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Sybil
Ich hatte damit gerechnet, nach all den Gedanken, die mich in der letzten Nacht in meinem großen Bett in Downton Abbey wach gehalten hatten, am Morgen nur noch nervöser zu sein. Stattdessen wachte ich mit einer Ruhe in mir selbst auf, die mir nur bestätigte, dass ich das Richtige tat. Es fühlte sich so an, als wäre die Flucht und Hochzeit mit Branson nur der natürliche nächste Schritt in meinem Leben. Ich erinnerte mich an unsere Küsse, mein klopfendes Herz und seine strahlenden Augen. Heute Nacht würden wir aufbrechen und das hieß, dass ich noch einen Tag durchhalten und meine Gefühle verstecken musste. Ich durfte niemandem zeigen, wie glücklich, übermütig, erleichtert, gespannt und voller Liebe ich mich fühlte. Also klingelte ich nach Anna, hörte mir beim Frühstück Ediths Pläne für den Tag an, half Mama bei der Auswahl der Blumen und ging dann nach dem Lunch mit der Ausrede in mein Zimmer, noch einen Brief schreiben zu wollen. Eigentlich war das auch keine Ausrede, denn einen Brief an meine Familie würde ich verfassen. Ohne ein letztes Wort würde ich nicht einfach gehen - und für mich war es keinesfalls das letzte Wort, denn ich hoffte mit aller Kraft darauf, dass sie Tom früher oder später als meinen Ehemann akzeptieren würden. Ehemann. Lächelnd holte ich einen Koffer aus dem Schrank und fing an zu packen. Nur das Nötigste, einfache Kleidung, das ganze Geld, das ich besaß, ein Foto mit Edith und Mary, eine Haarbürste und mein Zeugnis über meine Arbeit als Krankenschwester. Für mich stand fest, dass ich wieder arbeiten würde. Einerseits musste ich es, um Geld zu verdienen, aber noch viel mehr wollte ich es einfach. Mit einem Klacken schloss sich der Koffer und ich setzte mich auf mein Bett. Ich atmete tief durch, verabschiedete mich innerlich schon einmal von Downton und ging dann zum Tee. Hier nahm ich Abschied von meiner Familie, auch wenn die es natürlich nicht bemerkte.
Nun würde ich doch aufgeregt, vor Vorfreude. Es fing an zu dämmern und ich wäre am liebsten sofort zu Branson gegangen. Stattdessen sagte ich Anna, dass ich mich nicht gut fühlte und lieber nicht am Dinner teilnahm. Sie würde es weitergeben und somit hatte ich meine Flucht ermöglicht. Bis alle im Salon waren, verbrachte ich die Zeit damit, aus dem Fenster der untergehenden Sonne zuzusehen. Um 20 Uhr stand ich auf, zog mir einen Mantel über, stellte den an meine Familie adressierten Brief auf dem Kaminsims, nahm meinen Koffer und ging aus dem Zimmer. Im Haus war es ruhig. Ich schloss meine Tür ab und steckte den Schlüssel ein - das würde sie morgen früh noch länger aufhalten, bevor sie uns suchen könnten. Und dann war es nur ein kurzer Weg bis zu Toms Werkstatt. Außer Atem trat ich ein, während er hinter dem Auto hervorkam. "Hier bin ich", sagte ich und lächelte. Zwischen uns war keine Unsicherheit, während wir uns küssten und er mir dann den Koffer abnahm. "Lass uns in unser neues Leben starten" Ich würde nicht zurücksehen, sondern nur nach vorne.

Tom
Als ich am nächsten Morgen mit einem komischen Gefühl aufwachte, wusste ich zunächst nicht warum – und dann erschien Sybils Gesicht vor meinem inneren Auge, bevor ich meine Augen überhaupt geöffnet hatte. Heute war es tatsächlich so weit. Ich war zum letzten Mal in diesem Bett aufgewacht und für Sybil war der Schritt noch größer, denn sie würde ihre Familie, ihr gesamtes Leben hinter sich lassen, nur meinetwegen.
Wenige Stunden später saß ich mit einer Tasse Tee im Dienstbotenzimmer und wurde doch ein wenig wehmütig. Nicht alle, aber viele der Dienstboten würden mir fehlen, sogar Carson ein wenig. Ich hatte erwartet, dass die Stunden bis zum Abend sich ewig ziehen würden, aber der Tag verging schnell – Lady Ediths Hochzeitsvorbereitungen erforderten weiterhin ständig ein Auto und zu meiner eigenen Überraschung hoffte ich, dass meine Abreise keine allzu große Verzögerung für sie bedeuten würde. Als schließlich in der Küche die Vorbereitungen für das Dinner anfingen, war es für mich Zeit, mich zurück zu ziehen und meine wenigen Habseligkeiten in einen alten Koffer zu packen, den ich unauffällig in die Werkstatt brachte und hinter einem Auto versteckte, falls jemand außer Sybil die Werkstatt betreten sollte. Ich kontrollierte mehrmals das Auto, damit es auf keinen Fall kaputt ging, wenn wir es so dringend brauchten, denn die Familie würde nach Sybil suchen und wir brauchten Vorsprung. Die Zeit schritt weiter voran und als ich schon überlegte, ob ich nur geträumt oder Sybil sich einen Scherz mit mir erlaubt hatte, hörte ich Schritte, die sich der Werkstatt näherten. Ich erkannte sofort, dass es Sybils Schritte waren. Schnell stand ich von dem Eimer auf, auf dem ich eben noch gesessen hatte, und ging auf sie zu. Es wirkte alles so selbstverständlich, als wären wir nicht der Chauffeur und die Tochter des Hauses, die sich aus dem Staub machten: ich nahm ihr ihren Koffer ab, wir küssten uns und gingen noch einmal schnell den Plan durch, während ich unsere Koffer ins Auto packte. "Wir fahren zunächst zum Swan Inn, dann können wir ein paar Stunden schlafen und sind trotzdem weit genug gekommen, um hoffentlich nicht gefunden zu werden. Wenn wir dann morgen früh aufbrechen und weiter nach Westen fahren, könnten wir es morgen Abend schon auf ein Schiff schaffen." Ich sah Sybil lächelnd an und drückte ihre Hände. Sie sah entschlossen aus, aber auch ein klein wenig nervös. "Alles wird gut werden", versicherte ich ihr und öffnete die Beifahrertür des Autos. "Bereit, mylady?", grinste ich und hielt ihr wieder die Hand hin.

Sybil
Jetzt, wo unsere Flucht real war, wurde ich doch nervös. Hier stand das Auto, mit dem ich mein Leben verlassen würde. Mit nur zwei kleinen Koffern würden Tom und ich aufbrechen. Es machte mich ein wenig ruhiger, dass er schon so genau wusste, wohin wir fuhren und wo wir übernachten konnten. Ich lächelte, als er mir die Hände drückte und fühlte mich einmal mehr in meiner Entscheidung bestärkt. Er war der richtige Mann für mich. Dann öffnete er die Tür und half mir hinein. Einerseits war es wie bei den unzähligen Malen zuvor, an denen er mir geholfen hatte. Und andererseits war es jetzt doch ganz anders - denn ich stieg vorne ein, direkt neben ihm und jetzt waren wie ebenbürtig. Niemand würde uns trennen. Seine ironische Anrede kommentierte ich nur mit einem Lächeln. Ich war schon lange nicht mehr 'mylady' für ihn. "Bereit, Tom", antwortete ich deshalb und zog die Tür hinter mir zu, während er auf der Fahrerseite einstieg. Er startete das Auto und fuhr ohne zu zögern los. Auch draußen war es ruhig, nur im Haus brannte Licht und erinnerte mich daran, dass alle anderen nichts ahnten. Die Dienstboten hatten jetzt alle Hände voll zu tun, während meine Familie gleich mit dem ersten Gang anfangen würde. Vermissen würden sie mich heute Abend sicher nicht, dafür gab es noch zu viel wegen der Hochzeit zu besprechen. Morgen früh würde dann Chaos ausbrechen, aber dann wären Tom und ich schon über alle Berge. Kurz versetzte mir das einen Stich im Herzen, sie so verletzten zu müssen. Aber ein anderer Weg fiel mir nicht ein. Ein letztes Mal sah ich auf mein Zuhause, bevor Tom auf die Straße einbog und Downton Abbey verschwand. Er fuhr schneller als sonst, aber das war mir nur recht. Ich griff nach seiner Hand, die er nicht am Lenkrad hielt und sah ihn an. "Ich liebe dich, Tom", sagte ich ihm dann und verursachte damit ein warmes Gefühl um mein Herz.

Tom
Mein Herz klopfte, als wir losfuhren. Der Motor klang in der Stille so laut, dass ich befürchtete, gleich würde jemand aus dem Haus gerannt kommen, aber alles blieb ruhig. Ich beobachtete Sybil von der Seite, wie sie aus dem Fenster sah und einen vorerst letzten Blick auf ihr Zuhause warf und fuhr etwas schneller. Ich konnte mir kaum vorstellen, wie schwer es für sie war, Downton Abbey hinter sich zu lassen und wollte das Haus und die ihr vertraute Umgebung schnell aus ihrem Blickfeld schaffen. Ich hatte nur eine Hand am Lenkrad und lächelte, als Sybil nach meiner freien Hand griff. Obwohl wir uns mehr oder weniger auf der Flucht befanden, fühlte ich mich mit dem Lenkrad in der einen und Sybil in der anderen Hand so sicher und angekommen wie noch nie. Ihre Worte kamen so unerwartet, dass mir kurz fast das Lenkrad entglitt. Ich liebe dich. Mir wurde seltsam warm und plötzlich fiel es mir schwer, mich auf die Straße zu konzentrieren, weil mein Kopf sich so leicht anfühlte. "Ich liebe dich auch", antwortete ich mit rauer Stimme und räusperte mich. "Sybil", fügte ich hinzu, weil es sich noch immer so vertraut anfühlte, dass wir uns jetzt mit unseren Vornamen ansprachen. Lächelnd sah ich zu ihr herüber und strich mit dem Daumen über ihre Hand, ehe ich mich wieder auf die Straße konzentrierte. Es wäre schließlich nicht hilfreich, an den nächsten Baum zu fahren. Dennoch hallten ihre Worte die ganze Zeit über in meinem Kopf über und ich lächelte leicht vor mich hin. Ich hatte das Gefühl, überzuquellen vor Freude und Liebe.
Die Fahrt verlief zum Glück ruhig. Die Straßen waren leer und ruhig und keiner hatte unsere Verfolgung aufgenommen, bis jetzt zumindest. Wir redeten über unser neues Leben, über Politik und alltägliche Dinge. Immerhin hatten wir noch nie so viel Zeit am Stück miteinander verbracht. Eine Weile schwiegen wir, Sybil hatte die Augen geschlossen und schlief anscheinend. Kein Wunder, es war mitten in der Nacht. Und schließlich erreichte wir das Inn. Ich parkte das Auto vor dem Gebäude, weil es weiter abseits keine Möglichkeit gab – dabei hätte ich gerne verhindert, dass man es so gut erkannte. Aber etwas anderes blieb mir nicht übrig, wenn wir nicht noch Kilometer weit laufen wollte. Ich weckte Sybil mit einem Kuss auf die Stirn, nahm unsere Koffer und wir betraten das Inn. Es war ruhig, warm und leer, bis auf eine ältere und müde aussehende Frau hinter einer kleinen Empfangstheke. "Mr und Mrs Branson?", fragte sie lächelnd.

Sybil
In der aufkommenden Dunkelheit konnte ich nur das Lächeln an seinen weißen Zähnen erkennen. Es auszusprechen, was ich jetzt wusste, war ein weiterer Schritt gewesen und ich fühlte mich glücklich dabei. Als wäre Tom ein Puzzleteil in meinem Leben, das endlich seinen richtigen Platz gefunden hatte. Er hatte es sich wahrscheinlich schon vorher denken können, aber ich wollte und musste es ihm dennoch sagen. Schließlich gingen wir gemeinsam einen drastischen Schritt. Ich hielt seine Hand noch lange in meiner, während wir uns immer weiter von Downton entfernten. Oft waren die Motorengeräusche das einzige, das die Stille der Nacht unterbrach. Ich verlor jegliches Zeitgefühl, während wir miteinander redeten und zwischendurch auch immer schwiegen, um unseren vielen Gedanken nachzuhängen. Dass ich eingeschlafen war, bemerkte ich erst als Tom mich mit einem Kuss weckte. Das Auto stand vor einem Gebäude mitten an der Straße und ich rieb mir schnell müde die Augen, bevor ich ausstieg. Tom hatte schon beide Koffer in der Hand und so hielt ich ihm die Tür auf. Trotz meiner Müdigkeit war es wie ein elektrischer Schock, als uns die Empfangsdame mit Mr. und Mrs. Branson begrüßte. Ich konnte ein breites Lächeln nicht unterdrücken. "Ja, genau", antwortete ich und hakte mich an Toms Arm unter. Morgen würde ich das wirklich sein, Mrs. Branson. Keine hochherrschaftliche Lady mehr von einem großen Landsitz, sondern nur ich. Lächelnd überreichte die Empfangsdame mir unseren Zimmerschlüssel und wies uns eine kleine Treppe nach oben. Ich folgte Tom hinauf und öffnete schließlich die Zimmertür. Lächelnd drehte ich mich zu Tom um, der meinen Koffer an die Bank am Bettende gelegt hatte und seinen neben einen Sessel abstellte. Ich griff nach seiner Hand - seine Berührung beruhigte mich und ließ mich wissen, dass das hier nicht nur ein Traum war. "Ich könnte ein wenig Schlaf vertragen und du auch, Tom", sagte ich ihm und legte meine Hand an seine Wange.
Lady Mary
Spätestens beim zweiten Gang wünschte ich mir, ähnlich wie Sybil allein in meinem Zimmer zu sein. Richards Anwesenheit war heute noch deutlicher zu spüren als ohnehin schon und mein Versuch, sie zu ignorieren scheiterte kläglich. Ohne Sybil waren nur noch Mama, Papa, Edith und Richard anwesend und so hatte es keine Möglichkeit gegeben, mich aus dem Gespräch herauszuhalten. Mit geballten Fäusten saß ich schließlich im Salon und trank meinen Kaffee. Länger würde ich es sicherlich nicht mehr aushalten, dass Ediths Leben gerade so voll Glück strotzte, während ich im Selbstmitleid und Wut versank. Zum Glück verabschiedete sich Richard schon früher und wir gingen alle ins Bett. Auf dem Weg in mein Zimmer blieb ich vor Sybils Zimmertür stehen. Sie war eigentlich nie krank und so machte ich mir doch Sorgen. Ich klopfte. Und bekam keine Antwort. "Sybil?", fragte ich laut. Sicherlich hatte sie schon geschlafen, aber ich wollte mich wenigstens versichern, dass es ihr nicht allzu schlimm ging. Ich klopfte erneut und als ich wieder keine Antwort bekam, wollte ich die Tür aufmachen. Der Türknauf aber blieb standhaft und kurz war ich verwirrt. Sie hatte ihr Zimmer abgeschlossen.... Warum? Jetzt wurde ich wirklich besorgt, denn das hatte sie noch nie getan. Es gab keinen Grund dazu... Ich rüttelte heftiger an der Tür, aber diese gab nicht nach. Irgendetwas musste passiert sein, denn es sah meiner kleinen Schwester ganz und gar nicht ähnlich, sich so zu verhalten. In diesem Moment hörte ich Anna auf der Galerie und schilderte ihr kurz die Situation. "Du musst den Zweitschlüssel von Mrs. Hughes holen", sagte ich ihr mit immer größerer Panik. Anna selbst sah mich mit großen Augen an. "Sag, dass mein Badezimmerschlüssel abgebrochen sein muss", wies ich sie daher an und sah ihr nach, wie sie verschwand. Ich hatte keine Hemmungen, zu lügen, sie anscheinend schon. Es dauerte einige Minuten und sie kam zurück. Beinahe hektisch schloss ich Sybils Tür auf und ging hinein. Ihr Bett war noch gemacht, im Ofen brannte kein Feuer. Nur eines hatte sich verändert, denn auf dem Kamin stand ein Briefumschlag mit der Aufschrift 'An meine Familie'. Mit wachsendem Unbehagen öffnete ich ihn. Ich habe mich entschieden, Tom zu heiraten und bin mit ihm auf dem Weg nach Grenta Green, hatte sie geschrieben. "Oh Gott", murmelte ich und sah auf. Ich hatte geahnt, dass sie Branson mochte - aber dass es so weit ging? Ich hätte aufmerksamer sein sollen, denn jetzt, wo ich darüber nachdachte, fiel mir auf, wie sehr sich Sybil in den letzten Tagen verändert hatte. Es durfte nicht wahr sein. "Anna, hol mir einen Mantel und Hut", wies ich sie an und ging zielstrebig auf Ediths Zimmer zu. Ich klopft nur kurz an und trat dann ein. Sie saß an ihrem Schminktisch und betrachtete ihren darauf liegenden Verlobungsring. Mit dem Brief in der Hand blieb ich in der Tür stehen. Wie lange war ich nicht mehr hier gewesen? Seit meiner Intrige hatte ich kein einziges direktes Wort mehr mit meiner Schwester gesprochen und ihre Abscheu mir gegenüber konnte ich auch jetzt nur zu gut in ihren Augen erkennen. "Sybil ist mit Branson abgehauen. Sie will ihn in Greta Green heiraten", sagte ich schnell, bevor sie mich aus ihrem Zimmer werfen konnte. Wir sahen uns einen Moment an. Dass, was zwischen uns vorgefallen war, musste jetzt hinten anstehen. Denn jetzt ging es nur um Sybil und sie zurückzuholen.

Tom
Ich grinste leicht darüber, dass wir mit Mr. und Mrs. Branson angesprochen wurden und wie überzeugt Sybil darauf antwortete. Bald würden wir das tatsächlich sein. Wir gingen eine enge Holztreppe nach oben zu unserem Zimmer, ich hatte die Koffer in der Hand, Sybil den Schlüssel. Es war definitiv ein hübsches, gemütliches Zimmer und dennoch beobachtete ich gespannt Sybils Miene, als wir eintraten. Schließlich war es nicht im geringsten das, was sie gewohnt war. Allerdings zeigte ihr Gesicht keine Regung, sie drehte sich nur lächelnd zu mir und ich stieß die Tür mit einem Ellenbogen zu, ehe ich die Koffer abstellte und mich Sybil zuwendete. Wie so oft seit meiner Ankunft in Downton musste ich einfach darüber lächeln, wie außergewöhnlich sie war. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass irgendeine andere Frau ihrer Position – oder sollte ich eher sagen: ehemaligen Position – in diesem Zimmer übernachten würde. "Ich bin mir nicht sicher, ob ich jetzt schlafen kann", erwiderte ich und legte eine Hand auf ihre an meiner Wange und die andere an ihre Taille. Ich fühlte mich seltsam munter, obwohl ich eigentlich todmüde sein sollte. "Aber wir haben morgen einen langen Tag vor uns." Und wie um meine Worte zu bekräftigen, musste ich doch gähnen. Ich zog mein Jackett aus, legte es über einen Sessel und half Sybil aus ihrem Mantel. "Meinst du, sie haben es schon bemerkt?", fragte ich und setzte mich auf die Bettkante. Das Bett war so einladend weich, dass mich doch etwas Müdigkeit überkam, aber der Gedanke daran, wie offensichtlich das Grantham-Auto neben dem Inn parkte, ging mir nicht aus dem Kopf. Andererseits hatte es eine mehrstündige Fahrt gedauert, hierher zu kommen. Und einen weiteren Vorteil hatten wir: Sybils Familie hatte nun keinen Chauffeur mehr.
Edith
Mit jedem Abend, an dem ich mich nach dem Dinner von Richard verabschieden musste, wuchs meine Sehnsucht nach ihm. Es war nur gut, dass die Hochzeit immer näher rückte. Wieder einmal war ein tolles Dinner zu Ende gegangen, bei dem nur Sybil als Puffer zwischen Mary und mir gefehlt hatte. Die Stimmung zwischen uns war schlimmer als je zu vor, aber nach allem, was sie sich geleistet hatte, hatte nur sie Schuld daran. Immerhin hatte sie keine weiteren Lügen über mich erzählt. Satt und glücklich saß ich an meinem Schminktisch und nahm meinen Verlobungsring ab, um ihn in meine Schmuckdose zu legen, wie jeden Abend, als es klopfte. Noch ehe ich mich umdrehen konnte, stand Mary im Raum. Sie sah aufgelöst aus und hatte einen Brief in der Hand. Ich verengte die Augen und wollte schon fragen, was sie hier zu suchen hatte um diese Uhrzeit. Aber dann fing sie an zu reden und meine Augen wurden ganz groß. Sybil war weg. "Oh mein Gott", hauchte ich, stand auf und ging auf Mary zu, die mir den Brief reichte. Ich überflog ihn und musste mich an meiner Kommode festhalten. Erschrocken sah ich Mary an. Wie hatten wir nur nicht bemerken können, was zwischen Sybil und Branson war? Ich war viel zu viel mit mir selbst beschäftigt gewesen, mit meiner eigenen Hochzeit, und nun stürzte Sybil sich ins Verderben. Wir mussten sie zurückholen, egal, wie gut wir uns im Moment verstanden. "Gut, ich werde fahren", sagte ich entschlossen und zog mir schnell einen Mantel an. "Allzu weit können sie noch nicht gekommen sein, wir haben sie vor wenigen Stunden noch gesehen." Anna kam auf Mary zugelaufen, mit einem Mantel und Hut in der Hand und half ihr hinein. "Sagen wir Mama und Papa Bescheid?", fragte ich und runzelte die Stirn, obwohl ich mir die Antwort schon denken konnte. Hier ging es nur um Sybil und ihr Wohlergehen. Und um Papas Herz.

Sybil
Jetzt war ich mir auch nicht mehr sicher, ob ich wieder einschlafen könnte. Die kurze Pause im Auto hatte mir neue Energie gegeben, genauso wie die Tatsache, jetzt für's Erste in diesem Zimmer hier angekommen zu sein und so eng mit Tom eine Nacht zu verbringen. Aber er hatte Recht, wir brauchten Schlaf. Vor allem er, wo er doch morgen noch weiterfahren musste. Ganz wie ein Gentleman half er mir aus dem Mantel. Ich setzte mich neben ihn auf das Bett und sah ihn an. "Ich habe meine Zimmertür abgeschlossen. Vor morgen früh sollte niemand meine Abwesenheit bemerken und auch dann wird es noch etwas dauern, bis sie aufbrechen, um uns zu suchen", antwortete ich ihm und lächelte dann aufmunternd, weil ich merkte, dass er sich deswegen Sorgen machte. "Es wird alles gut gehen, Tom. Mach dir keine Sorgen" Ich strich ihm über den Arm, bevor ich wieder aufstand, um meine Frisur zu lösen. Mein Haar fiel in dichten Locken über meinen Rücken und mir wurde bewusst, dass er mich noch nie mit offenen Haaren gesehen hatte. In einer Schüssel stand frisches Wasser und so wusch ich mich schnell. Dabei war mir Toms Anwesenheit und Nähe immer bewusst, aber es fühlte sich gut und richtig an. Auch, wenn ich noch nie eine Nacht gemeinsam mit einem Mann in einem Zimmer verbracht hatte. Das wurde mir bewusst, als ich schließlich doch ein wenig unentschlossen vor dem Ehebett stand. Ich wollte wenigstens versuchen, etwas Schlaf zu bekommen. Würden wir gemeinsam dort heute Nacht schlafen? Tom schien meine Gedanken zu lesen, denn er nahm sich eine Decke und setzte sich damit in den Sessel neben dem Bett. Ich verstand und lächelte ihn an. Auch wenn wir morgen verheiratet sein würden, wollte ich nichts überstürzen. Schon gar nicht so etwas... Während er sich wusch, legte ich mich schließlich ins Bett. Nach kurzem Überlegen setzte ich mich dann aber doch auf und sah Tom zu, wie er sich in den Sessel setzte. "Gute Nacht", sagte ich ihm breit lächelnd.
Lady Mary
Ich nickte nur, als Edith anbot selbst zu fahren. Eine andere Möglichkeit hatten wir auch nicht, wenn wir schnell aufbrechen wollten. Auch ich zog mir schnell Mantel und Hut über, bevor wir schon mit schnellen Schritten nach unten liefen. "Nein", sagte ich entschlossen und wagte einen Blick in Richtung ihres Schlafzimmers. "Wenn wir Sybil umstimmen und sie zurückkommt, müssen sie nie etwas erfahren. Das wird es für alle leichter machen" Draußen war es kalt, aber ich fror nicht. Ganz im Gegenteil, voller Aufregung und Sorge war mir fast schon zu warm in meinem Mantel. In Bransons Werkstatt fehlte tatsächlich ein Auto - sie waren also tatsächlich fort. Schon jetzt hatte ich ein schlechtes Gewissen, weil ich doch geahnt hatte, dass etwas zwischen Sybil und dem Chauffeur war. Aber wie immer war ich mehr mit mir selbst beschäftigt gewesen. Edith startete schon das andere Auto, während ich auf der Beifahrerseite und Anna hinten einstieg. "Hoffentlich finden wir sie. Sie könnten einen anderen Weg genommen haben, um uns in die Irre zu führen", sagte ich und warf einen Blick in die Dunkelheit. Alles mögliche könnte Sybil passieren. Wir müssten genau aufpassen, um das Auto erkennen zu können. Ich sah zu Edith. Hatte sie überhaupt etwas davon geahnt? Für sie müsste der Schock noch größer sein.

Tom
Ich nickte erleichtert, als Sybil von ihrer abgeschlossenen Zimmertür erzählte. Eine sehr kluge Entscheidung. "Sehr gut, das wird sie sicher eine Weile aufhalten." Unentschlossen sah ich das Bett an und dann zu Sybil. Irgendetwas hielt mich davon ab, mich hier mit ihr hinzulegen. Ich wollte nicht, dass sie sich überrumpelt fühlte. In den letzten Tagen war alles so schnell gegangen, unser erster Kuss, der Beschluss, zu heiraten. Ich nahm mir eine Decke und setzte mich damit in den Sessel. Für eine Nacht war das in Ordnung, war es doch schon genug, mit Sybil in einem Raum zu schlafen. Ihr Lächeln bestätigte meine Entscheidung. Ich wusch mich schnell, setzte mich in den Sessel und küsste Sybil, die neben mir im Bett saß. Erst jetzt fiel mir auf, wie lang ihre Haare waren und ich strich ihr lächelnd eine Strähne aus dem Gesicht. "Gute Nacht", antwortete ich, deckte erst sie, dann mich selbst zu und nahm schließlich ihre Hand. Irgendwie gab es mir ein Gefühl ein Sicherheit, als hätte ich Angst, dass sie heute Nacht plötzlich verschwinden könnte. Irgendwann döste ich vor mich hin, aber ich schlief nie wirklich und war schnell wach, als ich plötzlich draußen auf der Treppe laute Schritte und Stimmen hörte. Es war fast 3 Uhr morgens. Wer machte um diese Uhrzeit nur so einen Krach? Und dann erkannte ich eine der aufgeregten Stimmen. Lady Edith. Verdammt. Verdammt, verdammt, verdammt. War es nur ein Albtraum? Wie hatten sie uns so schnell gefunden? Ich stand auf, machte das Licht an und stupste Sybil an der Schulter. Es fiel mir unendlich schwer, sie aufzuwecken, während sie so friedlich schlief und dabei so wunderschön aussah. Sie hatte kaum Zeit sich aufzusetzen, da ging auch schon die Tür auf.
Edith
Wenn sie zurückkommt. Ja, wenn sie das mal nur tat. Denn jeder, der Sybil kannte, wusste, wie stur sie war, wenn sie etwas wirklich wollte. Oder jemanden. Dennoch konnte ich nicht leugnen, dass Mary Recht hatte. So bestand immerhin noch eine Möglichkeit, aus der Nummer heraus zu kommen, ohne zu viel Schaden anzurichten. Ohne weitere Zeit zu verlieren, gingen wir zur Werkstatt. Das fehlende Auto blieb nicht unbemerkt. Ich fluchte innerlich, ein wenig Hoffnung, dass alles nur ein Missverständnis war, hatte bis eben noch bestanden. Aber jetzt... Ich startete das andere Auto, Mary und Anna stiegen ein und so schnell ich konnte, fuhr ich los – ich war schon lange nicht mehr gefahren, aber der Gedanke an Sybil, die mit Branson dort draußen alleine war, ließ mich aufs Gaspedal drücken. "Höchstwahrscheinlich werden sie immer den schnellsten Weg zur Küste genommen haben", überlegte ich laut, "also würde ich vorschlagen, dass wir auch keine Umwege fahren. Ihr müsst die Augen offen halten und nach dem Auto schauen, damit ich mich aufs Fahren konzentrieren kann", sagte ich zu Mary und Anna. Letzterer war sichtlich gar nicht wohl bei der Sache. Gefühlte Stunden fuhren wir erfolglos durch die Gegend. Ich wurde müde und das Fahren immer schwerer und bei der Dunkelheit war es unmöglich ein Auto zu erkennen, geschweige denn um welches genau es sich handelte. Wir hatten schon fast aufgegeben, als Mary plötzlich "da!" in die Stille rief. Ich bremste abrupt ab. Das Haus, vor dem unser Auto stand, war das Swan Inn, wie der Name auf dem Schild über der Tür verriet. Eine Welle der Erleichterung überkam mich – vorerst.

Sybil
Ich schloss meine Augen, aber der Schlaf kam nicht. Zu sehr hielt mich das wach, dass ich heute getan hatte. Bransons Hand in meiner war nur die Bestätigung dafür und nach der ganzen Hektik während der Autofahrt kam ich erst jetzt zur Ruhe. Ich dachte an meine Familie, die jetzt im Bett zuhause lag und mich noch im Zimmer nebenan vermutete. Es würde Mama das Herz brechen, wenn sie morgen früh mein Verschwinden bemerkten und Papa würde außer sich sein vor Wut. Aber früher oder später würde alles gut werden. Und ich hatte Tom an meiner Seite, um die kommende schwere Zeit zu überstehen. Irgendwann gewann dann doch die Erschöpfung und meine Hand glitt aus seiner. Ich träumte von Downton, von den Gärten und meiner Familie, immer wieder vermischt mit Bildern von Tom. Bis mich plötzlich jemand berührte und ich mich ruckartig aufsetzte. Im Zimmer war es schon hell und ich machte nun auch noch die Nachttischlampe an. Tom hatte seine Decke weggeworfen und starrte ungläubig in Richtung Tür. Der Grund für die Hektik wurde mir erst bewusst, als es an der Tür klopfte und diese dann ruckartig aufging. Zuerst kam Mary herein, dann Edith - beide mit demselben besorgten Gesichtsausdruck, der deutlich machte, dass sie trotz ihrer gegenseitigen Abneigung Schwestern waren. Ohne nachzudenken warf ich die Decke beiseite und stand auf. Alles fühlte sich unwirklich an, als würde ich nur träumen. Ich konnte nicht verarbeiten, wie sie hierher gekommen waren oder was überhaupt los war. Ich wusste nur, dass ich Tom liebte und unsere gerade begonnene Zukunft wieder ins Wanken geriet. "How did you find us? How did you know?", fragte Tom mit weit aufgerissenen Augen. "Never mind that. At least nothing has happened, thank God", gab Mary zurück, sah Tom dabei aber nicht in die Augen. Ihr Blick war stattdessen auf mich gerichtet und so stellte ich mich vor Tom. Schließlich waren sie hier um mich zurückzubringen, also müsste ich diese Schlacht auch alleine kämpfen. Ich baute mich vor Mary auf, die mir am nächsten Stand. Mittlerweile war ich wirklich wütend geworden, da sie anscheinend die Bedeutung meiner Entscheidung nicht verstanden hatte. Ich hatte mich für Tom entschieden und dabei würde es bleiben. "What do you mean nothing has happened? I've decided to marry Tom, and your coming after me won't change that", sagte ich dementsprechend aufgebracht mit fester Stimme. Gerade noch hatte ich mich von meinem alten Leben verabschiedet und schon waren Mary und Edith wieder hier. Und nach der Sorge in Ediths Gesicht und der Entschlossenheit in Marys würden sie nicht ohne mich zurück nach Downton fahren.
Lady Mary
Ich musste Edith zustimmen, sicherlich würden sie keine Zeit verlieren wollen. Dennoch wurde ich mit jeder Stunde unsicherer, ob wir wirklich den richtigen Weg nahmen. Meine Augen suchten ununterbrochen in der Dunkelheit nach unserem Auto. Jedes Mal, wenn sie auch nur ansatzweise zufallen wollten, riss ich sie wieder weit auf. Als es auf drei Uhr zuging, gab ich die Hoffnung jedoch fast auf. Hatte Sybil also doch gewonnen? Ich wollte Edith gerade sagen, dass es doch keinen Sinn hatte, als wir über eine Brücke fuhren und an einem Inn vorbeikamen. Automatisch sah ich über die Autos und erstarrte, als ich tatsächlich das Gesuchte fand. "Da!", rief ich laut und Edith legte eine Vollbremsung hin. Jetzt war ich wieder vollkommen wach, denn tatsächlich stand da unser Auto am Straßenrand; ich hatte mich nicht getäuscht. Ohne Umschweife stiegen Edith und ich aus. Ich öffnete die Tür und sah mich hektisch um. Im Nachthemd kam anscheinend die Besitzerin des Inns herein und musterte uns neugierig. "Tom Branson, in welchem Zimmer ist er?", fragte ich sie schnell. Ich hatte keine Ahnung, ob Sybil ihren Namen verschwiegen hatte, daher hatte ich seinen angegeben. "Er ist oben in Zimmer sieben mit seiner Frau", antwortete sie nur, aber da lief ich schon die Treppe nach oben. Ich klopfte nur kurz und ging dann herein. Wenigstens lagen sie beide nicht in einem Bett - er stand vor einem Sessel und sie war anscheinen gerade aus dem Bett aufgestanden. Erst jetzt spürte ich die Erleichterung, Sybil wirklich gefunden zu haben. Auch wenn sie mit deutlichen Worten zu verstehen gab, dass wir nichts ausrichten könnten. "This isn't the way", sagte Edith hinter mir sanft. "She's right. Of course Mama and Papa will hate it...", redete ich weiter, als Branson mich unterbrach. Zum ersten Mal sah ich ihm in die Augen. "Oh, pipe down", fuhr ich ihn an - mit einem Blick, der sonst jeden zum Schweigen brachte. Dann wurde auch ich ruhiger. "Sybil, can't you let them get used to the idea? Take your stand and refuse to budge, but allow them time. That way, you won't have to break up the family", sagte ich dann eindringlich. Wenn sie jetzt nur mitkommen würde, könnte ich sie noch umstimmen. Zuhause auf Downton würde sie Branson vielleicht vergessen. Aber für den Moment müsste ich so tun, als hätte ich ihre Entscheidung akzeptiert, was ich keinesfalls getan hatte. Sie mochte stur und modern in ihren Ansichten sein - aber so ein Skandal würde die Familie ruinieren.

Tom
Lady Mary kam als erste durch die Tür und hinter ihr Lady Edith. Eigentlich waren die beiden nicht dafür bekannt, an einem Strang zu ziehen, aber jetzt wirkten sie zusammen so entschlossen, dass mir nur ein Gedanke durch den Kopf ging: Es ist vorbei. Ich sah die beiden erschrocken an. Wie konnte das sein? Wir hatten so viel Vorsprung gehabt, es hatte keinerlei Hinweise auf das Inn, in dem wir uns aufhielten, gegeben. Hätte ich die Besitzerin einweihen sollen und sie bitten, für uns zu lügen? Aber für solche Überlegungen war es jetzt ohnehin zu spät. "How did you find us? How did you know?", fragte ich aufgebracht und stand aus dem Sessel auf. "Never mind that. At least nothing has happened, thank God", antwortete Lady Mary, ohne mich anzusehen und noch während sie sprach, fiel mir ein, dass Lady Edith Auto fahren konnte und das nicht gerade schlecht. Auch Sybil war mittlerweile aufgestanden und stellte sich vor mich. Ich betete stumm, dass sie es schaffen würde, ihre Schwestern davon zu überzeugen, wieder zu gehen und niemandem von uns zu erzählen – aber das war geradezu lächerlich unwahrscheinlich. "What do you mean nothing has happened?", sagte Sybil wütend und sprach damit meine Gedanken aus. Seit gestern war alles andere als nichts passiert. "I've decided to marry Tom and your coming after me won't change that." Innerlich lächelte ich ein wenig – Sybils Zuversicht und ihre Loyalität mir gegenüber machten mich nur glücklicher und stolz, an ihrer Seite zu sein. "This isn't the way", warf Lady Edith ein und sah Sybil eindringlich an. "She's right. Of course Mama and Papa will hate it...", fing Lady Mary an, aber ich unterbrach sie. "Why should they?", fragte ich provokant, aber Lady Mary ging kaum darauf ein. "Oh, pipe down", zischte sie nur und wendete sich wieder an Sybil. "Sybil, can't you let them get used to the idea? Take your stand and refuse to budge, but allow them time. That way, you won't have to break up the family." Ich schüttelte kaum merkbar den Kopf. Was für ein Quatsch. Alle Zeit der Welt würde nichts daran ändern, dass Sybils Familie keinen Chauffeur an der Seite ihrer Tochter akzeptieren würde. Als Lady Mary auch noch davon redete, dass es ihr nicht darum ging, die Erlaubnis ihrer Eltern einzuholen, sondern nur um den Frieden in der Familie, reichte es mir. "Don't listen. She's pretending to be reasonable to get you back home again." Eigentlich wollte ich Sybil nicht vorschreiben, was sie glauben sollte und was nicht, aber es wurde gerade verdammt eng für mich. Für uns. Ich konnte in Sybils Blick sehen, dass sie langsam einknickte, und ich hasste Lady Mary dafür. "Even if I am, even I think this is mad, I know it would be better to do it in broad daylight than to sneak off like a thief in the night." Ich sah Sybil an, die langsam den Kopf senkte und in diesem Moment wurde mir klar, was für ein Idiot ich gewesen war, zu denken, unser Plan könnte funktionieren. "Go back with them, then, if you think they can make you happier than I will", sagte ich leise.

Sybil
Sie wollten und konnten es nicht verstehen. Natürlich wäre es mir lieber gewesen, unseren Eltern diesen Schmerz zu ersparen, indem ich nicht einfach nachts mit meinem zukünftigem Ehemann weglief. Aber es ging nicht anders, denn Papa würde es niemals zulassen, dass ich einen einfachen Chauffeur heiratete. Für ihn gehörte ich auch in Zukunft in ein großes Haus. Dass ich das nicht wollte und es nicht zu mir passte, war ihm nicht bewusst oder er wollte es nicht wahr haben. "They would never give permission", antwortete ich Mary daher. So einfach wie es bei ihr klang, nur ein drastischer Schritt ermöglichte mir eine Zukunft mit Tom. "You don't need permission. You're 21. But you do need their forgiveness, if you're not to start your new life under a black shadow", sagte Mary eindringlich. Ich hörte ihr mit offenem Mund zu, ich konnte immer noch nicht verarbeiten, dass auf einmal meine Schwestern in mein neues Leben platzten, aus dem ich sie raushalten wollte. Aber Mary hatte einen Punkt: Eine Hochzeit mit Tom würde der Beziehung zu meinen Eltern einen ordentlichen Knacks verpassen, sie wenn nicht sogar ganz ruinieren. Und so sehr ich Tom auch liebte, ich liebte auch meine Eltern und meine Schwester. Sie hatte meinen wunden Punkt gefunden, der meiner Zukunft mit Tom einen bitteren Beigeschmack gab... Und auch Tom merkte das. Er trat neben mich und ich sah gleich zu ihm hoch. Er funkelte Mary wütend an, aber das konnte sie natürlich auch. "Even if I am, even I think this is mad, I know it would be better to do it in broad daylight than to sneak off like a thief in the night" Marys letzte Worte hingen in der Luft und trafen mich hart. Langsam sah ich nachdenklich zu Boden. Ich hatte Mama vor mir, wie sie morgen früh mein verlassenes Bett finden würde. Wie Papa wütend meinen Brief las. Es war ein hoher Preis, sie beide und auch meine Schwestern zu verlassen. Ein zu hoher, wenn es auch andere Wege gab, bei denen ich meine Familie als Teil meines Lebens behalten konnte. Ich hob meinen Blick und sah Tom in die Augen. Er las darin alles, meine Entscheidung. Und es brach mir das Herz, wie er meinen Blick erwiderte. Beinahe brach seine Stimme. "Am I so weak you believe I can be talked out of giving my heart in five minutes flat?", fragte ich ihn leise und sah ihn eindringlich an. Es war keine Entscheidung gegen ihn und für meine Familie. Es war eine Entscheidung für ihn und für meine Familie. Denn ich wollte beide in meinem Leben. "But Mary's right. I don't like deceit, and our parents don't deserve it. So I'll go back with them. Believe it or not, I will stay true to you", fuhr ich langsam fort und sah mit schmerzerfülltem Blick zu Boden. Die letzten Worte waren nur für Tom. Ich liebte ihn. Dass ich jetzt nach Hause fuhr, änderte nichts daran. Ich reckte mich nach oben und küsste ihn auf die Wange, während ich gleichzeitig nach seiner Hand griff. Unser erster Kuss lag nur einen Tag zurück, aber schon jetzt war mir seine körperliche Nähe schon so vertraut, dass es weh tat, ihn zu verlassen. Edith hatte schon meinen Koffer genommen und wartete an der Tür. Ich nahm meinen Mantel und sah Tom ein letztes Mal an. Als ich es nicht mehr aushielt, weil ich ihm ansah, dass er an meiner Liebe zweifelte, drehte ich mich abrupt um und ging aus dem Raum. Ich schlug mir die Hand vors Gesicht, weil ich nicht glauben konnte, was gerade passiert war.
Lady Mary
Am liebsten hätte ich vor Erleichterung tief geseufzt, aber eine so eindeutige Reaktion wollte ich vor Branson nicht zeigen. Auch wenn meine Stimme fest gewesen war, hatte ich die ganze Zeit über keine Ahnung gehabt, ob ich Sybil umstimmen konnte. Erst, als ich unsere Eltern ins Spiel gebracht hatte, war sie eingeknickt. Denn Sybil war ein Mensch, für den harmonische Beziehungen sehr wichtig war. Und ich wusste, wie sehr sie unsere Eltern liebte. Vielleicht würde ich sie umstimmen können... Auch wenn ich im Moment daran zweifelte. Wie sie ihn angesehen hatte - voller Liebe. Ich hatte nicht anders gekonnt, als die beiden anzustarren. Und Sybil für ihren Mut und ihre Stärke zu bewundern. Jetzt folgte ich ihr aus dem Zimmer, mein Herz klopfte noch immer wild. "I'll return the car in the morning", sprach Branson mich an und ich nickte nur, nachdem ich mich wieder umgedreht hatte. "You're confident you can bring her round, aren't you?" Zum ersten Mal in diesem Gespräch sah ich ihm direkt in die Augen. "Fairly. I'll certainly try", sagte ich mit harter Stimme, sodass es fast wie eine Drohung klang. Denn es war ein Duell zwischen Branson und mir, wofür Sybil sich entscheiden würde. Und ich schwor mir, dass ich versuchen würde, sie von ihm abzubringen. Der Skandal, würde eine Tochter eines Earls einen Chauffeur heiraten, wollte ich unserer Familie nicht zumuten. Ich wandte mich wieder ab, als mir noch etwas einfiel. "Do you want some money for the room?" Meine Stimme klang freundlicher als eben, aber eigentlich spielte ich nur mit ihm. Denn er war nur der Chauffeur. Aber auch hier blieb er hart und lehnte ab. Ich musterte ihn nur kurz, bevor ich endgültig ging. Edith und Sybil saßen schon im Auto, als ich wieder vorne einstieg. Niemand sagte ein Wort, aber ich erlaubte mir endlich richtig durchzuatmen.

Tom
Ich erwiderte Sybils Blick während sie sprach, bewegte mich aber nicht, als sie meine Hand nahm und mir einen Kuss auf die Wange gab. Denn ich glaubte es tatsächlich nicht – dass das hier nicht unser Ende war, dass sie mir treu bleiben würde. Wie stark war sie schon wirklich, wenn drei Sätze von Lady Mary reichten, damit sie unsere Zukunft aufs Eis legte? Oder sollte ich eher fragen: Wie stark waren ihre Gefühle für mich wirklich? Lady Edith ging mit Sybils Koffer aus der Tür und Sybil folgte ihr. Ich starrte nur die Wand an, während sie mich ansah, es kam mir alles so falsch vor. Sie hatte sich gegen mich entschieden, warum konnte sie sich nicht wenigstens verabschieden, ohne mich zu küssen, anzusehen oder meine Hand zu nehmen? Ich wollte einfach nur noch alleine sein. "I'll return the car in the morning", sagte ich, als Lady Mary gerade hinter Lady Edith und Sybil aus dem Zimmer gehen wollte. Sie drehte sich um. "You're confident you can bring her round, aren't you?" Wütend sah ich Lady Mary an und sie erwiderte meinen Blick. Dass sie das meiner Meinung nach schon geschafft hatte, würde ich nicht zugeben – denn auch, wenn ich keine Ahnung hatte, wie es jetzt weitergehen würde, ein wenig Hoffnung bestand noch. Es hing jetzt von Sybil ab, oder davon, wer sie von sich überzeugen konnte. "Do you want some money for the room?" Geld. Das war alles, was sie zu bieten hatten, sei es Sybil oder mir. Wie ihre Eltern dachte auch Lady Mary, dass man mit Geld alles bekommen konnte. Besitztum, Gefallen, Menschen. "No thank you, milady. I can pay my own way", sagte ich und war froh, als ich endlich allein war. Langsam setzte ich mich auf das Bett, dorthin, wo Sybil noch vor einer halben Stunde geschlafen hatte.

Sybil
Ich musste während der Rückfahrt eingeschlafen sein, denn das nächste, an was ich mich erinnerte, war wie Mary mich wachrüttelte und wir schweigend zurück ins Haus gingen. Ich trug meinen Koffer selbst und presste die Lippen fest aufeinander. Ich spürte, wie erleichtert Edith, Anna und Mary über meine Rückkehr waren. Aber sie hatten mich nicht umgestimmt. Meine Zukunft war noch immer Tom und das hatte sich nicht allein deswegen geändert, dass ich jetzt wieder in meinem eigenen Bett auf Downton lag. Wir würden ein Leben zusammen aufbauen, aber ich wollte es nicht im Geheimen tun. Unruhig wälzte ich mich hin und her und konnte nicht schlafen. Toms verletzter Blick tauchte immer wieder in meinen Gedanken auf, denn ich hatte Angst, dass er mich aufgegeben hatte. Ich ballte meine Hände und schlief schließlich ein, als es draußen schon hell wurde.
Der nächste Morgen - oder besser gesagt Mittag - fühlte sich unwirklich an. Ich war wieder dort und von allen umgeben, von dem ich mich gestern verabschiedet hatte. Anna sah mich zwar fragend an, als sie mir die Haare machte, stellte aber keine Fragen. Mary und Edith würden das sicher tun. Daher ging ich gar nicht erst zum Frühstück, sondern zog mir gleich eine Strickjacke über. Ich musste zu Tom. Ich musste mit ihm reden, damit er ja nicht glaubte, dass meine Schwestern mir wirklich die Liebe meines Lebens ausgeredet hatten. Ich war schon gerade an der Haustür, als Mama mich ansprach. Erschrocken fuhr ich herum. "Geht es dir wieder besser? Sind deine Kopfschmerzen weg?" Sie lächelte breit und küsste mich auf die Wange. In diesem Moment merkte ich, dass ich ihr und Papa wirklich Unrecht getan hätte, wenn unsere Flucht gestern Abend geglückt wäre. Früher oder später würde ich sie schockieren und verletzen, wenn sie von Tom erfuhren, aber dann würde ich es ihnen selbst sagen. "Ja, ich fühle mich schon viel besser. Trotzdem will ich ein wenig an die frische Luft", antwortete ich ihr. "Und ich habe nicht wirklich Hunger, ich würde nichts bei mir behalten. Wartet also nicht mit dem Lunch auf mich" Schnell schlüpfte ich durch die Tür, bevor sie mich wieder ins Bett schicken wollte. Ich rannte förmlich den Weg zu seiner Werkstatt. Wäre er heute Morgen mit dem Auto nicht wiedergekommen, hätte Mama mir das gesagt... Ich würde es Tom zutrauen, Downton wegen mir jetzt endgültig zu verlassen. Aber als ich durch die geöffneten Türen kam, stand er gerade mit einem Schraubenschlüssel an dem Auto, das Edith gestern gefahren hatte. Einige Meter von ihm entfernt blieb ich stehen und atmete tief durch. Er war hier. Alles war gut - oder würde gut werden. "Tom", sagte ich nur, als er keine Anstalten machte, seine Arbeit zu unterbrechen. Was war nur los? Während ich mich freute, ihn zu sehen, sah ich ihm das nicht an. Er wirkte verletzt, wütend und traurig. Ich fasste an seinen Arm und zwang ihn, mich anzusehen. Ich wusste nicht, was ich zu gestern Nacht sagen sollte. Anscheinend nahm er es mir mehr als übel, dass ich zurückgegangen war. "Es hat nichts geändert", sagte ich leise und sah ihn eindringlich an. "Rein gar nichts. Glaub mir das"

Tom
Ich schlief die ganze Nacht über nicht. Zu viel ging mir durch den Kopf und dann war es auch schon wieder Zeit, los zu fahren, damit das Auto rechtzeitig zurück in Downton war. Ich fühlte mich so enttäuscht, verletzt und traurig, dass ich kaum damit umgehen und mich auf der Heimfahrt nicht auf die Straße konzentrieren konnte. Immer wieder rief ich mir Sybils Gesicht ins Gedächtnis, wie sie mich angesehen hatte, bevor sie das Inn verlassen hatte. Fühlte sie sich jetzt genauso wie ich oder war sie froh, wieder bei ihrer Familie zu sein und keinen Fehler gemacht zu haben? Ohne geschlafen zu haben ging ich am nächsten Tag meiner Arbeit nach, als wäre nichts gewesen. Lady Edith hatte das Auto gestern Nacht nicht in fahrtüchtigem Zustand hinterlassen und so kontrollierte ich alles, befestigte hier und da ein paar Schrauben und entfernte Schlammspritzer vom Lack. Währenddessen dachte ich über meine Zukunft nach – konnte ich hier bleiben? Wollte ich das überhaupt? Ich würde es nicht ertragen, in Sybils Nähe zu leben. Abgesehen davon hielt ich es für wahrscheinlich, dass Lady Mary oder Lady Edith irgendwann Lord und Lady Grantham von dem Vorfall von letzter Nacht erzählen würden, und dann würde ich ohnehin gefeuert werden. Gerade als ich beschlossen hatte, mir nach Feierabend einige Stellenanzeigen anzusehen, hörte ich Sybils mittlerweile so vertraute Schritte, die sich der Werkstatt näherten. Zuerst wollte ich mich aufrichten, da ich gerade tief über die Motorhaube gebeugt stand, ließ es dann aber bleiben. Ich hatte Sybil gestern Abend nicht genug bedeutet, um mich nicht vor ihren Schwestern bloß zu stellen, wozu also die Mühe. Seelenruhig schraubte ich weiter, als sie meinen Namen sagte, obwohl es mir das Herz zerbrach, sie zu ignorieren – bis sie an meinem Arm zog, sodass ich mich aufrichtete. Ausdruckslos sah ich sie an und hörte ihr zu. "Es hat nichts geändert?", fragte ich ungläubig. "Dass du dich gegen mich entschieden hast, nach allem was wir geplant hatten, was zwischen uns war, hat nichts geändert? Es tut mir leid, Sybil, aber das hat alles geändert. Ich dachte du wärst anders." Ich beugte mich wieder über das Auto, einerseits, um Abstand zwischen uns zu bringen, andererseits, weil ich das Gefühl hatte, dass mir gleich Tränen in die Augen schießen würden. Seit Jahren schon hatte ich so fest daran geglaubt, dass gesellschaftliche Unterschiede nach dem Krieg verschwinden würden. Ich glaubte so sehr an meine Prinzipien, rieb sie jedem unter die Nase, und nun hatte mir diese eine Nacht gezeigt, dass sich anscheinend nichts geändert hatte. Dass ich die Frau, die ich mehr als alles andere auf der Welt wollte, nicht haben konnte.

Sybil
Einen Moment stand ich nur vor ihm, ohne mich zu bewegen. Es übertraf meine schlimmsten Befürchtungen. Tom nahm es mir nicht nur übel, dass ich gestern mit meinen Schwestern mitgegangen war - er wollte mich nicht mehr. "Was redest du da? Ich habe mich nicht gegen dich entschieden", sagte ich mit bebender Stimme, die ich nur schwer kontrollieren konnte. Als er noch immer keine Anstalten machte, mich wieder anzusehen, war ich wirklich kurz davor ihn zu schlagen. Und sicherlich war mein Blick kein bißchen weniger feindselig als der von Mary, wenn sie aufgebracht war. Gestern hatte ich mein altes Leben für Tom aufgegeben und heute stand ich vor ihm und er wollte mich nicht mehr. Zum Glück war er überhaupt noch hier und nicht schon gleich heute Morgen abgehauen. "Ich würde sofort wieder mit dir nach Gretna Green fahren, wenn es keine andere Möglichkeit gibt", fuhr ich dann fort und sah ihn an, auch wenn er noch immer nur auf das Auto sah. "Aber die gibt es. Ich werde meiner Familie von uns erzählen und sie haben die Chance, es zu akzeptieren. Wenn nicht, habe ich es wenigstens versucht. Aber sie habe es verdient, dass ich ehrlich zu ihnen bin, weil ich sie liebe" Ich zog mir die Strickjacke enger um die Schultern, weil mir kalt wurde. Nicht nur wegen des kühlen Frühlingsmorgens, sondern auch wegen Toms Abweisung. "Und dich liebe ich auch, Tom", sagte ich dann sanft und biss mir auf die Lippe, um nicht zu weinen. Ich hatte keine Minute an meiner Entscheidung für ihn gezweifelt, auch nicht, als ich im Auto auf der Rückfahrt nach Downton saß. Aber da er es jetzt tat, gab mir das zu denken. Ich wollte ein Leben mit Tom - aber wenn er es nicht mit mir haben wollte, dann konnte ich nichts dagegen tun.

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