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Edith
Glücklich schaute ich zwischen Mama und Richard hin und her. Dass die beiden auch nur ein paar freundliche Worte miteinander wechselten, bedeutete mir so viel. Nachdem auch die letzte Person am Tisch den leckeren Pudding aufgegessen hatte, saßen wir Kaffee trinkend nebeneinander im Salon. "Was denkst du denn?", antwortete ich. "Ich könnte platzen vor Glück." Und wie um meine Worte zu untermalen, lächelte ich breit. Am liebsten hätte ich ihn sofort wieder geküsst, aber das ging natürlich nicht hier, vor allen anderen. Der Abend war viel zu schnell rum, Richard verabschiedete sich und, zu meiner grenzenlosen Erleichterung, waren meine Eltern weiterhin nett zu ihm und schienen sich sogar für uns zu freuen. Nur Mary war nach wie vor nur mäßig gut gelaunt. Dennoch – als ich wenige Stunden später im Bett lag, hatte ich noch immer ein breites Lächeln auf den Lippen. Den heutigen Tag konnte ich als schönsten Tag meines Lebens verbuchen.

Jimmy
Mit dem bevorstehenden Abschied aus London vor Augen hatte ich immer öfter an Lady Anstruther denken müssen - ohne Frage war die gemeinsame letzte Nacht mehr als aufregend gewesen. Und genau deshalb wollte ich es so sehr gern wiederholen. Nur noch einmal - bevor ich wieder im hohen Norden vor Langeweile sterben konnte. Mit Lady Ediths Verlobung, die unten bei den Dienstboten natürlich das Thema Nummer eins war, war Carson schon jetzt aufgeregt gewesen, denn ihre Ladyschaft hatte verkündet, die Hochzeitsfeier auf Downton stattfinden zu lassen. Gleichzeitig hieß das aber auch, dass er ein wenig besser gelaunt war, wie immer, wenn den Crawleys etwas gutes passierte. Auch wenn seine Lordschaft nicht gerade strahlend vor Glück gewirkt hatte, war es eine respektable Hochzeit und das mochte Carson. Und da ich sowieso noch meinen halben freien Tag hatte, hatte ich ihn einfach gefragt - ob ich nach dem Dinner ein wenig Freizeit haben könnte. Natürlich nur für etwas Anständiges. Zum Glück war Mrs. Hughes auch da und so bekam ich tatsächlich abends Ausgang. Manchmal war der beste Weg einfach ganz offen zu fragen. Ich musste nur morgen früh wieder in meinem Bett liegen und alles würde gut sein. Da Thomas natürlich Bescheid wusste und mich decken würde, war ich ganz entspannt, als ich wieder zu Lady Anstruthers Londoner Haus ging. Dieses Mal war sie vorgewarnt, ich hatte ihr einen kurzen Brief geschrieben. Es wäre zu ärgerlich, sollte sie gerade heute Abend außer Haus sein und ich würde meine Chance auf eine letzte gemeinsame Nacht verpassen, wo wir doch in den nächsten Tagen abreisen würden. Da ich es beim letzten Mal schlussendlich doch nicht geschafft hatte, mich gegen Lady Anstruther durchzusetzen und sie ihre Spielchen treiben konnte, wollte ich heute Abend hart bleiben und nach meinen Regeln spielen. Mal sehen, ob das klappen würde.

Lady Anstruther
Die Nacht mit Jimmy war ein voller Erfolg gewesen und ich hatte sie eigentlich so schnell wie möglich wiederholen wollen. Allerdings wirkte ich nur ungern verzweifelt und ich wurde das Gefühl nicht los, dass Jimmy sich ohnehin wieder melden würde. Ihn im Grantham House aufzusuchen oder auch nur einen Brief zu schreiben, wäre ohnehin sehr riskant gewesen. Umso beschwingter war ich, als ich ein paar Wochen später tatsächlich einen Brief von Jimmy erhielt, in dem er sich ankündigte. Dass er jedoch schon sehr bald nach Yorkshire zurückkehren würde, passte mir überhaupt nicht. Mein letzter Versuch, ihn wieder unter mein Dach zu bekommen, war gescheitert – aber ich war mehr als gewillt, es nochmal zu probieren. Die Aussicht, ihn wieder monatelang nicht sehen zu können, war einfach zu schrecklich und wer sagte, dass er seine Meinung nicht ändern würde? Am besagten Abend zog ich mich nach dem Dinner nochmal um. Im Nachthemd würde ich ihn diesmal nicht empfangen, sondern trug ein recht einfaches, bequemes, aber freizügiges dunkelblaues Kleid. Außerdem hatte ich den Angestellten mitgeteilt, dass ich selbst an die Tür gehen würde – aber auch das kam ihnen mittlerweile nicht mehr komisch vor. Jimmy hingegen würde es hoffentlich überraschen. Bei unserem letzten Treffen hatte er mir deutlich zu oft das Ruder aus der Hand genommen. "Jimmy, komm doch rein", sagte ich ohne Umschweife und genoss seinen verwirrten Blick. "Möchtest du wieder in die Bibliothek oder würdest du diesmal mein Bett vorziehen?", fragte ich und nahm ihn beim Arm, als wir uns in Bewegung setzten. "Oh, Gregory", sagte ich, als er, mit eingezogenem Kopf und auf dem Weg nach unten, an uns vorbei lief. "Wir hätten gerne noch zwei Between The Sheets in meinem Schlafzimmer." Greg nickte höflich, sagte "Sehr wohl, mylady" und wollte schon wieder verschwinden, als mir etwas einfiel. "Oh, ihr beide kennt euch ja noch gar nicht, Greg habe ich nämlich erst nach meiner Frankreichreise eingestellt", erklärte ich Jimmy gespielt überrascht. "Greg, das ist Jimmy. Ihr werdet wohl bald Arbeitskollegen sein, nicht wahr, Jimmy?", flötete ich. Jimmy sah mehr als erschrocken aus, deshalb beschloss ich, es vorerst dabei zu belassen, und zog ihn schnell mit in Richtung Schlafzimmer. Wie lange konnte er meine Angebote auch noch ausschlagen?

Jimmy
Ich hatte einen Diener erwartet oder die Haushälterin wie beim letzten Mal. Dass mir die Herrin des Hauses die Tür selbst öffnete, war mehr als ungewöhnlich und ich dementsprechend überrascht. Aber ich hatte damit rechnen müssen, schließlich hatte ich mich heute Abend angekündigt und wahrscheinlich hatte sich Lady Anstruther schon ganz genau ausgedacht, wie unser heutiges Treffen aussehen würde. Eine Überraschung an der Haustür gehörte anscheinend auch dazu. Wenigstens hatte sie mehr an als beim letzten Mal, auch wenn Lady Grantham niemals auch nur in die Nähe von Lady Anstruthers Abendkleid gekommen wäre. Aber so war sie nun einmal. Bevor ich sie auch nur begrüßenoder auf ihre Frage antworten konnte, hatte sie mich bereits am Arm gepackt und lenkte mich in Richtung der Treppe. Heute Nacht würde es wohl das Schlafzimmer werden. Und gerade von der Treppe kam auch ihr Diener. Am liebsten hätte ich Lady Anstruthers Arm losgelassen, aber sie hielt mich so fest, dass das nicht möglich war. Ein wenig unangenehm war es mir schon, aber sie bestellte nur Cocktails und Greg war ausgesprochen diskret. Greg sah mich nicht direkt an - bis zu dem Zeitpunkt, als ich als neuer Arbeitskollege vorgestellt wurde. Ich öffnete den Mund, um zu protestieren, als mich Lady A in ihr Schlafzimmer zog. Neuer Arbeitkollege? Ich hatte meine Meinung nicht geändert, ganz im Gegenteil. "Was sollte das bitte?", fragte ich und zog endlich meinen Arm aus ihrem. "Ich werde nicht wieder für dich arbeiten" Ich hatte eigentlich gehofft, den heutigen Abend ohne dieses Thema über die Bühne bringen zu können.

Lady Anstruther
Mein Vorhaben lief nicht wie geplant, nicht im geringsten. Denn sobald die Tür meines Schlafzimmers hinter uns zugefallen war und ich eigentlich alles, außer diskutieren mit Jimmy vorgehabt hatte, fing er genau damit an und zog seinen Arm weg. "Warum nicht? Wir könnten so viel Spaß haben zusammen", erwiderte ich und sah ihn vorwurfsvoll an. Ich verstand nicht, warum er sich so zierte. Soweit ich wusste, gab es keine Frau auf Downton Abbey, mit der er sich besonders gut verstand und ich war mit Sicherheit eine bessere Arbeitgeberin als Lady Grantham. "Was hält dich nur bei den Crawleys, was hast du dort, was du hier nicht hast?" Ich war fast schon eifersüchtig. Nicht, dass ich das jemals zugeben würde. Trotzdem – andere junge Männer würden sich um diese Stelle prügeln, nur Jimmy wollte nicht. Warum nur? Einerseits hatte ich keine Lust, mich mit ihm zu streiten, denn das würde sowieso nur darauf hinauslaufen, dass ich nicht mehr von ihm bekam, was ich wollte. Andererseits, was bildete er sich ein, eine Frau wie mich abzulehnen? Meinen Stolz verletzte man für gewöhnlich nicht ungestraft.

Jimmy
Ich wusste, dass das Thema ein Stimmungskiller war und es vermutlich nur verzögern würde, warum ich hier war. Aber ich konnte es nicht einfach so stehen lassen - denn vermutlich würde Greg jetzt unten allen erzählen, dass bald ein neuer Diener kommen würde. Außerdem hatte Lady Anstruther die Nachricht viel zu sicher verkündet - dabei wusste sie doch, dass ich schon beim letzten Mal abgelehnt hatte. Sie mochte zwar bei allem anderen ihren Willen bekommen, aber hier ging es schließlich um mein eigenes Leben und da hatte ich gern selbst noch ein Wort mitzureden. Also mussten wir jetzt wohl diese Diskussion führen - die hoffentlich nicht so lange dauern würde, dass keine Zeit mehr für den Spaß sein würde. "Du wusstest ganz genau, wie ich darüber denke und trotzdem stellst du mich schon als neuen Kollegen vor. Ich habe damals nein gesagt und werde es auch heute wieder tun. Im Moment gefällt es mir bei den Crawleys", antwortete ich ihr und verschränkte erstmal die Arme vor der Brust. Ich konnte selber keinen genauen Grund benennen, aber ich wollte nicht einfach wieder Lady Anstruthers Spielgefährte werden, der am Tag für sie arbeitete und in der Nacht in ihrem Bett lag. Als ich das letzte Mal für sie gearbeitet hatte, war sie wenigstens diskret gegenüber den anderen Dienstboten gewesen. Jetzt wusste Greg ganz genau, dass ich hier oben mit ihr war und bald seine Cocktails schlürfen wurde. Wie sollte ich da mit ihm zusammenarbeiten? "Können wir nicht einfach heute Nacht genießen und du gibst dich damit zufrieden?", fragte ich dann, denn jede Minute, die verging, war ein verlorene Minute, in der ich sie nicht küssen konnte. Ich war ja nicht zum reden hergekommen. "Es klappt doch auch so ganz gut" Schließlich war ich jetzt hier, auch wenn ich nicht für sie arbeitete.

Lady Anstruther
Im Moment gefällt es mir bei den Crawleys. Was war das nur für eine schlechte Begründung? "Es gefällt dir bei den Crawleys", wiederholte ich trocken. "Bei mir gefällt es dir aber offensichtlich auch. Warum also sollte ich nicht davon ausgehen, dass du zu mir zurück kommst? Wenn es um Geld geht", sagte ich lächelnd, "werde ich dir weit mehr zahlen als die Crawleys." Mein verstorbener Ehemann hatte schließlich dafür gesorgt, dass ich mir mit seinem Geld alle beliebigen Diener ins Haus holen konnte – weil sie weder mir noch meinem Geld widerstehen konnten. Etwas wütend musterte ich Jimmy, der mit verschränkten Armen vor mir stand, nahm mir eine dünne Strickjacke, die über einem Stuhl lag und legte sie mir über die Schultern, sodass ihm der Blick auf mein Dekolleté verwehrt blieb. "Tut mir leid", sagte ich langsam, "aber ich fürchte, ich bin keine Frau, die sich mit halben Angelegenheiten zufrieden gibt. Ich habe auch meinen Stolz, wie du sicher weißt." Ich war einfach zu gekränkt und wütend, als dass ich mich jetzt noch auf heute Nacht hätte einlassen können – auch, wenn es wirklich verlockend war. Ich hatte nur wenige Prinzipien, aber an die hielt ich mich. Und dazu zählte, dass ein Mann, wenn er mich nicht wertschätzen konnte, gar nichts bekam.

Jimmy
Natürlich, sie wurde zickig. Jetzt hatte ich die Nacht wirklich ruiniert - aber eigentlich war es ihre Schuld, indem sie sich nicht damit zufrieden gab, dass ich für eine andere Familie arbeitete und sie nicht an erster Stelle in meinem Leben stand. Ihr Stolz war verletzte und die einzige Möglichkeit, dass ich in dieser Nacht doch noch in ihrem Bett landen konnte, war entweder wieder für sie zu arbeiten (was ausgeschlossen war) oder ihr so viel Honig um den Mund zu schmieren, dass sie sich trotzdem auf mich einlassen würde. Als sie ihre Strickjacke nahm, dachte ich schon, die Nacht wäre gelaufen. Aber ich wollte es wenigstens versucht haben. "Vielleicht komme ich ja zu dir zurück - nur eben nicht heute", meinte ich vage und sah sie mit meinem Hundeblick an. "Nächstes Jahr kann es schon ganz anders aussehen, wenn ich einen einsamen Winter in Yorkshire verbracht habe" Ich ging einen Schritt auf sie zu und spielte mit ihrer Strickjacke. Ihr Blick war noch immer hart. "Ich würde dich niemals kränken wollen. Natürlich gefällt es mir hier - sehr sogar" Ich lächelte sie anzüglich an und ließ meine Hand auf ihrem Arm ruhen. "Aber so ist es doch viel aufregender, als wenn ich jeden Tag in deiner Nähe verbringen würde. Früher oder später würde es dir langweilig werden" Und dann würde sie sich einen anderen Mann suchen und ich hätte umsonst die Stelle gewechselt. Ich ließ meine Hand nach oben wandern, um die Jacke auszuziehen. "Bitte. Genieß einfach heute Nacht", flüsterte ich.

Lady Anstruther
Ungläubig sah ich Jimmy an, als er erwähnte, möglicherweise doch irgendwann – später – wieder für mich zu arbeiten. "Jimmy, wirklich, sehe ich so naiv aus? Du hast schon einige Winter in Yorkshire verbracht, ohne danach zu mir zurück zu kommen", erwiderte ich und ignorierte seine Hand an meiner Strickjacke. Es war offensichtlich, was Jimmy vorhatte, und theoretisch wollte ich ja das gleiche wie er. Praktisch aber stand mir mein Stolz im Weg. "Wenn es dir hier gefällt, sehe ich keinen Grund, nicht zu bleiben", sagte ich kühl und schob seine Hand beiseite. "Uns würde nicht langweilig werden, das weißt du genau." Oh, ich hatte Ideen, so viele Ideen, für die ich Jimmy nur allzu gut brauchen konnte. Aber eben hier, und nicht in Yorkshire. Stur hielt ich die Strickjacke fest und rückte etwas von ihm ab. "Nein. Tut mir leid. Du musst dich entscheiden." Ich sah ihm direkt in die Augen. Wenn er jetzt ablehnt, ist er ein Idiot, der mich eh nicht verdient hat.

Jimmy
Wenn selbst bei meinem Charme der Punkt kam, dass eine Frau ablehnte, dann war es wirklich ernst. Wirklich, musste sie so einen Aufstand machen? Aber andererseits... Es war sehr verlockend, mehr Zeit mit Lady Anstruther verbringen zu können. Und langweilig würde es wirklich nicht werden. Sie war reich und sie wollte mich. Nur eben nicht jetzt, wo ich nicht das tat, was sie von mir verlangte. Für einen Moment war ich kurz davor, zuzusagen. Denn ich wollte ein Leben voller Spaß haben, reisen - all das konnte mit Lady Anstruther bieten. Ich musste dafür nur meine Freiheit aufgeben. One day I'll be a good boy and settle down. War das vielleicht Lady Anstruther? Die Frau, mit der ich sesshaft werden würde? Ich biss mir auf die Lippe. Nein. Ich wollte nicht den Rest des Lebens ihr Schoßhündchen sein, bis sie früher oder später auch von mir gelangweilt sein und mich gegen einen noch jüngeren und hübscheren Mann eintauschen würde. So verlockend ihr Angebot auch war. Aber ich würde immer ihr Diener bleiben und nicht ihr ebenbürtiger Mann. So weh es tat und so sehr ich es auch bestimmt diesen Winter bereuen würde, ich musste ablehnen. Ich erwiderte ihren direkten Blick und trat einen Schritt zurück. Das war eigentlich schon Antwort genug. "Und ich bin nicht so naiv, dass ich dein Angebot annehme und für immer dein kleiner Liebhaber bleibe, mit dem du machst, was du willst", sagte ich ihr. "Was glaubst du wohl, wie es wäre wieder hier zu arbeiten, wenn jeder unten von den Dienstboten wüsste, was wir hier oben machen? Dir mag das egal sein, du hast genug Geld, dass dir dein Ruf egal sein kann, aber mir geht es nicht so. Tut mir leid, aber nein" Ich würde mich nicht zum Gespött machen lassen, nur um jede Nacht neben einer Frau zu verbringen, die dachte, dass sie zwanzig Jahre jünger war.

Lady Anstruther
Jimmys Ablehnung war ein Schlag ins Gesicht für mich, aber das ließ ich mir nicht anmerken. "Na schön", sagte ich und atmete tief durch. "Dann ist es wohl besser, wenn du jetzt gehst." Mit erhobenem Kinn wies ich zur Tür. Natürlich war der Ausgang dieses Abends eine Katastrophe und nicht vorhergesehen. Aber ich würde einen anderen finden, nein, ich hatte sogar schon andere, wenn auch niemand mit Jimmy vergleichbar war. Aber für meinen Geschmack brachte er mir deutlich zu wenig Wertschätzung entgegen. Wütend riss ich mir die Strickjacke von den Schultern, sobald die Tür hinter Jimmy zugefallen war und schmiss sie auf mein Bett. Aber der Abend war noch jung und mir war nicht danach, jetzt schon ins Bett zu gehen. Ich ließ Rachel nach oben kommen, die, falls sie über Jimmys vorzeitigen Abgang überrascht war, es nicht zeigte und ließ mir in eines meines Lieblingskleider helfen. Ich war schon viel zu lange nicht mehr allein aus gewesen – nichts eignete sich besser, um Männer kennenzulernen, als alleine Cocktails trinken zu gehen. Und in spätestens einer Woche würde Jimmy vergessen sein.

Jimmy
Eigentlich hatte ich frech sein und sie noch einmal küssen wollen - aber wenn Lady A wütend war, dann richtig. Ich sah sie an und entschied mich gegen einen Kuss. Ich wollte mir keine Ohrfeige einfangen. Und auch wenn ich es bereuen würde, in diesem Moment war ich wirklich wütend, weil sie mich einfach nicht verstehen konnte. Also sah ich sie noch ein letztes Mal an, öffnete dann die Tür und schloss sie hinter mir. Schnell lief ich die Treppe nach unten und hoffte, keinem der anderen Dienstboten zu begegnen. Zum Glück war es ruhig und ich öffnete einfach die Haustür. Tief einatmend blieb ich noch einen Moment stehen und sah an der Fassade hoch. Das Kapitel 'Lady Anstruther' war also wohl abgehakt - und mir stand ein Winter im tiefsten Yorkshire bevor. Aber ich war zuversichtlich, dass ich auch in dieser aussichtslosen Lage meinen Spaß haben würde. Thomas war mehr als überrascht, als ich wieder zurückkam, während selbst noch Carson wach war. Ich berichtete ihm kurz die Geschehnisse, während wir in unser Zimmer gingen und ich allein in meinem Bett einschlief.

[...]
Tom
Von allen Dienstboten machte es für mich vermutlich den größten Unterschied, ob wir uns in London oder in Yorkshire befanden – denn auf Londons Straßen war deutlich mehr los. Vielleicht freute ich mich auch deshalb, als wir wieder nach Downton fuhren, wo die Straßen leerer waren. Vielleicht aber auch, weil Lady Sybil dort weniger Möglichkeiten hatte, mir aus dem Weg zu gehen. Denn seit unserem letzten kleinen Abenteuer schien sie mich zu vermeiden – vielleicht war es auch nur Zufall, aber im Grunde genommen war mir ja klar, dass ich meine Kompetenzen teilweise weit überschritten hatte. Ich konnte eigentlich froh sein, nicht gefeuert worden zu sein, nachdem ich Lady Sybil so angefasst hatte, wie ich es an diesem Nachmittag eben getan hatte. Trotzdem vermisste ich sie und die ständigen Möglichkeiten, ihr etwas näher zu kommen und mein Glück immer wieder aufs Neue herauszufordern.
Nur wenige Tage nach unserer Rückkehr nach Yorkshire aber ergab sich eine Möglichkeit, genau das zu tun – auch, wenn ich es diesmal nicht beabsichtigt hatte. Denn an wen sonst, wenn nicht an Lady Sybil, hätte ich denken können, als eines Morgens Jimmy mit der Zeitung auf mich zukam und ich sie nicht einmal aufschlagen musste, um zu erfahren, worüber sich vermutlich nur wenige so sehr freuen würden wie sie: Frauen wurde endlich das Wahlrecht zugestanden. Es herrschte verhältnismäßig viel Aufruhr im Dienstbotenraum und viele verschiedene Meinungen prallten aufeinander: Carson sah aus, als fürchte er um die innere Sicherheit unserer Politik angesichts so viel Macht für die Frauen während Daisy gestand, dass sie nicht einmal wüsste, wen sie wählen sollte und ihr das viel zu viel Verantwortung war. Ich hingegen war mehr als zufrieden – endlich waren wir wirklich im 20. Jahrhundert angekommen und ich wollte derjenige sein, der das Lady Sybil mitteilte. "Jimmy", sagte ich unauffällig zu ihm, während wir inmitten der Unruhe im Dienstbotenraum standen und Jimmy noch immer die Zeitungen in der Hand hielt. "Weißt du, wo Lady Sybil ist?" Jimmy schaute mich misstrauisch an, aber ich wusste, dass er niemand war, der mich gleich bei Carson anschwärzen würde wegen dieser Frage und er wusste Gott sei Dank auch eine Antwort: Madge hatte ihm erzählt, dass sie noch vor dem Frühstück hatte spazieren gehen wollen, warum auch immer. Ehe Jimmy reagieren konnte, hatte ich mir eine Zeitung aus seinem Arm geschnappt, "ich bringe sie gleich wieder zurück!" gerufen und rannte nach draußen. Zu spät fiel mir ein, dass ich keine Ahnung hatte, wo genau Lady Sybil spazieren war – das Gelände war immerhin nicht unbedingt klein. Etwas frustriert lief ich einfach meiner Nase nach, nur um kurz darauf wieder die Ohren zu spitzen, weil ich Schritte hörte. War das...? Sie war es. Lady Sybil lief einen Weg einige Meter von mir entfernt entlang. Sofort verfiel ich wieder in einen Laufschritt. "Mylady!", rief ich. "Mylady, es ist geschafft, das Wah-" Dann allerdings war ich schon bei ihr angekommen, bremste gerade noch ab, um nicht in sie hineinzurennen und hielt ihr strahlend die Zeitung entgegen. Gespannt und etwas außer Atem beobachtete ich ihr Gesicht, während sie las.

Sybil
Die letzten Tage in London war Ediths bevorstehende Hochzeit natürlich das Gesprächsthema. Während Mary vollkommen abblockte und am liebsten sofort das Zimmer verließ, sollte es jemand ansprechen, redete ich breit lächelnd mit Edith über alles, was bis dahin bedacht werden musste. Gleichzeitig wusste ich aber auch eines: Sobald Edith verheiratet war, würde Mama noch vehementer dafür sorgen, dass es bei Mary und bei mir auch bald soweit war. Nur hatte ich während meiner Zeit in London einiges herausgefunden - die Männer, mit denen ich dort in Kontakt war, wollte ich nicht haben. Sie interessierten sich nur für die Jagd, ihr Anwesen oder ihre anderen Hobbies. Niemand kümmerte das wirklich Wichtige, das wiederum mein Interesse war - Politik, das Frauenwahlrecht, Armut und andere Notleiden. Keiner von ihnen hatte mit mir ausführlich und ernsthaft darüber reden wollen. Alle außer einer. Branson.
Unser gemeinsamer Nachtmittag hatte mir zu denken gegeben. Schon vorher war er einfach mehr für mich, als einfach der Chauffeur. Aber an diesem Nachmittag war es dann doch noch weitergegangen. Noch immer spürte ich die Berührungen von seiner Haut auf meiner, sobald ich daran dachte. Danach hatte ich es vermieden, allein mit ihm zu sein. Aber ich hatte einfach keine Ahnung, wie ich damit umgehen sollte. Mittlerweile war ich mir sicher, dass er mich mochte. Und dass ich ihn auch mochte. Aber es war einfach zu viel. Und deshalb war ich in London zu keiner weiteren Veranstaltung mehr gegangen, auch wenn ich liebend gern mit den anderen Frauen für das Wahlrecht protestiert hätte, über das das Parlament bald abstimmen würde. Und jetzt waren wir zurück in Yorkshire. Und noch immer musste ich oft an Branson denken. Edith hatte einen nahezu perfekten Ehemann gewählt, der bis auf sein Alter genau in Mamas und Papas Schema passte - Geld, Titel und Anwesen waren vorhanden. Auch Marys Ehemann würde so aussehen, das wusste ich. Und jedes Mal wenn ich daran dachte, was ich für meine Zukunft wollte, hatte ich keine Ahnung - und immer wieder tauchte gerade dann Branson in meinen Gedanken auf. Heute Morgen war es besonders schlimm gewesen und so war ich noch vor dem Frühstück nach draußen gegangen, um einen Spaziergang zu machen und ungestört nachdenken zu können. Ich zog meine Strickjacke enger um mich, denn noch war es kalt. An einer Weggabelung blieb ich stehen und sah in die Ferne, weg von Downton Abbey. Seufzend ging ich dann doch weiter und hielt inne, als mich jemand rief. Branson? War etwas passiert? Aber er sah gar nicht danach aus, als er mit einem breiten Lächeln und der Zeitung in der Hand auf mich zugelaufen kam. Ohne zu zögern griff ich nach der Zeitung und las. Die Titelseite reichte. Frauen hatten das Wahlrecht. Ich sah auf zu Branson und strahlte genauso wie er. Und bevor ich es mich versah, hatte ich die Arme um ihn gelegt und er seine um mich und wir lachten einfach, weil es geschafft war. Frauen hatten das Wahlrecht. Es war in diesem Moment egal, dass wir uns schon wieder viel zu nah waren, dass uns wohlmöglich jemand sehen konnte oder dass ich keine Ahnung hatte, wie ich mit Bransons Gefühlen für mich umgehen sollte. "Endlich!", sagte ich dann, als wir uns losließen und ich noch immer die Zeitung in der einen Hand hielt - und seine in der anderen. "Unglaublich, das ist ein so großer Schritt!" Ich konnte gar nicht aufhören, zu lachen.

Tom
Sobald ich Lady Sybil die Zeitung gezeigt hatte, ging alles ganz schnell: Sie las, ihr Gesichtsausdruck hellte sich auf und dann sah sie mich an und – umarmte mich. Nur einen kurzen Moment lang war ich zu überrascht, um zu verstehen, was sie da tat, dann legte ich ebenfalls die Arme um sie und stimmte in ihr Lachen mit ein. Sie freute sich so ehrlich und aufrichtig, dass ich das Gefühl hatte, mein Herz würde buchstäblich aufgehen. Auch, als wir uns losließen, hielt sie weiterhin meine Hand. Nachdem wir in den letzten Wochen so wenig Kontakt gehabt hatten, war ich verwirrt über diesen Gefühlsausbruch, aber mehr als angenehm überrascht. "Ja, es wurde wirklich Zeit", stimmte ich ihr zu. Das breite Lächeln auf meinen Lippen würde ich vermutlich erst in ein paar Tagen wieder loswerden. Sie hatte mich umarmt! Ich konnte den Stoff ihrer Strickjacke noch regelrecht unter meinen Fingerspitzen fühlen und den Duft ihrer Haare riechen. Zwar wollte ich mir nicht allzu viele Hoffnungen machen – aber wie sollte das schon funktionieren, wenn ich ihr so viel näher war, als ich es als Chauffeur sein sollte? Wie um mich zu versichern, dass das hier real war, drückte ich ihre Hand.

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