase rieb. "Wie ist es Ihnen zwischenzeitlich ergangen?", fragte ich und spielte damit auf unser Gespräch vor seiner Abreise an.

Henry
Lächelnd setzte ich mich zu ihnen. Ich war noch vor dem Tee gekommen, sodass ich auch ganz sicher nicht störte. Ich wollte ja niemanden belästigen. "Oh, ich kann mich nicht beklagen", antwortete ich Miss Allen und glaube zu wissen, worauf sie anspielte. "Mir sind einige Dinge... klarer geworden, wenn Sie verstehen, was ich meine. Ich muss Ihnen noch einmal persönlich für den Rat danken, Miss Allen" Kurz sah ich auch zu Lady Edith, die natürlich auch mit verantwortlich dafür war, dass Mary und ich auseinandergegangen waren. "Es ist so schade, dass Sie Mary gerade verpasst haben. Sie reitet aus", erklärte da ihre Mutter, die anscheinend die Hoffnung noch nicht aufgegeben hatte. Scheinbar ganz wie meine Mutter, die mir in den ersten Tagen nach dem Zwischenfall das Ohr abgekaut hatte, indem sie die Vorzüge von Mary mehr als deutlich darstellte und so deutlich auf eine Hochzeit hinauswollte, dass ich nicht anders konnte, als mehr oder weniger zu flüchten. "Lady Grantham, ich muss ehrlich sein: Zwischen Lady Mary und mir ist es aus. Ich weiß nicht, wie viel sie Ihnen anvertraut hat, aber unsere Beziehung stand unter keinem guten Stern", sagte ich dann ernst, um es ein für alle mal klarzustellen und unschöne Fragen zu vermeiden. Lady Grantham sah tatsächlich erst geschockt aus, fing sich dann aber wieder. Eine peinliche Stille legte sich über die Bibliothek. "Es tut mir leid, aber ich muss jetzt leider los, um noch pünktlich in Ripon zu sein", sagte dann Lady Sybil und stand auf, was ich natürlich als Gentleman auch tat. Nachdem sie aus dem Raum war räusperte ich mich und sah Miss Allen an. "Werden Sie noch lange auf Downton bleiben?"

Lizzy
"Ich verstehe", nickte ich Henry zu und lächelte – er hatte sich mittlerweile zwar geschätzt hundert Mal für meinen Rat bedankt, aber es freute mich, dass ich unter den Crawleys einmal nicht die Rolle des mehr oder weniger überflüssigen Anhängsels hatte. Da wir beide nicht wussten, wie viel von unserem Gespräch unter den anderen Anwesenden bekannt war, konnte er natürlich nicht deutlicher werden. Und ich wollte auf keinen Fall, dass Cora dachte, ich hätte dazu beigetragen, dass Henry Mary das Herz gebrochen hatte. Denn das hatte sie selbst. Ich musste ein Schmunzeln unterdrücken, als Henry erklärte, dass es für ihn und Mary keine Hoffnung mehr gab – Cora sah aus, als hätte man sie angeschossen. Ich wünschte Sybil viel Spaß, als diese sich verabschiedete, um zu einer ihrer Wohltätigkeitsveranstaltungen zu gehen – zumindest hatte sie das behauptet – und schaute Henry überrascht an, als er sich an mich wendete. "Oh, ich muss gestehen, ich kann momentan wirklich nicht mit Sicherheit sagen, wo und wie lange ich bleiben werde", lächelte ich entschuldigend. Er wusste ja von meiner Situation und würde hoffentlich verstehen, was ich meinte. Ich wusste nicht, ob ich demnächst wieder nach Amerika ziehen würde oder in eine größere Stadt, um dort zu arbeiten. Oder ob ich vorerst auf Downton blieb und Sybils Familie zur Last fiel, dafür aber Freunde um mich hatte – und Jimmy. Aber auf eine seltsame Art und Weise gefiel mir diese Unsicherheit auch. Ich hatte weniger Verpflichtungen als früher. Wenn ich morgen früh eine Fähre gen Westen nehmen würde, konnte mich niemand dafür tadeln. Als mir klar wurde, dass ich wieder mal verloren in die Ferne gestarrt hatte, blinzelte ich schnell und sah wieder Henry an. "Ich kann Ihnen aber versichern, dass Sie mich, egal wohin ich gehe, früher oder später wieder hier finden werde", lächelte ich und tauschte einen Blick mit Edith, die seltsam berührt aussah.

Henry
Lächeln hörte ich ihr zu. Vorher hatte ich Miss Allen nie wirklich wahrgenommen - ich war für alles andere außer Mary blind gewesen und schämte mich jetzt dafür. "Das beruhigt mich. Es ist so leicht, sich aus den Augen zu verlieren, wenn man sich für eine längere Zeit nicht sieht", antwortete ich ihr und wusste auch nicht so genau, warum ich mich so dafür interessierte, ob Miss Elizabeth Allen auf Downton war oder nicht. Aber unser Gespräch damals hatte mir gezeigt, dass sie klug und einfühlsam war. Und auch in unseren Briefen schrieb sie immer etwas, das mich zum lächeln brachte. "Ich hoffe, dass es in Ordnung ist, zu fragen: Aber wie aussichtslos ist die Situation Ihrer Eltern? Es erscheint mir so hart, von einem Tag auf den anderen alles zu verlieren" Vielleicht lag das auch einfach nur daran, dass das Vermögen meiner Familie seit Jahrhunderten an unser Anwesen gebunden war und wir daher nicht urplötzlich bankrott sein konnten. Vielleicht war ich auch einfach zu naiv um die Brutalität der Welt zu erkennen. Plötzlich öffnete sich die Tür und Mary kam herein - ihr ansonsten so tadelloses Reitjackett voller Dreck. Auch ihre Wangen waren leicht beschmutzt und ich verachtete mich dafür, dass ich sie dafür auch noch hübsch fand. "Mama, ich werde vor dem Tee noch ein Bad nehmen müssen. Diamond war ein wenig wild und ich muss zugeben, dass ich den Weg durch den Wald gewählt habe....", sagte sie und wurde erst still, als sie sich genauer im Raum umsah und mich erkannte. Gut erzogen wie ich war, stand ich auf und schluckte. Marys Augen verengten sich und ihr Blick schien mich töten zu können. "Ah, Henry. Mit dir habe ich nicht gerechnet", sagte sie mit einer zuckersüßen Stimme. "Du musst mich entschuldigen - aber wie ich sehe, hast du ja eine mehr als nette Gesprächspartnerin gefunden" Ihr Blick ging kurz zu Miss Allen, bevor sie wieder aus dem Raum marschierte.

Lizzy
"Allerdings", stimmte ich ihm gedankenverloren zu und tadelte mich gedanklich dafür, dass ich bei seinen Worten an Jimmy denken musste. Als er sich allerdings nach der genauen Situation meiner Eltern erkundigte, musste ich erst einmal schlucken. "Ich weiß nicht, ob Sie das wussten, aber mein Vater ist Amerikaner. Wir haben Verwandtschaft in den USA und ein weiteres Haus, das noch nicht verkauft wurde. Wir warten noch auf eine Rückmeldung von Lord Granthams Anwalt, ob noch irgendetwas zu retten ist, aber im Notfall müssen wir auch dieses Haus verkaufen. Meine Eltern wollen zurück in die Staaten ziehen, sie sagen, dort lässt es sich viel günstiger leben als hier, und sich dort Arbeit suchen. Genug Geld für ein kleineres Haus hätten wir durch den Verkauf des alten noch, außerdem haben wir wie gesagt Verwandtschaft, die uns unterstützt und es dürfte ihnen sicher nicht schwer fallen, Arbeit zu finden. Aber ich fürchte in England hält sie nicht mehr viel." Ich lächelte traurig und hoffte, dass aus meinem letzten Satz hervorging, dass ich sehr wohl gerne in England bleiben würde. "Aber Sie sollten nicht sagen, dass wir alles verloren haben", sagte ich schließlich und lächelte, damit die Stimmung nicht komplett kippte. "Das hier ist nur der Anfang eines neuen Lebens. Wir sind gesund und haben uns gegens..." Weiter kam ich nicht, weil Marys Stimme erklang und sie kurz darauf komplett verdreckt in der Bibliothek erschien. Natürlich passte es ihr nicht, dass ich gerade mit Henry geredet hatte, aber ihr böser Blick in meine Richtung spornte mich nur an, genau das weiterhin zu tun.

Henry
Es dauerte einen Moment, bis ich mich wieder sammelte. Lady Grantham sah Mary ein wenig mitleidig hinterher und ich spürte, dass sie noch lange nicht fertig mit mir war. Die Hoffnung starb bei ihr wohl wirklich zuletzt. "Natürlich", stimmte ich Miss Allen dann zu und erwiderte ihr Lächeln, auch wenn die Stimmung immer noch etwas kühl war. "Auch wenn es vielleicht ein Leben ist, dass sie sich nicht ausgesucht haben. Aber so ist das Leben. Man weiß nie, was passiert" Wie wahr das auch für Mary und mich war. "Waren Sie schon einmal in Amerika? Es tut mir so leid, dass ich so wenig über sie weiß", sagte ich dann entschuldigend, denn abgesehen davon, dass sie hier auf Downton lebte und Mary nicht besonders mochte, wusste ich nichts weiteres über Elizabeth Allen. Komischerweise fand ich es sehr schade, dass sie eventuell nach Amerika gehen würde. Denn wenn ihre Eltern gingen, dann müsste sie wohl oder übel mit. Außer natürlich, sie würde einen Englänger heiraten und mit ihm hier bleiben...

Lizzy
Ich war mehr als verwundert über Henrys plötzliches Interesse an mir. Er hatte sich ja nun wirklich schon oft genug erkenntlich gezeigt für meine Hilfe bei seinem Mary-Problem und langsam schoss selbst er für reine Höflichkeit über das Ziel hinaus. Es sei denn, er wollte weiter gehen als das. Aber weshalb sollte er schon Interesse an mir haben? Ich hatte absolut kein gesellschaftliches Ansehen mehr, widerspenstige Haare und einen viel zu breiten Mund, den ich meistens in den unpassendsten Situationen nicht halten konnte. Und vor allem: Wollte ich überhaupt, dass er Interesse an mir hatte? "Oh, ja, wir sind oft da", sagte ich und musste lächeln beim Gedanken an die Staaten. Wären hier nicht meine Freunde, würde ich wahrscheinlich ohne weiter nachzudenken dorthin gehen. "Sie müssen sich nicht entschuldigen, ich weiß genauso wenig über Sie. Ich schätze, wir waren bisher einfach beide zu sehr mit anderen Personen beschäftigt", lächelte ich und hätte mich gleich danach selbst ohrfeigen können für meine Andeutung über Jimmy und mich.

Henry
Ich hatte zwar keine Ahnung, wen sie mit diesen anderen Personen meinte - zweifellos ein anderer Verehrer, den ich anscheinend nie zu Gesicht bekommen oder wenn doch längst wieder vergessen hatte - trotzdem stimmte ich ihr da voll zu. Ich war wirklich mehr als blind gewesen. Dabei hatte ich immer gedacht, dass ich nie auf eine Frau hereinfallen würde und Menschen kannte. Mary hatte mir eindeutig bewiesen, dass dem nicht so war. "Ich habe schon öfter darüber nachgedacht, einmal nach Amerika zu gehen - nur für ein paar Wochen, versteht sich", antwortete ich ihr, während Lady Grantham und Lady Edith ein Gespräch über ein Konzert in York in ein paar Tagen führten. "Sollte es einmal so weit sein, werde ich mir sicherlich bei Ihnen einige Reiseempfehlungen holen" Lächelnd sah ich sie an. Bei einem Blick auf die Uhr wurde mir bewusst, dass ich eigentlich schon viel zu lange für einen kurzen, unangekündigten Besuch hier war. Bald war es Zeit für den Tee und sicherlich würde Lady Grantham mich höflich dazu einladen. Aber soweit wollte ich ihre Gastfreundschaft nicht ausnutzen, außerdem würde Mary - frischgebadet - zum Tee zurück sein. Eine weitere Begegnung wollte ich gern vermeiden, ihr Blick jagte mir jetzt noch immer einen Schauer über den Rücken. "Himmel, ist es schon so spät?", sagte ich deshalb.

Lizzy
"Es lohnt sich, Sie werden gar nicht weg wollen", lächelte ich, als Henry sein Interesse an Amerika bekundete. "Und für Reiseempfehlungen stehe ich natürlich immer zur Verfügung." Marys Blick vorhin war es wirklich wert gewesen, weiterhin ein bisschen nett zu ihm zu sein. Außerdem war er ja auch nett – es war mir nur nie aufgefallen. Cora hingegen musste eher ihre eigene Tochter als mich im Sinn gehabt haben, als sie Henry schließlich noch einmal nach Downton einlud, ehe er ging. "Wie werden Sie doch aber hoffentlich bald wiedersehen? Beim Dinner, zum Beispiel?" Cora lächelte so breit, dass Henry nur zusagen konnte. Anscheinend glaubte sie, er würde sich doch wieder Hals über Kopf in Mary verlieben, wenn er nur erneut in den Genuss von Mrs. Patmores Essen käme.

Henry
Ich konnte Lady Granthams Einladung nur schwer ablehnen. Die Aussicht, dass ich dabei Miss Allen wiedersehen würde, machte die Sache dann aber doch gleich besser und ließ mich kurz vergessen, dass sicher auch Mary anwesend sein würde. Ich würde mich wohl auf eine Reihe weiterer tödlicher Blicke einstellen müssen, um diesen Abend zu überleben. Nachdem ich zugesagt und damit hoffentlich Lady Grantham keine Hoffnungen auf eine Versöhnung mit Mary gemacht hatte, verabschiedete ich mich von Miss Allen, Lady Edith und Lady Grantham. Mary sah ich zum Glück nicht mehr, was mich sehr erleichterte. Auf dem gesamten weiteren Weg zu meinem Freund dachte ich darüber nach, was es wohl zu bedeuten hatte, dass ich mich auf das Dinner auf Downton freute. Mary war sicherlich nicht der Grund... aber vielleicht Miss Allen?

[...]
Tom
Nach meinem Vorstellungsgespräch auf Downton Abbey dauerte es nur zwei Wochen, bis ich per Brief die Zusage erhielt. Ich war in dieser Zeit nicht nach Irland zurückgekehrt, sondern hatte in einem Pub in der Nähe gewohnt, sodass ich im Falle einer Zusage schnell wieder nach Downton konnte – was ja nun auch eingetroffen war. Außerdem hatte ich so die Gelegenheit gehabt, die ein oder andere nicht uninteressante politische Versammlung zu besuchen. Mein größtes Interesse oder meine Ansichten würde ich nämlich keinesfalls wegen meiner neuen Arbeitsstelle aufgeben.
An meinem ersten Arbeitstag, der mir in dem Schreiben mitgeteilt worden war, packte ich früh meine wenigen Habseligkeiten zusammen, zahlte meine Rechnung und machte mich auf den Weg. Wider Willen war ich, wie schon bei meinem Vorstellungsgespräch, beeindruckt von dem großartigen Haus, riss mich aber gleich wieder zusammen. Hast du vergessen, welche Menschen hier wohnen? Der Butler, Mr. Carson, den ich schon kannte, empfing mich, um mir die Schlüssel für mein Cottage auszuhändigen. Bevor es für mich ans Eingemachte ging, konnte ich dort meine Tasche hinbringen und mich etwas ausruhen. Das Cottage war genau richtig, klein und gemütlich. Ich packte aus, was nicht lange dauerte, denn so viel besaß ich nicht, schaffte es aber keine fünf Minuten, auf dem kleinen Sofa still zu sitzen und mich auszuruhen, wie mir befohlen worden war. Stattdessen spazierte ich noch etwas durch die Gegend, machte mich mit dem Weg ins Dorf und mit einigen Straßen vertraut und kehrte erst dann ins große Haus zurück.
Mr. Carson stellte mich zunächst der Dienerschaft vor und zeigte mir den Dienstbotenbereich. Sie schienen alle recht nett zu sein, lediglich Mr. Carson selbst und ein Diener namens Thomas Barrow waren für meinen Geschmack zu arrogant (in Thomas' Fall) oder wie Mr. Carson ein wenig zu eingenommen von seinem Beruf, dem Haus und dessen Bewohnern. Zumindest Lord Grantham selbst sollte ich auch gleich zu Gesicht bekommen, nachdem ich den Tee, den mir das Küchenmädchen Daisy eilig serviert hatte, ausgetrunken hatte. Manch anderer wäre vielleicht nervös gewesen, als er schließlich von Carson in die Bibliothek geführt wurde, aber da ich Lord Grantham bei meinem Vorstellungsgespräch schon einmal begegnet war und mich außerdem, im Gegensatz zu den meisten Angestellten, die ich kannte, ihm nicht unterlegen fühlte, trat ich selbstsicher ein.
Die Bibliothek konnte sich definitiv sehen lassen – auch, wenn ich bezweifelte, dass die Familie viel las, geschweige denn das Richtige las. "Come in, come in. Good to see you again. Branson, isn't it?", winkte mich Lord Grantham näher und ich bejahte. "I hope they've shown you where everything is and we've delivered whatever we promised at the interview." Er war sicherlich kein unangenehmer Mensch oder Arbeitgeber, änderte aber nichts daran, wie kritisch ich Menschen wie ihm gegenüberstand. Ich würde sicherlich nie die Bewunderung für ihn oder Lady Grantham entwickeln, wie ich es von den Kammerdienern und -zofen meiner ehemaligen Arbeitsstelle – oder von Carson – kannte, die ihre Lords und Ladies gerade zu vergöttert, nicht selten aber auch intrigiert hatten. "Certainly, my lord", nickte ich und war mehr als überrascht von seiner nächsten Frage – ob ich denn Irland nicht vermissen würde. Diese Frage war in jeder Hinsicht überraschend. Natürlich konnte ich mich bei meiner Antwort dementsprechend wenig zurückhalten. "Ireland, yes. But not the job. The mistress was a nice Lady, but she had only one car and she wouldn't let me drive it over 20 miles an hour. So it was a bit... Well, boring, so to speak." Ich erwiderte Lord Granthams angedeutetes Grinsen und hoffte, dass ich mir nicht an meinem ersten Arbeitstag schon zu viel herausgenommen hatte. Er sollte ja nicht befürchten müssen, ich würde das Auto, in dem seine Familie saß, in den nächsten Fluss befördern. "You've got a wonderful library", fügte ich schnell hinzu, um noch etwas Nettes gesagt zu haben, dass mich nicht wie einen komplett Verrückten dastehen ließ – mit Erfolg, denn Lord Grantham bot mir sogleich an, mir Bücher auszuleihen. "Really, my lord?", hakte ich überrascht nach. "Well, there's a ledger over there that I make everyone use, even my daughters. Carson and Mrs. Hughes sometimes take a novel or two. What are your interests?" Ich seufzte innerlich, auf diese Frage hatte ich ja nur gewartet. Aber ich würde sie wahrheitsgemäß beantworten, schließlich waren meine Interessen nichts, dessen man sich schämen müsste, auch als Chauffeur nicht. Und da Lord Grantham nun ja ohnehin schon in Erfahrung gebracht hatte, dass ich eine Abneigung gegen zu langsames Autofahren hatte... "History and politics, mainly", antwortete ich ohne mit der Wimper zu zucken. "Heavens." Die Richtung, die dieses Gespräch einnahm, gefiel Carson anscheinend ebenso wenig wie Lord Grantham und er beförderte mich wieder aus der Bibliothek. Ich atmete auf. Nun hatte ich den unangenehmsten Teil, nämlich die Vorstellung der wichtigsten Personen im Haus, schon hinter mir und durfte sogar bis morgen in mein Cottage zurück, ehe ich dann richtig anfing. Es hätte wirklich schlimmer kommen können, dachte ich noch, als ich mich durch die Nachmittagssonne auf den Weg zurück machte.

Sybil
Im ganzen Haus herrschte an diesem Tag eine gewisse Hektik. Edith war schon beim Frühstück mehr als nervös, weil sie an diesem Abend mit Sir Richard in das versprochene Konzert gehen würde. Lizzy freute sich - auch wenn sie es nicht zeigen wollte, aber ich glaubte sie durchschaut zu haben - auf Henrys Besuch heute Abend. Mary hingegen war mehr als schlecht gelaunt bei der Aussicht, ein Dinner allein nur mit unseren Eltern, Henry und Lizzy zu verbringen. Soweit es möglich war, war sie noch bissiger als ohnehin schon. Seit jenem Tag, an dem Henry Lizzy einen Brief geschrieben hatte und der dann auch noch aufgetaucht war, um nur mit ihr zu reden, war sie unausstehlich geworden. Mit mir wollte sie darüber nicht reden, aber ich glaubte zu wissen, wie traurig und verletzt sie war. Nur wusste ich nicht, wie ich ihr helfen sollte. Gleichzeitig schien Mama fest daran zu glauben, dass Henry sich wieder mit Mary verstehen würde. Und zwischen all dem versuchte ich, mich pünktlich für meine wöchentliche Wohltätigkeitsveranstaltung in Ripon fertig zu machen. Ich wollte noch vor dem Tee aufbrechen und spät bleiben, sodass ich das Dinner verpassen würde. Papa hatte nur zugestimmt, weil ich nachher bei einer Freundin zum Dinner bleiben würde. Seit jenem Tag in Ripon vertraute er mir nicht mehr richtig.
Ich hatte Edith noch schnell geholfen, ein passendes Kleid für den Abend auszusuchen und ihr viel Spaß gewünscht. Sie schien wirklich sehr viel von Sir Richard zu halten und ich freute mich für sie, dass sie glücklich war. Auch Lizzy wünschte ich einen schönen Abend, auch wenn ich hoffte, dass sie und Mary nicht allzu sehr aneinander geraten würden. Das würde Henry nämlich sicherlich ganz von Downton Abbey vertreiben.
Ich hatte Carson am Tag zuvor Bescheid gegeben, wann ich gerne losfahren würde. Nachdem Taylor uns verlassen hatte, würde dies der erste Tag des neuen Chauffeurs sein, den niemand außer Papa bisher gesehen hatte. Der hatte mich mit einem "Pass auf, dass Branson nicht zu schnell fährt", verabschiedet - was ich nicht ganz verstand, aber trotzdem lächelnd hinnahm. Ich hoffte nur, dass er den Weg finden würde. Sicherlich war es schwierig, sich in einem neuen Land zurechtzufinden. Vor dem Haus parkte tatsächlich schon das Auto. Daneben stand ein junger Mann, dessen braune Haare unter der Chauffeurmütze hindurchlugten. "Das ist Branson, mylady", sagte Carson hinter mir, der mir die Tür aufgehalten hatte. Lächelnd ging ich auf ihn zu. "Ich hoffe, dass Sie sich gut eingelebt haben, Branson", sagte ich zu ihm, während ich einstieg. Papa hatte Recht gehabt. Nach dem alten Taylor war Branson wirklich eine Abwechslung.

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