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Sybil
Sie hatte mich - uns - also doch gesehen. Denn in der Pause, in der Jimmy und ich uns ein wenig unterhielten und darüber lachten, was wir hier beide taten, bekamen wir von einer sehr jung aussehenden Frau die Nachricht überbracht, nach der Vorstellung hinter die Bühne zu kommen. Miss Allen würde sich freuen, uns zu sehen. Somit hatte ich eine Sorge weniger, denn wie ich ansonsten ohne Einladung zu den Garderoben gekommen wäre, war mir schleierhaft. Dennoch war ich ein wenig unruhig. Zwar lud sie uns ein, aber zum Ende ihres Aufenthalts in Downton waren wir nicht gerade auf freundschaftlicher Basis auseinandergegangen. Für mich war die Sache längst erledigt - schließlich hatte sie Henry Redvers nicht geheiratet - aber ich hatte ja keine Ahnung, wie es ihr da ging. Zu viel war seitdem passiert. Aber ich freute mich sehr. Hätte ich sie in diesem Sommer nicht gefunden, dann wahrscheinlich nie. Ich war mir sicher, dass es nicht mehr lange dauerte, bis Tom und ich nach Irland aufbrechen würden.
Den Rest des Stücks verfolgte ich nur noch halbherzig, denn ich dacht schon darüber nach, was ich ihr alles erzählen würde. Sollten wir uns so verstehen wie vor dem Streit, dann würde ich ihr nichts vorenthalten. Ihr konnte ich das alles mit Tom anvertrauen, denn im Gegensatz zu meinen Schwestern würde sie mich nicht verurteilen. Ganz im Gegenteil. Als die Zeit endlich gekommen und der letzte Applaus verebbt war, gingen Jimmy und ich schließlich zum Künstlereingang. Mittlerweile war ich vor allem gespannt darauf, was sie zu erzählen hatte. Aber trotz ihrer Nachricht wollte man uns nicht einfach vorbeilassen. Jimmy wagte mutig den Schritt nach vorn und ich sah ihn schon vor mir, wie er von dem riesigen Mann vor uns rausgeworfen wurde, als Lizzys Stimme die Situation klärte. Kurz entstand eine peinliche Stille, bis sie das Offensichtliche aussprach. "Unabhängig voneinander - aber ja", antwortete ich mit einem Lächeln. Wieder wurde es still. "Ich warte hier. Ihr könnt gern zuerst mit ihr reden, mylady", sagte Jimmy dann und ich folgte Lizzy in ihre Garderobe. "Ich bin so froh, dich wiederzusehen!", sagte ich dann lachend und nahm sie in einfach in den Arm.
Jimmy
Trotz der langen Zeit in der zweiten Hälfte des Stücks war ich kein bißchen darauf vorbereitet, jetzt direkt vor Lizzy zu stehen. Ich hatte hin und her überlegt, was ich sagen sollte, aber mir fiel nichts ein. Was suchte ich hier, fragte ich mich nicht zum ersten Mal heute Abend. Mit Lady Sybil neben mir, würde ich ohnehin nichts wirklich etwas sagen können - das war privat. Aber da es Lady Sybil ähnlich ging, ließ ich ihr gern den Vortritt und lehnte mich an die Wand gegenüber der Tür, während die beiden ungestört reden könnten. So hatte ich noch die Chance, einen Rückzieher zu machen. Denn was genau erhoffte ich mir von diesem Besuch? Gut, in der letzten Zeit war es vergleichsweise ruhig in meinem Leben geworden was Frauen anging. Aber die Beziehung zu Lizzy war zwei Jahre her und stand schon damals unter keinem guten Stern. Und dennoch stand ich hier und ging nicht weg. Hatte ich wirklich die Hoffnung, noch einmal den gleichen Spaß mit ihr zu haben wie in Downton? Grübelnd wartete ich weiter, während um mich herum Schauspieler, Maskenbildner und andere herumgingen. Ein Mann sah mich mit besonders grimmiger Miene an, bevor er mit leicht französischem Akzent mit einer anderen Frau sprach. Ich erkannte ihn von der Bühne wieder und aus irgendeinem Grund hatte ich ihn schon da nicht gemocht. Dieser Eindruck schien auf Gegenseitigkeit zu beruhen, während er immer wieder zu Lizzys Garderobentür sah.

Lizzy
Zum Glück fand auch Sybil ein paar Worte und Jimmy zog sich freiwillig zurück, damit Sybil und ich reden konnten. "In Ordnung, dann komm mit", sagte ich lächelnd, führte Sybil in meine Garderobe und schloss die Tür hinter uns. Meine Sorge, Sybil könnte noch wütend auf mich sein, war völlig unbegründet – kaum war die Tür zu, nahm sie mich auch schon in den Arm. "Und ich erst", lachte ich erleichtert und erwiderte ihre Umarmung, ehe ich mich auf den Stuhl vor dem Schminktisch setzte und Sybil mit einer Handbewegung das kleine Sofa zuwies. "Ich schätze, wir haben beide eine Menge zu erzählen", stellte ich fest. "Wo fangen wir nur an? Wie lange seid ihr noch in London? Wie geht es deiner Familie? Hast du schon geheiratet?" Die letzte Frage konnte ich mir mit einem Blick auf ihre Hände selbst beantworten, aber dass sie keinen Ring am Finger hatte, musste ja nichts heißen. Irgendwie hatte ihr Gesichtsausdruck sich verändert. Es war sofort wieder wie früher – ich konnte sehen und spüren, dass sie etwas beschäftigte.
Pierre
Ich hatte Lizzy gerade ein Glas Sekt reichen und mit ihr anstoßen wollen, wie nach jeder gelungenen Aufführung, als sie plötzlich weg war. Als ich sie das nächste Mal sah, stand sie neben einer Frau in ihrem Alter, die recht wohlhabend aussah und einem für meinen Geschmack viel zu jungen und viel zu gut, aber auch arrogant aussehenden Mann. Noch bevor ich überhaupt die Gelegenheit hatte, meine zukünftige Ehefrau zu fragen, wer ihre unbekannten Freunde waren, war sie schon mit der Frau in ihrer Garderobe verschwunden. Ich atmete genervt aus. Obwohl sie noch keine zwei Jahre in London lebte, hatte Lizzy an jeder Ecke Bekannte. Sie redete mit jedem und war ein Freigeist, den ich nur schwer bändigen konnte, so sehr ich mir das manchmal wünschte. Wer waren diese Leute, die ihr nach der Aufführung wichtiger waren als ich? Ich fragte Nancy, die an mir vorbei ging, aber sie wusste nichts von irgendwelchen Gästen. Na schön. Entschlossen ging ich auf den Mann zu, der nun gegenüber der Garderobe an der Wand lehnte. "Mit dem ist sie da drinnen?", fragte ich, machte eine Kopfbewegung zur Garderobentür und sah ihn auffordernd an.

Sybil
Es war genauso wie früher und nur zu gern setzte ich mich hin. Schließlich gab es so viel zu erzählen und da ich nichts verbergen wollte, würde es sicher dauern. Nur kurz hatte ich darüber gezweifelt. Niemand außer Tom und mir, meinen Schwestern und seiner Mutter wusste etwas. Mary und Edith würden nie etwas ausplaudern, da unsere Familie damit in einen Skandal verwickelt werden würden. Lizzy hatte ich zwei Jahre nicht gesehen. Dennoch vertraute ich ihr, da sie mich schon damals mit meiner politischen Ader unterstützt hatte. Ich lachte über ihre Flut an Fragen, aber natürlich hatte ich genau die gleichen. Einer musste wohl einfach anfangen. "Wir sind letzte Woche angekommen und es geht allen gut. Edith hat geheiratet und ist jetzt für die Flitterwochen in Italien", fing ich an. Mary ließ ich dabei lieber aus dem Spiel, Lizzy und sie konnten sich ja sowieso nie leiden und sicherlich würde das auch heute noch so sein. Ich holte einmal tief Luft. Denn wenn ich es ihr jetzt sagte, würde es noch ein Stück offizieller werden. Außerdem platzte ich beinahe, es noch länger für mich zu behalten. "Ich bin unverheiratet - noch" Ihre Augen weiteten sich und ich musste einfach lächeln. Erinnerte sie sich an Tom? "Er heißt Tom Branson. Und ist unser Chauffeur. Meine Familie weiß noch nichts davon, jedenfalls nicht offiziell. Wir warten darauf, dass er einen Job in Dublin bekommt. Und dann werden wir heiraten" Erst jetzt sah ich auf ihre Hände - und erkannte im Gegensatz zu mir einen Verlobungsring. Zwei Jahre hatten wir uns nicht gesehen - und so schnell konnte sich alles ändern.
Jimmy
Während sich hinter der Tür nichts regte, bekam ich Gesellschaft. Ausgerechnet von dem Franzosen - für den ich ihn hielt - der mich eben so finster begutachtet hatte. Ich richtete mich auf, verfluchte wie schon so oft im Leben meine geringe Größe und erwiderte seinen Blick mit der gleichen Abneigung. "Warum fragst du sie nicht selbst?", gab ich zurück. Schließlich hatte ich ihm gar nichts zu sagen. Außerdem ging mir seine Art gehörig gegen den Strich. "Wenn sie die Tür hinter sich zugemacht hat, will sie aber bestimmt nicht gestört werden" Keine Ahnung, warum ich diesen Kerl nicht mochte und mir sicherlich eine Menge Ärger einbrockte. Aber ich hatte die ungute Vorahnung, dass er etwas mehr mit Lizzy zu tun hatte als einfach nur ihr Kollege zu sein. Oder hätte es bei ihm Eindruck gemacht, wenn ich ihm geantwortet hätte, dass Lady Sybil Crawley bei Lizzy war? Ich glaubte nicht. Wegekeln würde ich mich von ihm auf jeden Fall nicht. Ich würde mit Lizzy reden - worüber, das könnte ich später noch klären - ob es ihm passte oder nicht.

Lizzy
"Edith hat geheiratet!", wiederholte ich überrascht und biss mir gleich darauf auf die Zunge, weil es so gemein geklungen hatte. Aber jeder, der die Crawley-Schwestern kannte, würde mir wohl zustimmen, dass es zu erwarten gewesen war, Mary als erste vor den Altar treten zu sehen. "Ich meine... das freut mich für sie, wirklich", fügte ich schnell hinzu und lächelte. Und es stimmte ja auch, Mary und ich hatten uns nie gut verstanden, Edith hingegen gönnte ich ihr Glück von Herzen. Neugierig sah ich Sybil an, die aussah, als wollte sie mir gleich etwas unheimlich wichtiges sagen. Fragend schaute ich sie an und dann ließ sie die Bombe platzen: Sie war anscheinend mit Tom Branson so gut wie verlobt. Mit großen Augen sah ich sie an, während mein Gehirn diese Information verarbeitete. "Klar, ich kenne Branson, er hat mich mit beachtlicher Geschwindigkeit zum Bahnhof gefahren, als ich damals von meiner Hochzeit geflüchtet bin", sagte ich. "Aber wie kam es dazu? Versteh mich nicht falsch, ich verurteile dich nicht. Die Sache mit Jimmy ist dir ja sicherlich genauso gut im Kopf geblieben wie mir", grinste ich. Einerseits freute ich mich riesig für Sybil. Branson war ein netter Kerl und ich verwettete meinen eigenen Verlobungsring darauf, dass das gemeinsame politische Interesse die beiden zusammengeführt hatte. Andererseits würde eine Hochzeit mit ihm nicht leicht für Sybil werden. "Und ihr wollt nach... Dublin?", hakte ich dann etwas niedergeschlagen nach. Es war ein komisches Gefühl, dass ich Sybil gleich wieder verlieren sollte, wo wir uns doch gerade erst wiedergefunden hatten.
Pierre
Dieser kleine Schnösel war wirklich ziemlich frech. Konnte er mir nicht einfach eine normale Antwort geben? Dass ich ihn um mehr als einen Kopf überragte, machte sie Sache nur noch lächerlicher. "Hüte besser deine Zunge, du vergisst wohl, wo und wer du bist", zischte ich und ging in Richtung meiner eigenen Garderobe davon, bevor ich noch etwas Unüberlegtes tat. Tatsächlich machte meine Aussage wenig Sinn, denn ich wusste ja gar nicht, wer dieser unsympathische Unbekannte war. Wahrscheinlich hatte er gar nichts mit Lizzy zu tun und sich nur an die junge Frau, die offenbar ihre Freundin war, drangehängt. Vielleicht war er nur ein Fan. Jedenfalls niemand, um den ich mir Gedanken machen musste.

Sybil
Natürlich war sie überrascht oder besser gesagt geschockt - schließlich war es leider noch immer eine große Sache, zwischen den Klassen zu heiraten. Und Lizzy hatte dabei mit Jimmy so ihre ganz eigenen Erfahrungen gemacht. Dennoch war ich erleichtert, dass sie noch immer genauso dachte wie früher und mich nicht verurteilte. So, wie es andere bald tun würden, wenn Tom und ich heiraten würden. "Du erinnerst dich sicher noch, dass er derjenige war, der mir diese politischen Hefte und Broschüren gegeben hat. Von da an nahm die Sache irgendwie ihren eigenen Lauf. Bis er mir seine Liebe gestanden hatte. Und vor einigen Wochen sind wir abgehauen, nach Gretna Green. Aber Mary und Edith haben mich zurückgeholt. Natürlich werde ich früher oder später mit ihm gehen, aber nicht wie ein Dieb in der Nacht. Tom will Journalist in Dublin werden und ich möchte wieder als Krankenschwester arbeiten. Sobald er eine Zusage für einen Job hat, werden wir es meiner Familie sagen und dann nach Irland aufbrechen", beantwortete ich ihr in groben Zügen all die Fragen. Wir könnten die ganze Nacht hier sitzen und uns gegenseitig von unserem Leben erzählen. In ihrem Blick meinte ich Sorge zu erkennen. "Es wird nicht einfach werden. Aber ich liebe Tom. Und ich will ein neues Leben" Ich lächelte sie breit an. Würde ich erst einmal in Dublin sein, würden wir so schnell nicht mehr zurück nach England kommen, da war ich mir sicher. Es war also heute ein Wiedersehen und gleichzeitig wieder ein Abschied von Lizzy. "Und was ist mit dir? Im Gegensatz zu mir trägst du ja einen Ring. Und ich hoffe, dass deine Hochzeit ein wenig unspektakulärer sein wird", richtete ich dann unser Gespräch auf sie. Denn schließlich war ich genauso neugierig auf ihr Leben in den vergangenen Jahren wie sie auf meins.
Jimmy
Anscheinend hatte er eine große Klappe, aber keinen Mut. Warum sonst sollte er einfach so gehen? Weiterhin hatte er kein Recht, sich hier so aufzuführen. Ich mochte zwar nur ein einfacher Diener sein, aber dennoch brauchte ich mich hier nicht zu verstecken. Er war nicht der Prinz von Wales, sondern nur ein einfacher Schauspieler. Ich schnaubte also nur und sah ihm nach, während ich weiter wartete. Hoffentlich musste ich diesen Kerl heute Abend nicht nochmal wiedersehen. Stattdessen richtete ich meine Aufmerksamkeit auf die anderen Menschen, die hier herumliefen. Der ein oder anderen Frau warf ich ein breites Lächeln zu.

Lizzy
Sybils Geschichte klang wie aus einem Groschenroman, aber ich zweifelte keine Sekunde daran. Ich hatte noch schwach in Erinnerung, was sich zwischen ihr und Tom Branson zugetragen hatte, als ich noch in Downton war, und eigentlich hatte damals schon alles auf diesen Ausgang der Geschichte hingedeutet. "Sybil, ich weiß gar nicht, was ich sagen soll", antwortete ich mit einem schwachen Grinsen, als sie zu Ende erzählt hatte. "Ich bin einerseits so überrascht und andererseits passt das alles so gut zu dir", lachte ich. "Ich finde, in Dublin als Krankenschwester zu arbeiten klingt viel mehr nach dir, als in Yorkshire spazieren zu gehen und ständig deine Kleidung zu wechseln." Ich wollte Sybil auf jeden Fall ermutigen – wozu auch meine Zweifel vorbringen, sie wusste ja selbst, dass es nicht leicht werden würde. "Meine Hochzeit wird sehr unspektakulär", bestätigte ich, als wir schließlich auf mich zu sprechen kamen. "Zumindest, wenn es nach mir geht. Pierre wünscht sich ein größeres Ereignis mit Presse, vorzugsweise in Paris", sagte ich und verdrehte genervt die Augen, grinste aber. Dass ich keine große Hochzeit wollte, war mir damals dank Henry klar geworden, aber ich liebte Pierre und es war mir egal, wo die Hochzeit stattfand und wie viele Gäste wir haben würden. "Wir kennen uns, seit ich hier angefangen habe zu arbeiten, das war kurz nach meiner Ankunft in London", erzählte ich. "Und ineinander verliebt haben wir uns, als ich in meinem ersten Stück mitgespielt habe und wir beide die Hauptrollen hatten." Ich lächelte bei der Erinnerung. "Im nächsten Frühjahr wollen wir heiraten."

Sybil
"Pierre?", fragte ich grinsend. Es freute mich so sehr, dass auch sie jemanden gefunden hatte. Und dass gleich, nachdem sie nach London gekommen war. Das war eine meiner größten Sorgen - abgesehen davon, dass sie einem Serienmörder zum Opfer gefallen war - gewesen: Dass sie allein in dieser riesigen Stadt war, ohne eine richtige Zukunftsperspektive. Stattdessen klang wie eine sehr romantische Liebesgeschichte, dass sie sich im Theater kennengelernt und die Hauptrollen gespielt hatten. "Ich bin so froh, Lizzy. Du hast dein Leben gefunden und ich meins - jedenfalls bald. Ich habe nie wirklich mehr darüber nachgedacht, aber bereits in Downton hast du schon immer gern vom Theater erzählt. Dass du jetzt selbst Schauspielerin bist - darauf wäre ich nie gekommen" Ich musste darüber lachen, welche Wege das Leben mit uns ging. Die Hauptsache war, dass wir beide glücklich waren. Sie am Theater mit Pierre und ich in meinem selbstbestimmten Leben mit Tom. "Und dass du im Theater auch noch deinen Mann kennenlernst! War er heute Abend auch auf der Bühne?" Ich war neugierig darauf, wie er wohl sein würde. Auf jeden Fall ganz anders als Henry Redvers. Eher so wie Jimmy? Das waren die anderen Männer in Lizzys Leben gewesen. Aber wenn er auch Schauspieler war, würde er sicher perfekt zu ihr passen und ihre Leidenschaft teilen.

Lizzy
"Ja, verglichen mit unserer Situation vor zwei Jahren, haben wir beide unseren Weg gefunden. Ich glaube, wir werden alt", grinste ich, wurde aber tatsächlich etwas melancholisch. "Ich hätte auch nie gedacht, dass ich mal auf der Bühne stehen würde, und meine Eltern hätten es vermutlich nicht erlaubt. Aber sie haben sich damit abgefunden. Pierre war heute Abend Cleante – und er war wundervoll", sagte ich lächelnd. Dann stand ich auf. Ich musste die beiden unbedingt bekannt machen. "Komm mit, ich stelle euch vor. Wir sollten auch Jimmy nicht so lange da draußen warten lassen, wir haben hier eine Menge hübscher Frauen", lachte ich und wir gingen aus der Garderobe. Jimmy stand noch immer da, wo wir ihn vorhin zurück gelassen hatten. Pierre lief glücklicherweise gerade den angrenzenden Gang entlang, sah mich und kam ihn meine Richtung. Ich ging auf ihn zu, nahm seine Hand und zog ihn zu Sybil und Jimmy. "Pierre, das sind Lady Sybil Crawley und Jimmy Kent, alte Freunde von mir. Sybil, Jimmy, das ist Pierre Rousseau, mein Verlobter." Strahlend sah ich die beiden an. Pierre nickte Jimmy reserviert zu, was ich nicht verstand, und gab Sybil die Hand. "Sehr erfreut."

Sybil
Ich erinnerte mich an Pierre auf der Bühne, aber natürlich wollte ich ihn auch privat kennenlernen. Ohne lange zu zögern folgte ich Lizzy also aus ihrer Garderobe und wir hatten Glück, dass ihr Verlobter gerade in der Nähe war. Ohne Frage, er sah wirklich gut aus und als die beiden sich auch gleich an den Händen hielten, war ich mir sicher, dass er der Richtige für Lizzy war. Nur Jimmy sah für einen Moment mit weit aufgerissenen Augen auf Pierre, als Lizzy ihn als ihren Verlobten vorstellte. Die beiden würden sicher gleich ein interessantes Gespräch führen... Ich hingegen lächelte Pierre jedenfalls an. "Lizzy und Sie waren wirklich toll heute Abend", machte ich ihm ein Kompliment und ignorierte, wie er immer wieder zu Jimmy sah, der sich neben mich aufgerichtet hatte.
Jimmy
Ich hatte mich schon damit abgefunden, die halbe Nacht warten zu müssen, als sich die Tür plötzlich öffnete und Lady Sybil und Lizzy herauskamen. Ich suchte ihren Blick, aber sie sah sich suchend nach jemadem um - und holte ausgerechnet den Kerl von eben zu sich. Als sie auch noch seine Hand nahm, sah ich meine böse Vorahnung bestätigt - im gleichen Moment stellte sie ihn als ihren Verlobten vor. Ausgerechnet einen arroganten Franzosen, der mich jetzt schon wieder von oben herab kühl betrachtete. Ich ließ ihn und Lady Sybil höfliche Konversation machen, während ich zu Lizzy sah. Was sah sie nur in ihm? Lag es daran, dass er Schauspieler war? So wie er mich betrachtete, würde ich wohl kaum heute Abend allein mit ihr sprechen können. Seine Eifersucht und Abneigung mir gegenüber spürte ich nur zu deutlich - dabei wusste er ja nicht einmal, wie Lizzy und ich zueinander standen... Oder doch?

Lizzy
Die Abneigung, die zwischen Jimmy und Pierre in der Luft lag, war fast körperlich zu spüren. Während Sybil Pierre ein Kompliment zu unseren schauspielerischen Leistungen heute Abend machte, woraufhin Pierre sich bedankte und ihr einige Fragen über ihre Meinung zum Stück stellte, sah Jimmy mich an. Ich erwiderte seinen Blick und für einen kurzen Moment fühlte es sich seltsam an. Ich hatte ihn so lange nicht gesehen, aber seine Augen kamen mir immer noch so vertraut vor... Ich räusperte mich und schüttelte den Gedanken ab. "Jimmy, möchtest du auch kurz mitkommen?", fragte ich und machte eine Kopfbewegung zu meiner Garderobe. Er hatte sicher einen guten Grund, den nicht gerade niedrigen Preis für die Theaterkarte gezahlt zu haben. "Ihr beide habt sicher noch Gesprächsstoff für ein paar Minuten", sagte ich zu Sybil und Pierre, die schon in ein Gespräch vertieft waren und ging mit Jimmy in meine Garderobe. Allerdings ließ ich die Tür angelehnt, damit Pierre nicht auf falsche Gedanken kam. Wie vorhin setzte ich mich auf den Stuhl und bot Jimmy das Sofa an. "Ich wusste gar nicht, dass du dich für Theater interessierst", witzelte ich. Denn wir wussten ja beide, dass er das nicht tat.

Jimmy
Pierre war es anscheinend gar nicht recht, dass Lizzy mich zu einem privaten Gespräch bat. Aber auch wenn ich immer noch keinen blassen Schimmer hatte, worüber wir reden konnten - allein um Pierre einige unangenehme Gedanken zu machen, gingen ich nur allzu gern mit ihr mit. Wahrscheinlich malte er sich die schlimmsten Dinge aus, die ich mit seiner Verlobten anstellen konnte. Wohlweislich ließ sie die Tür leicht geöffnet und ich setzte mich hin. Jetzt war der Moment endlich gekommen - was sollte ich zu ihr sagen? Zum Glück übernahm sie den Einstieg. "Ich interessiere mich für dich", meinte ich in meinem charmantesten Tonfall, der ihr früher immer so gefallen hatte. "Oder zumindest habe ich das, vor zwei Jahren", fügte ich dann hinzu, denn ob das immer noch so war, davon hatte ich im Moment keine Ahnung. Es war bestimmt die Begegnung mit Pierre, die mich in eine solche Flirtlaune brachte, die eigentlich unangemessen war. Sie war verlobt. Aber er war ein Mann, den ich nur allzu gern ärgerte. Ohne sein Auftreten wäre ich vielleicht sogar einfach gegangen, denn eigentlich verband uns nichts mehr. Sie war ihren Weg gegangen und ich war zurückgeblieben. Und hatte mich anderen Frauen zugewendet. Aber da ich im Moment niemanden hatte und mich langsam wirklich langweilte, kam Lizzy da gerade recht. Und Pierre weckte meinen Ehrgeiz.

Lizzy
Jimmy hatte sich wirklich kein bisschen verändert. Ich mich hingegen schon, was sein Pech war. "Du bist ja noch ganz der Alte", stellte ich grinsend fest und zog eine Augenbraue hoch. "Bist du immer noch nicht sesshaft geworden?" Aber diese Frage konnte ich mir selbst beantworten. Die Aussicht, für den Rest seines Lebens mit derselben Frau zusammen zu sein, war für Jimmy vermutlich so verlockend, wie einem Wal in den Rachen geschmissen zu werden. "Also, was hältst du von Pierre?", fragte ich schließlich provokant. Irgendetwas schien zwischen den beiden vorgefallen zu sein, während ich mich mit Sybil unterhalten hatte, und ich wollte nur zu gerne wissen, was es war. Jimmy erschien mir nicht wie jemand, der schnell eifersüchtig wurde – im Gegensatz zu meinem Verlobten, der sich sicherlich gerade unbegründete Sorgen machte, Jimmy könnte mich ihm ausspannen – , und weshalb auch, er hatte ja keinerlei Anspruch auf mich.

Jimmy
"One day I'll be a good boy and settle down...", antwortete ich grinsend. Sie kannte mich ja, dachte ich. Und im Gegensatz zu mir schien ich mich wirklich nicht verändert zu haben. Ich arbeitete noch immer auf Downton unter einem Butler, der mich nicht wirklich mochte. Gut, zwischendurch war die Affäre mit Lady Anstruther wieder aufgelegt - aber das war nun auch beendet. Lizzy hingegen hatte sich von ihrem alten Leben gelöst und ich glaubte kaum, dass ich sie jetzt noch auf die gleiche Art verführen konnte wie vor zwei Jahren. In gewisser Weise war sie deutlicher gealtert und erfahrener geworden, während ich der gleiche Kindskopf gewesen war. Und genau deshalb beantwortete ich ihre Frage nach Pierre - sie wusste ganz genau, wie sie mit mir spielen konnte - mit "Und ich dachte, du hättest Stil bei der Auswahl deiner Männer" Breit grinsend lehnte ich mich zurück. Der schlimmste Verlauf des Abends konnte sein, dass sie mich rausschmiss. Aber das war in Ordnung, schließlich hatte ich nichts zu verlieren. Meine nächtlichen Besuchen waren lange her. Aber vielleicht hatte ich ja wirklich noch eine Chance gegen den Froschesser Pierre.

Lizzy
Bei Jimmys Antwort musste ich laut lachen und hoffte sofort, dass man es draußen nicht hörte. Da Pierre ohnehin schon so schlecht auf Jimmy zu sprechen war, würde es ihm sicherlich nur unnötigen Anlass zur Eifersucht geben, wenn er mitbekam, dass Jimmy mich zum Lachen brachte. "Mein Geschmack hat sich verglichen mit früher deutlich verbessert", gab ich zurück. Ein bisschen enttäuscht war ich dennoch, dass er mir keine richtige Antwort gegeben hatte – ich würde also später Pierre fragen, was zwischen den beiden vorgefallen war. Ich betrachtete ihn aufmerksam. Da war etwas in seinen Augen, das mir nicht gefiel – dieser schelmische Blick, als würde er etwas im Schilde führen. "Jimmy, du wirst mir doch keine Schwierigkeiten machen, wenn wir und Pierre uns nochmal begegnen?", hakte ich nach und zog schon wieder meine linke Augenbraue hoch. Das wurde langsam zur Gewohnheit. Aber solange Sybil und ich uns noch in derselben Stadt befanden, würde es sicher eine Gelegenheit geben, uns zu sehen und dann war die Wahrscheinlichkeit groß, dass auch Jimmy nicht weit war. Und gerade war ich so durcheinander und immer noch überrumpelt vom Überraschungsbesuch heute Abend dass ich nicht wusste, ob ich das gut oder schlecht fand.

Jimmy
Wäre ich ein sensibler Mensch gewesen, hätte ich es fast schon als Beleidigung aufgefasst, dass sich ihr Männergeschmack zu früher deutlich verbessert haben sollte. Aber da ich das nicht war, grinste ich nur schief und beugte mich vor, damit wir uns ein wenig näher waren. "Das sehe ich ganz und gar nicht so", meinte ich dazu. Anscheinend machte sich Lizzy wirklich Sorgen um ihren Verlobten. Warum sonst würde sie danach fragen, ob ich bei einem Zusammentreffen Schwierigkeiten machen würde? In meinen Augen war Pierre eine Diva. Und sehr eifersüchtig. "Wann habe ich dir jemals Schwierigkeiten gemacht?", antwortete ich mit einem Zwinkern. "Aber da du sicher eine ernst gemeinte Antwort haben willst: Ich werde brav bleiben. So lange er das auch ist" Mich amüsierte es, wie sehr ich ihm bereits jetzt ein Dorn im Auge war, obwohl er noch nicht einmal wusste, dass ich monatelang jede Nacht in Lizzys Bett verbracht hatte. Dass er davon nichts wusste, war mir mittlerweile klar. Ansonsten hätte er mich sicher erwürgt oder mit einer Requisite erschlagen. Warum hätte Lizzy ihm auch davon erzählen sollen? Bis heute Abend war ich aus ihrem Leben verschwunden gewesen, genauso wie Lady Sybil. Jetzt könnte sich das ändern.

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