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Lady Mary
Bei Mr. Howards Verabschiedung konnte ich mich wirklich nicht mehr zurückhalten und verdrehte die Augen, als er eilig aus dem Restaurant verschwand. Erwidert hatte ich bis auf ein dünnes Lächeln nichts, denn dies würde die erste und letzte Begegnung mit ihm sein und warum sollte ich da noch großen Wert auf einen freundlichen Abschied legen? Ich folgte ihm, bis er durch die Tür gegangen war und drehte mich zu Edward um. "Ich hoffe, du erwartest jetzt nicht, dass ich mich bei dir bedanke. Zwar hast du mich vor Lady Cadwaller gerettet, mich dabei aber direkt in seine Arme geschubst - Himmel, ist er immer so? Oder liegt es nur an mir?" Ich ließ mir von einem der Angestellten in meinen Mantel helfen und zog meine Lederhandschuhe an. Wir gingen ein wenig den Bürgersteig entlang, denn Branson würde auf der Gartenparty auf den Rest der Familie warten, wenn ich auch gut nach Hause gehen konnte. Und mich dabei noch ein wenig mit Edward über seinen Freund austauschen konnte.
Sybil
Ich lächelte Branson breit an. "Das dürfen Sie auch sein", antwortete ich ihm nur vage darauf, ob ich den Termin nächste Woche tatsächlich wahrnehmen würde. Es wäre riskant, aber warum sollte mich das abhalten? Und dass er seine freie Zeit in London nutzen würde, freute mich. Erst gestern hatte ich Mama darauf hingewiesen, warum die Dienstboten nicht einen Tag frei haben und einen Ausflug übernehmen könnten? Wo sie doch schon das ganze Jahr hart für uns arbeiteten und wir jetzt schon einmal in London waren. Mama wollte heute Abend mit Carson darüber sprechen und ich war gespannt, was Branson dazu sagen würde. Auch er wollte gerade anscheinend ein neues Thema ansprechen, als plötzlich Mama nach mir rief und ich mich zu ihr umdrehte. Ihr Blick wechselte zwischen mir und Branson, der direkt neben mir stand. Ich sah ihn noch einmal kurz lächelnd an - unser Gespräch war jetzt so oder so zuende - und lief dann auf Mama zu. "Ich habe mich nur mit Branson unterhalten", antwortete ich ihr abwehrend und richtete unnötigerweise meinen Hut. "Aber warum? Hier sind doch genug Gesprächspartner. Wir haben uns schon Sorgen gemacht", gab Mama zurück. "Natürlich. Aber ich kenne hier wirklich niemanden", argumentierte ich weiter, hatte aber keinen Erfolg. "Es ist ja auch so schwer, sich jemandem vorzustellen", sagte Mama nur ironisch, lächelte mich aber an, bevor wir uns zu Edith und Papa stellten.

[...]
Edith
London hatte eine ebenso unerwartete wie auch schöne Wendung in mein Leben gebracht: Seit der Gartenparty war ich so gut gelaunt wie lange nicht mehr und schaffte es sogar, nicht auf Marys Sticheleien einzugehen. Natürlich war der Zusammenhang zwischen meiner guten Laune und der Begegnung mit Sir Richard für Mama offensichtlich und sie hatte es sich nicht nehmen lassen, mich beim Abendessen danach zu fragen. Marys Augenbrauen waren kurz davor gewesen, den Kronleuchter über dem Tisch zu berühren. Aber mir war es egal, was meine Familie – und erst recht Mary – von Sir Richard hielt. Er gab uns eine weitere Chance und ich konnte kaum aufhören, zu strahlen.
Dennoch hatte ich nicht mit seinem Brief gerechnet, auch wenn er mich, je länger ich darüber nachdachte, kaum überraschte: Hätten wir uns erst getroffen, wenn wir beide wieder aus London zurück waren, hätten wir einfach zu lange warten müssen. Und meine Adresse herauszufinden, war natürlich keine Schwierigkeit für ihn gewesen. Auch, als ich jetzt die Kensington Gardens betrat und nach dem Brunnen ausschau hielt, den er als Treffpunkt vorgeschlagen hatte, hatte ich den Brief in meiner Handtasche, die ich fest umklammert hielt. Mama und Sybil hatte ich nur gesagt, dass ich mich mit einer alten Freundin traf. Dass diese Freundin buchstäblich alt und noch dazu männlich war, mussten sie im Moment noch nicht wissen. Zum Glück war der Brunnen nicht schwer zu finden und ich sah schon aus der Ferne Sir Richard, der auf einer Bank saß. Nervös tastete ich meine Frisur ab, bevor ich zielstrebig auf ihn zuging. "Sir Richard. Es ist so schön, dass wir uns jetzt schon wiedersehen", sprudelte ich los.
David
Mein Arbeitstag hatte mal wieder früh begonnen, die Hitze machte mich müde und fast hätte ich Alastair abgesagt. Aber wo er schon mal in London waren und wir uns doch so selten trafen... Als ich jedoch neben ihm durch die stickige Luft der National Gallery trottete, wünschte ich mir nichts mehr, als mich auf mein großes Sofa zu legen. "...hat er während seiner Portugalreise gemalt. Deshalb auch die verschiedenen Gelb- und Rottöne", erzählte Alastair neben mir gerade begeistert, während mir fast die Augen zufielen. Ich machte ein zustimmendes Geräusch und sah mir ein anderes Gemälde an, das nicht ganz so langweilig zu sein schien. Aber nicht spannend genug, mich davon abzuhalten, nur ganz kurz die Augen zu schließen... nur um sie gleich darauf wieder weit aufzureißen. Plötzlich war ich hellwach, denn ich hatte eine mir bekannte Stimme gehört – die ich eigentlich nicht so schnell hatte wiederhören wollen. Und tatsächlich betrat Lady Mary Crawley soeben den Ausstellungsraum. Ich verdrehte meine müden Augen.

Sir Richard
Die Geduld, darauf zu warten, bis ich Lady Edith in Yorkshire wiedersehen würden, konnte ich nicht aufbringen. Die Tage nach Lady Cadwallers Gartenparty hatte ich schon als eine Tortur gefunden - schließlich wusste ich, dass sie hier in London war und mich sehen wollte. Es war beinahe nicht zum aushalten. Also hatte ich ihr schließlich drei Tage später einen Brief geschickt, mit einer Einladung mich heute in den Kensington Gardens zu treffen. Es war zentral, aber dennoch weitläufig, sodass wir ein wenig unsere Ruhe haben würden. Lady Edith hatte angenommen. Ich freute mich riesig - mehr, als ich wahrscheinlich sollte. Mein Vorsatz, Lady Edith erst dann wieder zu treffen, wenn sie verheiratet war, war in dem Moment vergessen, als ich sie wiedergesehen hatte. Und auch jetzt machte mein Herz einen Hüpfer, als ich sie auf mich zukommen. sah und schnell von der Bank aufstand. Sie hatte meinen Treffpunkt also gefunden - und noch viel wichtiger, sie war gekommen. Ich hatte es mir nicht nur eingebildet, dass wir uns wieder verstanden und sie mir gesagt hatte, dass sie mich mochte. Ich zog lächelnd meinen Hut vor ihr. "Guten Tag, Lady Edith. Es wäre doch eine reine Verschwendung, wo wir doch beide in London sind, nicht wahr?" Sie war noch hübscher, als ich es jemals in Erinnerung behalten könnte. "Sollen wir ein kleines Stück gehen? Das Wetter ist gerade ideal dafür." London strahlte in der Sonne, es war fast schon zu warm - aber ein kleiner Spaziergang wäre da gerade das richtige.
Lady Mary
Kunst langweilte mich. Warum ich mich erst jetzt wieder daran erinnerte, als wir schon durch die verschiedenen Ausstellungsräume der National Gallery gingen, war mir schleierhaft. Margaret Harwood war eine Freundin von mir, wir waren im selben Alter und sie hatte mich zu der neuen Ausstellung eingeladen. Ich hätte lieber ablehnen sollen - denn neben der Tatsache, dass ich mit den Gemälden nichts anfangen konnte, redete sie ununterbrochen von ihrem Verlobten. Selbst Edith hatte ihren alten Verehrer aus Yorkshire wieder getroffen und war damit einer Hochzeit näher als ich. Wir betreten den nächsten Ausstellungsraum. "Ist das dahinten Anne Jenkins? Du entschuldigst mich kurz, nicht war, Mary?", sagte Margaret und war so schnell zu ihrer Freundin gelaufen, dass sie meine Antwort kaum hören würde. Der einzige, der mich anscheinend gehört hatte, war ein Mann mit rostbraunem Haar und einem abgeneigten Gesichtsausdruck - David Howard. Den ich nach dem desaströsen Lunch mit Edward eigentlich nie wiedersehen wollte. Dessen Worte gingen mir jetzt wieder durch den Kopf - dass Mr Howard eigentlich nicht so war, wie er sich bei unserem Lunch verhalten hatte. Was also bedeutete, dass es an mir lag. Zwar wusste ich, dass ich eine gewisse Wirkung auf Männer hatte - aber nicht so eine, wie bei diesem Lunch. Ich geriet nicht oft in Bedrängnis, aber als ich ihn jetzt wieder hier sah, war ich wirklich erschrocken. Was er mir hoffentlich nicht ansah. Nach einer gefühlten Ewigkeit, in der ich nur herumstand und überlegte, was ich tun sollte, ging ich einfach auf ihn zu. "Sie sind also doch ein Kunstfreund, Mr Howard", meinte ich zu ihm und zog meine Augenbrauen lächelnd hoch. Dieses Mal war Edward nicht da, um einen Streit zwischen uns zu schlichten.
Sybil
Schnell setzte ich den dunkelblauen Hut auf und lief die Treppe nach unten. Natürlich hatte ich nach London nicht meine komplette Garderobe mitgenommen und so war es schwer gewesen, ein schlichtes und unauffälliges Kleid herauszusuchen. Denn das brauchte ich, um zu der heutigen Veranstaltung zu gehen - genau diejenige, von der mir Branson auf Lady Cadwallers Gartenparty erzählt hatte. Eine Ausrede zu finden, warum ich den Nachmittag nicht da sein würde, war spielerisch leicht gewesen. Schließlich waren wir nicht im tiefsten Yorkshire, sondern in London, wo jeden Tag etwas los war. Mama und Papa hatte ich erzählt, auf einem Wohltätigkeitsbasar helfen zu wollen. Ich mochte es nicht, sie anzulügen - wenigstens stimmte die Richtung und der Stadtteil mit dem politischen Treffen überein. Da Edith und Mary auch ausgegangen waren, war es sehr ruhig im Haus. Carson öffnete mir die Tür und Branson wartete schon draußen. Ich musste mir ein Lächeln verkneifen - denn nur er war der Grund, dass ich auch in London meiner Leidenschaft für Politik nachgehen konnte.

Edith
Ich war ungemein erleichtert, dass Sir Richard nicht gleich wieder anfing, mich davon überzeugen zu wollen, dass er viel zu alt für mich war. Noch einmal würde ich es nicht verkraften, sollte er mir das Herz brechen und als er in seinem Brief geschrieben hatte, dass er mich wiedersehen wollte, war mir gleich der Gedanke gekommen, dass er nur wieder alles beenden wollte. Stattdessen aber bot er mir einen Spaziergang an. "Das ist es allerdings", stimmte ich ihm bezüglich des Wetters zu, als wir uns in Bewegung setzten. Unter meinem Hut war es mir fast schon zu warm. "Es ist wirklich wunderschön hier", sagte ich nach einer Weile und betrachtete einige bunte Blumenbeete, während im Hintergrund ein weiterer Brunnen plätscherte und Vögel zwischerten. "Und so ruhig." Aus irgendeinem Grund war ich anscheinend nie in den Kensington Gardens gewesen, zumindest nicht, soweit ich mich erinnern konnte, sondern immer nur in größeren Parks. Für ein geheimes Treffen war dieser hier gerade richtig. Geheim. Plötzlich fühlte ich mich fünf Jahre jünger. Wo war Mary doch gleich, bei einer Kunstausstellung?
David
Natürlich hatte ich den desaströsen Lunch mit Edward und Lady Mary nicht vergessen. Dennoch war ich nach dem ersten Schreck fast schon erleichtert, in diesem todlangweiligen Museum irgendeine Ablenkung zu finden. Lady Marys Begleitung war anscheinend ebenso kunstbegeistert wie Alastair, denn sie ließ Mary einfach stehen, um zu einer anderen Frau hinüber zu gehen und mit ihr über ein Gemälde zu diskutieren. Es würde nicht mehr lange dauern, bis sie auch Alastair in ihren Kunstclub aufgenommen hatten. Ich schien der einzige zu sein, den die Bilder des Ausstellers eher an Gemüsesuppe als an Kunst erinnerten. Oder zumindest fast der einzige, denn Lady Mary sah auch nicht besonders glücklich aus. Ob das an mir oder am Museum lag, wusste ich allerdings nicht. "Das bin ich ganz und gar nicht", korrigierte ich anstatt einer Begrüßung. "Ich bin nicht ganz freiwillig hier. Außerdem habe ich gesagt, dass Kunst Ansichtssache ist. Und meiner Ansicht nach ist diese hier grauenvoll", berichtigte ich weiter. Offensichtlich hatte sie den Lunch genauso wenig vergessen wie ich. "Aber dass Sie sich hierfür...", ich machte eine leicht ausschweifende Bewegung zu einer Wand mit besonders hässlichen Bildern, "interessieren, überrascht mich tatsächlich." Ich hatte Lady Mary für moderner gehalten, aber vermutlich hatte man als Frau ihres Standes gar keine andere Wahl, als so zu tun, als genieße man es, sonnige Nachmittage im Kunstmuseum zu verbringen. Wenigstens musste sie hier keine Angst haben, sich ihre schneeweiße Haut zu verbrennen.
Tom
Fast eine Woche lang war ich jeden Tag gespannt gewesen, wann Lady Sybil mir mitteilen würde, ob sie zu der Veranstaltung über Frauenrechte kommen würde oder nicht. Obwohl ich damit gerechnet hatte, freute ich mich riesig über ihre Zusage, die sie mir in einem geschickt gewählten Moment selbst überbrachte. Fast hätte ich gegrinst, als sie aus dem Haus und auf das Auto zugelaufen kam. Ihr Blick hatte etwas Schelmisches und gleichzeitig Aufgeregtes, wie jedes Mal, wenn wir zu einer politischen Veranstaltung fuhren – und sie ihren Eltern eine Lüge auftischte. Erst, als sie im Auto saß und wir losfuhren, wagte ich es, unerlaubterweise mit ihr zu sprechen. "John Wenham soll heute auch eine Rede halten", informierte ich sie, denn ich war mir sicher, dass diese Neuigkeit sie interessieren würde und warf ihr kurz einen Blick über die Schulter zu. Hier in London musste ich deutlich mehr auf den Straßenverkehr achten als in Yorkshire, aber es war einfach zu verlockend, sie kurz anzusehen.

Sir Richard
Lächelnd schlug ich einen Weg in Richtung eines kleinen Sees ein. Ruhig war es wirklich, von dem ganzen Lärm Londons bekam man hier nichts mit. "Das erinnert mich daran, dass ich Ihnen noch immer einen Spaziergang um Loxley House schuldig bin", sagte ich dann zu ihr. Dieses Mal würde ich mein Versprechen halten. Denn das sie heute gekommen war, zeigte doch wirklich, dass sie mich wollte. Denn London war voll junger Männer - aber sie hatte mich gewählt. "Es ist wirklich schön, dass sie heute gekommen sind. Ich hatte Sorge, dass es zu kurzfristig sein könnte. Schließlich hat man doch in London immer etwas zu tun, oder?", plauderte ich weiter mit ihr und bot ihr schließlich meinen Arm an. Ihre Berührung - auch durch mein Jackett - fühlte sich so gut an und ich war stolz, eine so schöne Frau wieder in meiner Nähe zu haben. Hoffentlich könnten wir uns noch öfter in unserer Zeit in London sehen, bevor ich sie in Yorkshire wieder mit dem Auto abholen würde. Meine Zukunft sah auf einmal nicht mehr so düster aus, ganz im Gegenteil.
Lady Mary
Belustigt sah ich ihn an. Er wirkte wirklich nicht gerade glücklich in diesem Raum - was anscheinend nicht nur allein an meiner Anwesenheit lag. Heute kam er mir tatsächlich ein wenig netter vor als bei unserem Lunch. Und ich musste ihm zustimmen. Die Bilder waren grauenvoll. Aber so einfach würde ich es ihm nicht machen und ihm auf keinen Fall die Genugtuung geben, dass wir einer Meinung waren. "Ich überrasche Sie immer wieder gern, Mr. Howard, aber so schrecklich ist die Kunst hier doch wirklich nicht. Die ganze Arbeit, die die Künstler in ihre Bilder gesteckt haben, machen sie einfach mit einem negativen Kommentar zunichte. Das scheint mir doch ein wenig einfältig", sagte ich stattdessen. Einfach nur, um wieder mit ihm zu diskutieren. Diese Wirkung hatte er schon wieder auf mich. Und mit Lügen hatte ich keine Probleme. Mir war sogar eine Diskussion mit David Howard lieber als das endlose Geplapper von Margaret, in dem sie immer nur ihren Verlobten pries und ich mich dabei wie eine alte Jungfer fühlte. "Ich würde mir zwar kein Bild in meinem Zimmer aufhängen, aber sie einfach als grauenvoll zu bezeichnen ist in meinen Augen naiv" Ich funkelte ihn weiter belustigt an. "Hat sie etwa wieder ein Freund zu etwas gezwungen, wie damals Edward zu unserem gemeinsamen Lunch?" Eigentlich schätzte ich ihn als so selbstbewusst ein, dass er einem Freund absagen könnte, wenn er keine Lust auf die gemeinsame Aktivität hatte.
Sybil
Branson fuhr direkt los und ich konnte meine Vorfreude nur schwer verbergen. Ganz besonders, als Branson mir die Neuigkeiten erzählte. "Wirklich? Ich hatte eher gedacht, dass es eine kleine Veranstaltung wird. Auch wenn mich ehrlich gesagt mehr die Reden der Frauen interessieren. Sowas würde es in Yorkshire nicht geben, jedenfalls noch nicht jetzt. Auf kurz oder lang aber wird sich auch die Politik für die Frauen öffnen müssen", meinte ich dazu und musste ziemlich gegen den Lärm anschreien. Daher beugte ich mich nach vorn, während sich auch Branson umdrehte und ich ihn breit anlächelte. Die Veranstaltung war in einem nicht zentral gelegenen Stadtteil und als wir die großen Straßen hinter uns gelassen hatten, kam Branson recht schnell voran. "Ich muss zum Gong wieder zurück sein, wir müssen also auf die Zeit achten", sagte ich dann noch zu Branson. Papa würde es nicht gerne sehen, wenn ich zu spät kam, auch wenn nur Tante Rosamund zum Dinner erwartet wurde. Er würde es mir beim nächsten Mal nicht mehr erlauben, alleine auszugehen, wenn ich heute nicht pünktlich kam. Und das wollte ich vermeiden, denn sicher gab es diesen Sommer noch mehr solcher Veranstaltungen, die ich nur ungern verpassen wollte. Branson ging es da sicher ähnlich.

Edith
Sir Richards Versprechen, mir die Umgebung von Loxley House zu zeigen, hatte ich tatsächlich schon vergessen gehabt. Umso schöner war es, dass er sich noch erinnerte und sein Versprechen anscheinend auch einlösen wollte. "Ich werde Sie daran erinnern, wenn ich wieder in Yorkshire bin", versprach ich. Vielleicht machte ich mir schon wieder zu große Hoffnungen, aber ein kleiner Teil von mir hielt Loxley House schon für mein zukünftiges Zuhause und somit war ich natürlich mehr als neugierig darauf, wie Sir Richard lebte. Lächelnd nahm ich seinen Arm, als er ihn mir anbot und wurde, sobald ich ihn berührte, viel nervöser. "Es hätte aber nichts wichtiger sein können, als mich mit Ihnen zu treffen", lächelte ich. "Meine Schwestern sind heute auch weg und Mama erwartet zum Glück nicht mehr von uns, dass wir sie zu jedem Tee mit alten Freundinnen begleiten", plauderte ich weiter und hoffe, dass ich den Altersunterschied zwischen uns nicht wieder zu deutlich machte, indem ich von Mama redete. Ich hatte ständig Angst, er könnte es sich wieder anders überlegen.
David
Innerlich verdrehte ich die Augen, als Lady Mary mir widersprach – nicht, weil ich damit ein Problem hatte, sondern weil sie mir wie der Typ Frau vorkam, der anderen Menschen schon aus Prinzip nicht zustimmte. Aber ich war gelangweilt und ich diskutierte gerne, also ging ich darauf ein. "Es rührt mich, wie sehr Sie sich um die Gefühle fremder Menschen sorgen", sagte ich etwas sarkastisch, denn ohne sie besser zu kennen, war ich mir sicher, dass Lady Mary sich nur um ihren eigenen Gefühlszustand kümmerte. "Oh nein, ich bin mir sicher, Sie haben viel wertvollere und stilvollere Gemälde in Ihrem Zimmer", gab ich gespielt verständnisvoll, innerlich aber ziemlich genervt, zurück. Als ob es mich interessieren würde, wie Lady Mary ihre Inneneinrichtung gestaltete. Wie die meisten anderen Adligen setzte sie dabei vermutlich nicht auf Geschmack, sondern nur darauf, Besuchern zu zeigen, wie reich sie war. "Diesmal bin ich vielleicht gezwungen worden, aber bei Edward war das nicht der Fall. Denn da habe ich Sie ja noch nicht gekannt." Hätte er mir vorher gesagt, wie arrogant und anstrengend seine Bekannte war, hätte ich Edward damals sicherlich nicht zum Lunch begleitet. Mittlerweile war es mir vollkommen egal, ob ich unhöflich war, denn das war Lady Mary auch und fast schon machte es mir Spaß.
Tom
Dass Lady Sybil sich auch zur mir beugte, als ich mich umdrehte, hatte ich nicht erwartet und kurz erstarrte ich, als ihr lächelndes Gesicht so nah an meinem war. Schnell drehte ich mich wieder um. "Das hoffe ich zumindest", antwortete ich nur und runzelte leicht die Stirn. Auch wenn viele politisch aktive Frauen immer größere Fortschritte erreichten, weigerten sich die meisten Menschen noch gegen den Gedanken, Frauen Zugang zur Politik zu verschaffen. Dabei wären Frauen wie Lady Sybil eine Bereicherung für unsere Politik. "Keine Sorge, mylady, ich behalte die Zeit im Auge", grinste ich, denn wir lebten schließlich alle nach dem Gong und außerdem wurde Lady Rosamund zum Dinner erwartet. Die Suche nach einem freien Platz zum Parken ging schneller als gedacht – zwar war es hier deutlich voller als bei den Veranstaltungen in Yorkshire, für ausreichend Parkplätze war aber auch gesorgt. Schließlich hielt ich nur wenige Meter von einer immer größer werdenden Menschenmenge entfernt. Ich wollte Lady Sybil so gut es ging im Auge behalten, bei solchen Veranstaltungen wusste man schließlich nie, wer sich dort herumtrieb.

Sir Richard
Ich freute mich schon jetzt darauf, ihr meine Gärten zu zeigen. Und auch einige der Farmen, da ich mich daran erinnerte, wie begeistert sie von meinem neuen Traktor war und dass sie im Krieg auf einem Bauernhof geholfen hatte. Wie außergewöhnlich Lady Edith doch war - ich würde wohl keine andere Frau damit beeindrucken können, dass ich eine neue Erntemaschine auf meinem Land hatte. Ich fühlte mich seltsam gerührt, als sie sagte, dass das Treffen mit mir ihre oberste Priorität war. Denn ansonsten hatte ich in meinem Leben das Gefühl, für niemandem an erster Stelle zu stehen. Ich lachte über ihre Aussage mit den alten Freundinnen, musste ich doch an Lady Cadwaller denken. "Ich war wirklich überrascht, als ich sie bei Lady Cadwaller gesehen habe. Aber es war eine freudige Überraschung - die freudigste seit langem", erwiderte ich lächelnd, während wir den kleinen See umrundeten.
Lady Mary
Gut, jetzt kam er mir nicht mehr allzu nett vor. Aber ich hatte es ja provoziert und gewollt, also konnte ich mich nicht beklagen. Ich war eher beeindruckt, da in seinem sarkastischen Tonfall mitschwang, dass er mich so einschätzt, als wären die Gefühle anderer mir egal - was ja auch irgendwie stimmte. Er hatte mich also durchschaut - wahrscheinlich wusste er ganz genau, was ich wirklich von diesen Bildern hier hielt. Aber ich spielte weiter mit. "Ab und an kommt das auch einmal vor", meinte ich nur mit einem aufgesetzten Lächeln zu den Gefühlen für die Maler. "A monkey will tipe out the bible if you leave it long enough" Fast hätte ich gelacht, hätte er da nicht die Bilder in meinem Zimmer angesprochen. Natürlich musste er wieder auf das Thema kommen, das schon damals beim Lunch zu einem Kleinkrieg geführt hatte - der Adel, seine Privilegien und sein Reichtum. "Das ist wohl ihr Lieblingsthema, nicht wahr? Denn anscheinend gelingt es Ihnen nicht, mit mir über etwas anderes zu reden als über mein Zuhause und meinen Status", gab ich nur zurück. "Und wenn Sie es genau wissen wollen, ich habe tatsächlich stilvollere Bilder in meinem Zimmer. Auch wenn sie keinerlei Hoffnung haben sollten, diese jemals zu Gesicht zu bekommen. " Leicht wütend sah ich ihn an, wie er da so vor mir stand und mich schlichtweg beleidigte. Ich schnaubte. "Denn da habe ich Sie ja noch nicht gekannt" Andere Frauen hätte bei einem solchen Kommentar angefangen zu weinen, zum Glück war ich aus stärkerem Holz geschnitzt. "Erwarten Sie jetzt bloß kein Mitleid, Mr Howard." Ich sollte wahrscheinlich einfach gehen - aber irgendwie blieben wir beide doch inmitten all dieser schrecklichen Bilder stehen.
Sybil
Da ich auch auf die Zeit achten würde, waren wir auf der sicheren Seite. Schon von weitem merkte man, dass wir in London waren und nicht in Yorkshire - es war voll. Frauen mit den Schärpen der Suffragetten mischten sich unter Männer aus unterschiedlichen Schichten, ich sah sogar einige Kinder. Langweilig würde es also auf keinen Fall werden. Branson fand einen guten Parkplatz und ich sah auf den Platz, zu dem die Menschenmenge strömte. Schon von hier konnte ich erste Fetzen der Rede hören. Dass es eine Frauenstimme war, machte mich nur noch aufgeregter. Branson half mir aus dem Auto und wollte sich gerade wieder auf den Fahrersitz setzen, als ich stehen blieb. "Warum kommen Sie nicht mit? Dem Auto wird schon nichts passieren. Schließlich haben Sie mich erst auf diese Veranstaltung aufmerksam gemacht" Ich lächelte ihn breit an, um ihm zu zeigen, dass ich es ernst meinte. Es würde mich wirklich freuen, Branson bei mir zu haben. So könnten wir direkt alles miteinander diskutieren. Außerdem würde es ihm sicher nicht gefallen, den Nachmittag in einem Auto zu verbringen, während nebenan Politik besprochen wurde.

Edith
Zum Glück lachte Sir Richard über meinen Kommentar, anstatt wieder auf sein Alter anzuspielen, also lachte ich einfach mit. Ich war wirklich erleichtert – seit langem hatten wir nicht so unbeschwert Zeit miteinander verbracht und ich alleine erst recht nicht. "Das war es allerdings", stimmte ich lächelnd zu. Ich wollte mir gar nicht ausmalen, wie es mir sonst jetzt gehen oder was ich machen würde. Einen anderen, tolleren Mann hätte ich sicherlich noch nicht wieder gefunden. Wir hatten den See inzwischen umrundet und Sir Richard schlug einen abzweigenden Weg ein, an dessen Ende ein Teepavillon zu stehen schien. "Oh", machte ich nur nicht besonders geistreich und grinste leicht, "Sie haben nicht zufälligerweise Lust auf eine Tasse Tee?" Vermutlich hatte er diese kurze Pause schon eingeplant. Der wunderschöne Pavillon mit Blick auf den See war nahezu romantisch.
David
Lady Marys aufgesetzten Lächeln ging mir zunehmend gegen den Strich. Seit wir uns beim Lunch das erste Mal gesehen hatten, hatte sie höchstens ein Mal wahrhaftig gelächelt, auch, wenn sie dabei nicht weniger boshaft ausgesehen hatte, als wenn sie einfach nur Mundwinkel und Augenbrauen hochzog. "Ich kann Ihnen versprechen, dass Sie nicht mein Lieblingsthema sind", gab ich zurück. "Aber dass sich für Sie alles um Ihren Status dreht, ist nicht zu übersehen. Oder zu überhören." Vermutlich standen wir mittlerweile wir zwei kleine, streitende Kinder voreinander und starrten uns wütend an. "Ich verzichte auf einen Besuch in Ihrem Zimmer, machen Sie sich darum keine Sorgen", sagte ich und wollte mich schon abwenden, als sie nochmal nachsetzte. Diesmal konnte ich wirklich nicht anders, als kurz aufzulachen. "Mitleid? Warum sollte ich Mitleid wollen?" Für wen hielt sich diese Frau nur?
Tom
Lady Sybil schwebte förmlich aus dem Auto, man merkte ihr deutlich an, wie sehr sie sich freute. Ich lächelte leicht über ihre Aufregung und wollte mich schon wieder ins Auto setzen und ihr viel Spaß wünschen, als sie mich tatsächlich fragte, ob ich mitkommen wollte. Erstaunt sah ich sie an, fing mich aber schnell wieder. Hatte sie Angst alleine? Wollte sie einfach nur nett sein oder tatsächlich mich dabei haben? Einen Moment dachte ich auch, dass sie mich veräppelte, aber das wäre wohl eher Lady Marys Stil gewesen, außerdem lächelte sie so breit und ehrlich, dass sie es einfach ernst meinen musste. "Das würde ich sehr gerne, mylady", nickte ich lächelnd und wir gingen gemeinsam auf die Menschenmenge zu. Insgeheim hoffte ich, dass dem Auto wirklich nichts passieren würde und Lady Sybil natürlich erst recht nicht. Auf beide aufzupassen, war schwierig, aber ich brauchte nicht lange darüber nachzudenken, was mir wichtiger war.

Sir Richard
Ich hätte noch ewig einfach mit ihr spazieren gehen können, aber Lady Ediths Vorschlag, gemeinsame eine Tasse Tee zu trinken, konnte ich wirklich nicht ablehnen. "Natürlich", antwortete ich ihr sofort. Einige Tische waren sogar draußen auf einer Art Terrasse zum See hin - wirklich perfekt bei diesem Wetter. Ich führte Lady Edith zu einem Tisch nah des Wassers und bestellte Tee und Gebäck für uns beide. "Ich habe Ihnen noch gar nicht gesagt, wie hübsch Sie heute wieder aussehen", meinte ich dann und konnte nichts dagegen tun, dass meine Wangen heiß wurden, als ich das sagte. Das letzte Mal hatte ich mich so vor über 20 Jahren gefühlt - und ich hätte niemals gedacht, mich noch einmal so zu fühlen. Verliebt. Denn das ich das war, konnte ich mittlerweile nicht mehr abstreiten. Dagegen hatte auch nicht die monatelange Trennung geholfen. "Ich hoffe, wir sehen uns noch einmal hier in London", sagte ich dann ernst und sah sie hoffnungsvoll an. Bis zu meiner und ihrer Rückkehr nach Yorkshire war es noch so lange hin, dass mir die Zeit sicher ewig vorkommen würde.
Lady Mary
Mir schoss das Blut und die Wangen und ich sah ihn wirklich erschrocken an, bevor ich mich wieder fangen konnte. Ich hätte David Howard eine zweite Chance gegeben, wären wir nicht wieder in einen Streit verfallen. Natürlich hatte ich nicht gerade nette Dinge zu ihm gesagt, aber ich hatte geglaubt, dass er es als Spaß sehen und mich nicht so angiften würde. Ich hatte es also mal wieder nicht geschafft, meinen Mund kontrollieren zu können und einen Menschen gegen mich aufgebracht. Und das machte mich selbst wütend. "You should learn to forget what I say. I know I do." , war das einzige, was ich zu ihm sagte, bevor ich mich umdrehte und den Raum verließ. Margaret würde sicher erst heute Abend auffallen, dass wir zusammen in die National Gallery gegangen waren und Mr Howard war sicher mehr als froh, dass ich ging. Normalerweise konnte ich ein Streitgespräch führen, ohne mich danach überhaupt schuldig zu fühlen. Aber heute war es irgendwie anders - mein Herz hämmerte, als ich mir einen Weg durch die entgegenkommenden Menschen bahnte und meine Handtasche festhielt. Wie hatte unser Gespräch so schnell eskalieren können? Und wie hatte Mr Howard es geschafft, dass ich mich jetzt so fühlte? Das machte mich noch wütender auf ihn.
Sybil
Ich lächelte noch breiter, als Branson zustimmte und neben mir herging. So würde der Tag wenigstens auch für ihn ein guter werden. Zusammen bahnten wir uns einen Weg durch die immer dicht werdende Menschenmenge, bis wir einen Platz seitlich der Rednerbühne gefunden haben. Es war eng, die Menschen riefen ihren Unmut laut heraus und immer wieder wurde ich gegen die Frauen vor mir gedrückt. Aber all das merkte ich nicht wirklich, denn ich hörte gebannt der Frau auf der Bühne zu. Sie schrie so laut, dass jeder sie hörte - dass alle Frauen das Wahlrecht bekommen sollten. Breit lächelnd sah ich irgendwann Branson an, der dich neben mir stand. "Es ist ganz anders als in York oder Thirks!", rief ich ihm zu und drehte mich dann wieder um, um weiter zuzuhören. Es wurde immer gedrängter, noch immer strömten Menschen auf den Platz hinzu und es wurde immer lauter. Ich musste an jenen Tag denken, an dem ich gestürzt war und Lizzy mir geholfen hatte. Als schließlich ein Mann von hinten gegen mich rempelte, griff ich instinktiv nach Branson und hielt mich an seinem Arm fest.

Edith
Sir Richard führte mich zu dem Tisch, der dem See am nächsten war und bestellte. Ich saß so, dass ich direkt auf den See hinausschauen konnte, während Sir Richard mir gegenüber saß. "Und ich kann kaum glauben, dass sie das sagen", entgegnete ich breit lächelnd, als er mit sagte, wie hübsch ich heute aussehe. Und es stimmte – ich war immer nur das hässliche Entlein zwischen Mary und Sybil. Es fiel mir schwer zu glauben, dass Sir Richard seine Worte ernst meinte, bis ich sah, dass er tatsächlich rot wurde. Mein Lächeln wurde noch etwas breiter – einen sichereren Hinweis darauf, dass er die Wahrheit sagte, gab es wohl kaum. "Natürlich sehen wir uns noch einmal", sagte ich ohne nachzudenken. Im Notfall könnte ich auch immer noch so tun, als wäre ich krank – mir war es vollkommen egal, solange ich Sir Richard so oft wie möglich sehen könnte. Das einzige, was mich traurig machte, war, dass meine Eltern sich nie wirklich für uns beide freuen würden. Wenn Mary einen neuen Verehrer anschleppte, war er meistens jung, extrem attraktiv und steinreich und somit genau das, was meine Eltern sich für uns wünschten. Aber manchmal hatte ich das Gefühl, ob wir dabei glücklich waren, spielte nur eine untergeordnete Rolle. Ich hatte wohl gedankenverloren auf den See hinaus gestarrt, denn ich blinzelte erst wieder, als uns der Tee und das Gebäck gebracht wurden.
David
You should learn to forget what I say. I know I do. Es klang fast schon versöhnlich oder entschuldigend, aber Lady Mary sah aus, als würde sie mich gleich bei lebendigem Leibe aufspießen und dann lief sie auch noch Hals über Kopf aus dem Museum. Widerwillen schaute ich ihr hinterher und schüttelte verwirrt den Kopf. Diese Frau hatte wirklich ein beachtliches Temperament und ich wusste nicht, ob mir das gefiel. Natürlich war es auch vollkommen egal, ob mir Lady Marys Temperament gefiel, rief ich mir in Erinnerung. Um wieder im Hier und Jetzt zu landen, schaute ich mich im Raum und hielt Ausschau nach Alastair. Er war nirgends zu entdecken, natürlich. Genervt suchte ich noch die nächsten beiden Räume nach ihm ab, wo ich ihn dann tatsächlich zusammen mit Lady Marys Begleitung und der zweiten, fremden Frau fand. "David, da bist du ja, wenn ich vorstellen da-" Aber ich hatte definitiv für heute genug von Frauen. "Das darfst du nicht, entschuldige mich, ich habe einen furchtbar wichtigen Termin vergessen und du hast ja nun neue Gesellschaft", sagte ich und versuchte, auch wirklich so auszusehen, als täte es mir leid. Ich nickte den Frauen kurz zu, wünschte den Dreien weiterhin viel Spaß und lief eilig aus dem Museum. Warum nur dachte ich immer noch an Lady Mary? Unser Gespräch war bereits 20 Minuten her und ich war immer noch genervt davon. Erleichtert atmete ich die kühle, frische Luft auf der Straße ein. Daran musste es bestimmt liegen, an der stickigen Luft im Museum.
Tom
Am liebsten hätte ich Lady Sybils Hand genommen, als wir auf die Menge zu- und schließlich durch sie hindurch gingen. Ich wusste zwar, dass sie mit solchen Situationen weit besser umzugehen wusste als zum Beispiel ihre Schwestern, aber das Gefühl, sie beschützen zu müssen, wurde ich dennoch nicht los. Trotzdem war es einfach schön zu sehen, wie ihre Augen bei den Worten der Rednerin strahlten und auch ich genoss die Atmosphäre. Gerade als ich dabei war, mich etwa mehr zu entspannen, ging alles ganz schnell: Lady Sybil wurde nach vorne gestoßen, ich griff geistesgegenwärtig nach ihrer Taille und sie nach meinem Arm. Einen Moment konnte ich einfach überhaupt nicht reagieren, weil ich ihr so nahe war und dann vergewisserte ich mich erst, dass sie wieder auf ihren eigenen Füßen fest stehen konnte, ehe ich sie vorsichtig losließ, aber noch immer anschaute. Mein Herz klopfte deutlich heftiger als noch vor einer Minute und das lag sicherlich nicht an der aufregenden Veranstaltung. "Ist alles in Ordnung, mylady?" Himmel, dieser Tag wurde ja immer prekärer. Und dennoch genoss ich es in vollen Zügen.

Sir Richard
Ich mochte ihre Bescheidenheit - andere Frauen nahmen Komplimente als selbstverständlich an und wurden wütend, wenn man ihnen keine machte. Genauso freute es mich, dass sie mir gleich zustimmte, dass wir uns wiedersehen würden. Sicherlich nicht so oft, wie ich es mir gerne wünschen würde - aber allein die Aussicht, nur ab und an Lady Ediths Gesicht sehen zu können, stimmte mich positiv. "Anders als in Yorkshire wird man sich hier wohl kaum über den Weg laufen", meinte ich lächelnd. Und da ich nicht gern zu Veranstaltungen wie Pferderennen oder Poloturnieren ging, müssten wir uns woanders treffen - was mir ganz recht war, denn dann hätte ich Lady Edith für mich allein. Lächelnd folgte ich ihrem Blick über den See, während sie eine ganze Weile nichts sagte. Ich wollte sie nicht stören und konnte sie dennoch unbemerkt beobachten. Erst als der Ober kam und den Tee einschenkte, kam sie aus ihrer Gedankenwelt zurück. Lächelnd sah ich sie an. "Es ist wirklich schön hier, nicht wahr? Ich bin viel zu selten in den Parks, dabei sind mir Londons Straßen oft zu voll und überladen", erzählte ich ihr dann und fing an, meinen Tee zu trinken.
Lady Mary
Zum Glück war unser Londoner Haus nicht weit entfernt von der National Gallery. Ansonsten hätte ich mir ein Taxi nehmen müssen oder den ganzen Weg laufen - auf beides konnte ich gut verzichten. Noch immer war ich wütend, während ich mir einen Weg durch die Menschen vor der National Gallery bahnte und mir dabei immer wieder einredete, dass ich eigentlich gar keinen Grund dazu hatte, mich jetzt so zu fühlen. Das Wiedersehen mit Mr. Howard war reiner Zufall gewesen und ein drittes Mal würde es nicht geben - nicht, nachdem auch unser heutiges Gespräch so eskaliert war. Das sollte mir eigentlich nichts ausmachen, er war schließlich nicht der erste Mensch in meinem Leben, den ich nicht mochte. Aber irgendwie machte es mir etwas aus. Natürlich erwartete niemand zuhause meine Rückkehr - Edith und Sybil waren beide unterwegs und auch Mama und Papa würden bei dem schönen Wetter sicher außer Haus sein. Das war mir ganz recht, so musste ich wenigstens niemandem vorspielen, dass ich einen tollen Nachmittag gehabt hatte. Ich klingelte gar nicht erst und ließ mir die Tür von Carson öffnen, sondern ging unbemerkt hinein und gleich hoch in mein Zimmer, um meinen Hut abzunehmen. Für die kurze Zeit in London war schon so einiges passiert - was eigentlich nur an Mr. Howard lag.
Sybil
Ich hatte Angst, wieder zu stürzen wie in Thirsk. Aber dieses Mal hatte ich Branson an meiner Seite, der mich so schnell packte, dass mir nichts passieren konnte. Da ich noch zusätzlich seinen Arm festhielt, blieb ich auf den Beinen. Nach kurzer Zeit stand ich wieder sicher und sah herunter auf seine Hand, die an meiner Taille lag. "Danke, Branson", sagte ich dann zu ihm, während er mich losließ. "Es geht wieder" Ich hatte mich wirklich erschrocken, aber durch Bransons Nähe hatte ich mich sicher gefühlt. Zum Glück war er da gewesen. Ansonsten hätte ich mir wieder eine Platzwunde am Kopf zugezogen und das nächste Donnerwetter von Papa über mich ergehen lassen müssen. Erst jetzt nahm ich auch meine Hand von seinem Arm, wir hatten wieder etwas mehr Platz um uns herum. "Ich hoffe, Sie sagen jetzt nicht, dass wir lieber gehen sollten. Durch diesen kleinen Schreck will ich mir nämlich nicht den Nachmittag verderben lassen", meinte ich dann lächelnd zu ihm.

Edith
"Naja, wir sind uns schon mal über den Weg gelaufen", erinnerte ich ihn lächelnd an unsere Begegnung bei Lady Cadwallers Gartenparty. Denn wie hoch war die Wahrscheinlichkeit schon gewesen, aus den tausenden Menschen in London gerade ihn dort zu treffen? "Aber Sie haben Recht, einen weiteren Zufall wird es vermutlich nicht geben. Also was schlagen Sie vor?" Ich fühlte mich so glücklich und leicht wie lange nicht mehr. Ich saß in einem wunderschönen Park, trank leckeren Tee und schaute auf den See hinaus – und das auch noch mit einem tollen Mann. "Es war eine tolle Idee, sich hier zu treffen", stimme ich ihm zu und nahm einen weiteren Schluck Tee. "Aber ich finde London einfach nur aufregend. Yorkshire kann so langweilig werden, wenn man den größten Teil seines Lebens dort verbringt." Wieder einmal hatte ich das Gefühl, etwas Falsches gesagt zu haben, denn Sir Richard sollte nicht denken, dass ich ein übermäßig aufregendes Leben brauchte. Einen Mann an meiner Seite zu haben, war mir viel wichtiger.
Tom
Zum Glück schien Lady Sybil wirklich nichts passiert zu sein. Ich sah mich nach dem Mann um, von dem ich glaubte, dass er sie angerempelt hatte, konnte ihn aber nicht mehr entdecken – vermutlich war es auch besser so, denn sonst hätte ich ihm meine Meinung dazu gesagt, wie ich es fand, Frauen zu stoßen. "Als Chauffeur, der für Euch verantwortlich ist, sollte ich das eigentlich tatsächlich sagen", antwortete ich ernst, zog dann aber mit einem leichten Grinsen die Augenbrauen hoch. "Aber als Sozialist sagte ich, dass es gerade spannend wird." Natürlich war es unvernünftig, aber die Aufregung über das Geschehen auf der Rednerbühne und darüber, dass ich mit Lady Sybil hier war, war einfach zu groß. Ich machte eine Kopfbewegung nach vorne, wo nun John Wenham die Bühne betrat. Gespannt hörte ich zu, achtete dabei aber darauf, so hinter Lady Sybil zu stehen, dass niemand sie stoßen konnte.

Sir Richard
Lächelnd dachte ich an die nächsten Male, an denen ich Lady Edith treffen würde. "Nun ja, ich könnte sie wieder auf einen Tee einladen. Außerdem gibt es so viele Ausstellungen - Kunst, Theater, Musik. Ich richte mich da wirklich ganz nach ihren Interessen" Wann hatte ich das letzte mal so viel gelächelt und geredet? Nach all den Monaten kam ich mir wie ein neuer Mensch vor, der das Leben wieder in vollen Zügen genießen konnte. "Das ist wohl ein Unterschied zwischen uns - meiner Meinung nach ist die Mischung aus dem Landleben in Yorkshire und den Sommermonaten in der Stadt genau richtig. Nach dem Trubel in der Stadt genieße ich die Ruhe auf dem Land und in London genieße ich es, so viel unternehmen zu können. Was meinen Sie dazu? Ich hoffe, ich kann ihre Langeweile in Yorkshire ein wenig mindern, wenn wir uns wieder zu einer Autofahrt treffen" Breit lächelnd sah ich sie an und wünschte mir, dass sie heute Abend nicht wieder gehen müsste.
Sybil
Ich erwiderte sein Grinsen - dafür mochte ich ihn. Welcher andere Mann würde mich schon auf einer solchen Veranstaltung lassen, die im schlimmsten Fall in einer Prügelei enden würde? Nur jemand, der das gleiche Interesse für Politik hatte wie ich. Ich war wirklich froh, dass Branson mit mir mitgekommen war und nicht nur im Auto wartete. Er schien es genauso zu genießen wie ich, als John Wenham die Bühne betrat und gleich mit seiner feurigen Rede loslegte, die immer wieder von Gegenrufen unterbrochen wurde. Die Energie, die ich jetzt hier spürte, würde ich zuhause nie erleben können. Das hier war das wirkliche Leben. Und genauso wie ich waren die anderen Menschen hier, damit sich etwas veränderte. Gespannt hörte ich zu und sah an Stellen, die besonders spannend waren, immer wieder zu Branson, der mich jedes Mal lächelnd ansah.

Edith
Die nächsten Wochen nicht ausschließlich mit meiner Familie verbringen zu müssen, war eine tolle Aussicht. "Im Theater war ich tatsächlich schon lange nicht mehr", lächelte ich und bekam schon bei der Vorstellung, mit Sir Richard ins Theater zu gehen, ganz weiche und zittrige Knie. Wie gut, dass ich saß. "Aber Sie haben Recht, es gibt so viele Beschäftigungsmöglichkeiten hier." Langweilig würde uns mit Sicherheit nicht werden. "Ich brauche nach der Ruhe auf dem Land definitiv das Stadtleben, aber wenn ich erstmal in London bin, will ich nicht mehr zurück. Da werden wir uns wohl nicht einig", lachte ich. "Aber Sie können gerne dazu beitragen, meine Langeweile in Yorkshire zu mindern." Ich konnte gar nicht anders, als sein Lächeln zu erwidern. Langsam hatte ich das Gefühl, dass meine Wangen bald an meine Augen stoßen würde, wenn ich weiter so breit lächelte. Ihn immer noch ansehend, griff ich nach einem Keks – und erschrak, als ich statt dem Gebäck plötzlich seine Hand unter meiner spürte. Anscheinend hatte er dieselbe Idee gehabt wie ich.
Tom
Ich bekam eine Gänsehaut und wusste nicht, ob sie daran lag, dass die ganze Menge nun John Wenham zujubelte oder an Lady Sybils Anwesenheit und Nähe. Ein Mal hatte ich noch den Eindruck, dass sie gleich hinfallen könnte und hielt sie an den Schultern fest, aber es stellte sich als Fehlalarm heraus. Ich konnte allerdings nicht behaupten, dass es mich störte, sie zu berühren. Eine Weile ging es noch relativ friedlich zu, und wäre ich nicht um Lady Sybils Sicherheit Willen so aufmerksam gewesen, hätte ich die Polizisten, die sich schnell der Menge näherten, vielleicht gar nicht gesehen. "Verdammt", fluchte ich, als würde nicht die Tochter meines Arbeitgebers neben mir stehen. "Die Polizei ist hier", erklärte ich Lady Sybil, die kleiner war als ich und die Polizisten deshalb noch nicht gesehen hatte. Ohne weiter nachzudenken, griff ich nach ihrer Hand und zog sie zum Rand der Menge.

Sir Richard
Nachdem wir in York in einem Konzert waren, würde es also in London das Theater werden. "Dann sollten wir das schleunigst ändern. Schließlich sind wir hier in London, jeden Abend gibt es unzählige Vorstellungen und die besten Schauspieler findet man oft nur in der Hauptstadt", schmückte ich unseren Plan weiter aus. Morgen würde ich mich definitiv nach den Stücken erkunden, die gespielt wurden. Das letzte Wort würde aber Lady Edith haben - ich war kein großer Theaterkenner und würde mir alles ansehen, was sie interessierte. Wahrscheinlich würde ich die meiste Zeit sowieso meine Begleiterin beobachten und nicht dem Stück folgen. "Ich werde mein bestes geben", meinte ich breit lächelnd - es war mir wirklich ernst, sie in Yorkshire nicht der Langeweile verfallen zu lassen. So war es mir schließlich auch gegangen, als ich in ihrem Alter gewesen war. Vielleicht konnte ich Lady Edith ein wenig davon zeigen, warum ich das Landleben so gern hatte. Wir hatten das Gebäck bisher nicht angerührt, weil wir uns so angeregt unterhielten - als ich aber jetzt nach einem der Kekse griff und meine Begleiterin dabei weiter ansah, spürte ich auf einmal eine Berührung. Es war wie ein Stromschlag, als ihre Hand meine traf. Ich kam mir wirklich mutig vor, als ich tatsächlich das Gebäck ignorierte und ihre Hand in meine nahm - nur kurz, sodass ich kurz mit meinem Daumen über ihren Handrücken streichen konnte.
Lady Sybil
Die Rede von John Wenham riss mich wirklich mit - erst Bransons Fluchen ließ mich darauf aufmerksam werden, dass die Menge wirklich unruhig war. Ich konnte allerdings nichts genaueres erkennen. Auf einmal überschallte das Pfeifen eines Polizisten die Rede und ließ in der Menge Panik ausbrechen. Ich wusste nicht, warum die Polizei kam und hatte auch keine Zeit, mir weitere Gedanken darum zu machen. Denn Branson hatte viel schneller als ich bemerkt, dass etwas los war. Ich fühlte seine raue Hand in meiner und wurde von meinem Platz weggezogen. Mit der anderen Hand hielt ich meinen Hut fest, während immer mehr Polizisten kamen und auch die Menschen um mich herum anfingen, wegzulaufen. Branson zog mich in eine Seitengasse und ich stolperte beinahe, während uns andere anrempelten und viele schrien. Ich spürte, wie ich den Halt seiner Hand verlor und schließlich auch seine grüne Chauffeursmütze nicht mehr sehen konnte. "Branson!", rief ich laut und konnte nicht anders, als mit der Menge weiterzulaufen. Ich hatte nicht nur Angst um mich, sondern auch um ihn. Doch so schnell, wie ich seine Hand verloren hatte, fanden wir beide wieder zusammen. Sofort fühlte ich mich besser "Wir müssen zurück zum Auto!", rief ich ihm zu, während ich meinen Griff verstärkte.

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