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Sybil
Den Rest unseres Lebens... Lächelnd sah ich ihn an. Ja, das wollte ich. Lieber jetzt als später, aber eine Woche würde ich noch durchhalten. Kurz bekam ich Angst, als er ansprach, zu kündigen und aus dem Haus zu ziehen. Am liebsten hätte ich ihn ununterbrochen in meiner Nähe, aber natürlich war es der nächste logische Schritt. Papa würde ihn früher oder später selbst kündigen und ohne Mamas Krankheit hätte er das sicher auch schon längst getan. Dennoch mochte ich die räumliche Trennung nicht... Es war ja nicht lange, redete ich mir ein. Und Mama würde es morgen sicher besser gehen. "Wissen es alle schon?", fragte ich ihn und deutete wage durch das Dienstbotenzimmer. Es war nicht nur ein Skandal für meine Familie, sondern auch für die Dienstboten. Carson würde wahrscheinlich gar nicht darüber reden wollen. Was es nur einfacher für Tom machen würde, wenn er nicht ständig in dessen Nähe sein würde. "Am liebsten würde ich jetzt gleich mit dir mitkommen. Papa wird mir nie seinen Segen geben, es wird also keinen Unterschied machen", sagte ich dann leise und unterdrückte ein Gähnen. Ich musste mich wirklich zusammenreißen und warf einen Blick auf die Uhr. Ich sollte O'Brien nicht so lange allein lassen. "Ich muss jetzt gehen. Sag mir sofort Bescheid, wo du wohnen wirst" Ich lächelte ihn an und küsste ihn kurz, bevor ich aufstand. Denn ansonsten würde ich die ganze Nacht bei ihm bleiben. "Und ich komme sofort zu dir, wenn wir aufbrechen können."

Tom
Ich grinste kurz. Ganz so schlecht fand ich die Aufmerksamkeit, die mir im Moment zuteil wurde, nicht, denn ich war froh ein Beispiel dafür abgeben zu können, dass Klassenunterschiede keine Rolle spielten. "Ich schätze, mittlerweile hat es sich herumgesprochen. Das Dienstbotenleben ist meistens langweilig und wenn es solche Neuigkeiten gibt, wird es schnell jedem erzählt." Ich musste lächeln, als Sybil sagte, dass sie am liebsten gleich mit mir kommen würde – auch, wenn es eher ein trauriges Lächeln war, weil nur Lord Granthams Sturheit Sybil dazu veranlasste, wegzugehen ohne mit ihrer Familie Frieden geschlossen zu haben. "Es wird sicher nicht für lange sein. Morgen werde ich mich nach einem Zimmer erkundigen und dann sofort zu Carson gehen und Lady Grantham geht es sicher in spätestens einer Woche besser." Durch Lady Granthams Krankheit waren die geplanten Aktivitäten der Familie komplett durcheinander geraten und ich hatte somit mehr Zeit – die ich jetzt gut gebrauchen konnte. Sybil warf widerwillig einen Blick auf die Uhr und ich befürchtete schon, dass unsere gemeinsame Zeit für heute wieder vorbei war. "Du wirst von mir hören", versprach ich. "Pass auf dich auf!", rief ich noch, als sie wegging. Wer wusste schon, ob die Krankheit, die Lady Grantham hatte, nicht sehr ansteckend war?

Sybil
Durch das Treffen mit Tom war ich wie elektrisiert und um einiges wacher und besser gelaunt, als ich in Mamas Zimmer zurückkam. Dankbar trat O'Brien den Rückzug an und ich übernahm meine Nachtschicht. Ununterbrochen kontrollierte ich ihre Temperatur, tupfte ihr die Stirn mit feuchten Tüchern ab und gab ihr alle paar Stunden die verschriebenen Medikamente. Aber abgesehen davon, dass sich dunkle Ringe unter meinen Augen bildeten und es draußen langsam wieder heller wurde, änderte sich nichts. Wie verbissen machte ich weiter, bis mich Mrs. Hughes mit einer Tasse Tee versorgte. Ich hatte Männer mit abgerissenen Gliedmaßen gesehen, Erbrochenes aufgewischt und mein Kleid mit Blut besudelt. Trotz alledem war es eine meiner härtesten Aufgaben, mich um meine Mutter zu kümmern - eben genau deshalb, weil sie meine Mutter war. Und ich ein immer größeres schlechtes Gewissen bekam, weil ich sie so verletzt hatte. Deswegen wollte ich sie unbedingt gesund pflegen. Nachdem ich mich kurz ausgeruht und umgezogen hatte, bekam ich eine Nachricht von Tom - er hatte gekündigt und außerdem ein Zimmer in der Nähe gefunden. Auch für ihn kümmerte ich mich so sehr um Mama, damit wir bald aufbrechen könnten. Papa kam kurz zu Besuch und sah mich scharf an, aber ich konnte seinem Blick standhalten. "Branson hat also gekündigt", sagte er, bevor er sich Mama ansah. "Du hättest ihn wohl kaum weiterhin dein Auto fahren gelassen", konterte ich und lehnte mich erschöpft an die Wand. Ich war ausgelaugt, meine Glieder schmerzten und mein Kopf fühlte sich an, als würde ich einen viel zu engen Hut tragen. Ich schob es auf meine ununterbrochene, harte Arbeit. Die mir seit heute Mittag nicht mehr so leicht von der Hand ging. Bevor ich noch weiter mit Papa streiten konnte, wollte ich von unten neues Wasser holen. Ich griff nach der Kanne, bevor mich eine Welle von Schwindel und Übelkeit traf und ich in mir zusammensank. Die Kanne fiel scheppernd auf den Boden. "Sybil?", fragte Papa, aber seine Worte klangen weit entfernt. Schwerfällig griff ich mir an den Kopf und atmete schnell, bevor alles dunkel wurde.
Mary
Wie oft hatte ich den Artikel schon angefangen? Unzählige Male hatte ich in der Mitte des Satzes aufgehört, weil ich mich nicht mehr an den Anfang erinnern konnte. Wie schon den ganzen Tag konnte ich nichts mit mir anfangen. Denn die Nacht hatte keine Veränderung bei Mama gebracht und mittlerweile war der Doktor auch nicht mehr so zuversichtlich wie gestern noch. Das alles belastete natürlich das ganze Haus. Auch Edith schien es wie mir zu gehen, denn mittlerweile saß sie einfach auf dem Sofa neben Richard und starrte an die Wand. "Vielleicht sollten wir Mama doch ins Krankenhaus bringen", meinte ich dann und warf die Zeitschrift auf den Beistelltisch. Die Stille würde mich sonst noch verrückt machen. "Der Doktor wird wissen, wann es soweit ist", sagte Richard und sah Edith mitfühlend an. Ich riss mich zusammen, um nicht die Augen zu verdrehen - aus Neid, weil ich niemanden an meiner Seite hatte. Selbst Sybil war einer Hochzeit näher als ich. Zwar mit dem Chauffeur, aber immerhin. Einen Moment war es wieder ruhig. Eigentlich warteten wir den ganzen Nachmittag nur auf eine Nachricht von oben, wie es Mama ging. Papa war bei ihr und dass er nicht zurückkam, beunruhigte mich. Oder hatte er wieder einen Streit mit Sybil angefangen? Himmel, unser Leben ging im Moment wirklich drunter und drüber. Als es schon fast Zeit für den Tee war, öffnete sich ruckartig die Tür und ich stand automatisch auf. Papas Gesichtsausdruck war erschreckend und ich rechnete mit dem schlimmsten - aber es war nicht Mama. "Sybil hat sich angesteckt. Es geht ihr nicht gut", sagte er atemlos und ich sah zu Edith. Es schien, als läge ein Fluch auf der Familie Crawley.

Tom
Ich ging mit einem guten Gefühl zu Bett – noch immer von Glückshormonen durchströmt, weil ich Sybil heute Abend gesehen hatte, erleichtert über meine Entscheidung, zu kündigen und Carson nicht mehr ständig unter die Augen treten zu müssen und zuversichtlich, dass Lady Grantham bald gesund wurde. In meinem Eifer hatte ich vor dem Schlafen sogar noch eine schriftliche Kündigung verfasst. Die Suche nach einem Zimmer am nächsten Tag stellte sich als besonders einfach heraus. Innerhalb weniger Stunden hatte ich ein bezahlbares Zimmer in einem benachbarten Stadtteil gefunden. Natürlich, das hier war ja auch nicht Yorkshire. Zufrieden mit mir selbst ging ich zu Carsons Zimmer und klopfte an. Der Butler nahm meine Kündigung nicht gerade begeistert entgegen – immerhin musste er sich jetzt neben all dem Stress auch noch um einen neuen Chauffeur kümmern. Andererseits war er froh, mich los zu sein. Man sah das Dilemma regelrecht an der Art, wie sich seine Stirn kräuselte. Zufrieden ging ich dann meine wenigen Sachen zusammenpacken, damit ich morgen früh gleich mein Zimmer beziehen konnte. Jetzt musste ich nur noch Sybil Bescheid sagen. Aber wie? Ich ging ins Dienstbotenzimmer und wartete, bis Jimmy hereinkam. "Jimmy", sagte ich leise und winkte ihm zu mir her. "Sagst du bitte Sy... Lady Sybil dass ich ab morgen im Broad Camel Inn wohne?" Jimmys Blick verdunkelte sich und ich hatte sofort eine böse Vorahnung. Innerlich betete ich, dass er die Worte nicht sagen würde.

Jimmy
Am Nachmittag wurde es im Haus noch unruhiger, als es ohnehin schon war. Neugierig sah ich durch die Tür des Speisesaals hinaus, aber natürlich wurde ich dadurch auch nicht schlauer, was los war. Also machte ich mit meiner Arbeit weiter und deckte den Tisch ein. Bis Mr. Carson in der Tür auftauchte und wild mit den Händen fuchtelte, dass ich aufhören sollte. "Es gibt heute Abend kein Dinner. Lady Sybil ist auch krank geworden und wenn ich Seine Lordschaft richtig verstanden habe, ist es beinahe noch schlimmer als bei Lady Grantham. Es gibt ein Buffet, nichts opulentes. Also räumen Sie wieder den Tisch ab, James", sagte er schnell und war schon wieder nach unten verschwunden. Ich sah ihm nach, denn das waren schlechte Nachrichten. Vor allem, weil ich auch Mr. Branson denken musste. Nachdem der Tisch wieder leer war, wollte ich eine kurze Tasse Tee trinken, bevor ich bestimmt die Sandwiches nach oben tragen musste. Ich zog mir gerade die weißen Handschuhe aus, als ich Mr. Branson im Dienstbotenzimmer sah. Seine Kündigung war durch's ganze Haus gegangen und das machte ihn nicht gerade zu einem gern gesehenen Gast hier. Wie er von Lady Sybils Erkrankung erfahren hatte, war mir ein Rätsel - bis er zu reden anfing und ich merkte, dass er gar keine Ahnung hatte. Er wollte ihr einfach nur sagen, wo er jetzt wohnte. Und ich durfte jetzt die schlechten Nachrichten überbringen. "Mr. Branson, Lady Sybil ist selber krank - es geht ihr nicht gut", sagte ich ernst. Er hatte es wirklich nicht einfach in diesen Tagen...

Tom
Lady Sybil ist selber krank... Es geht ihr nicht gut..., hallte es in meinen Ohren nach und es dauerte einen Moment, bis ich meine Gesichtszüge wieder vollkommen unter Kontrolle hatte. Ich kannte Jimmy zwar nicht besonders gut, aber gut genug, um zu wissen, dass es etwas Schlechtes bedeutete, wenn selbst er so ernst schaute. Tausend Gedanken gingen mir durch den Kopf, aber es lief immer auf Sybil wird sterben und Was soll ich nur ohne sie tun hinaus. "Mr. Branson?" Jimmy sah ich forschend an und erst jetzt schaffte ich, aus meinem Tunnelblick auszubrechen. "Kann ich zu ihr?", fragte ich, obwohl ich die Antwort schon kannte. Wie sollte das auch gehen? Das war alles ganz allein meine Schuld. Ich hatte Sybil unbedingt heiraten wollen, was wiederum Lady Grantham krank gemacht hatte, und nun hatte Sybil sich angesteckt. Ich war so egoistisch gewesen – hätte ich sie einfach in Ruhe gelassen, wären wir nun zwar nicht verlobt, aber Sybil wäre auch noch... Ich dachte den Gedanken nicht zu Ende. Verzweifelt schaute ich Jimmy an. "Es muss doch irgendeinen Weg geben, wie ich sie sehen kann!"

Jimmy
Fast hätte ich geglaubt, er würde in Ohnmacht fallen. Es war, als würde er mich gar nicht mehr sehen. Es dauerte eine Weile, bis er wieder zu sich kam, nachdem ich ihn angesprochen hatte. Er machte sich wirklich Sorgen... "Lord Grantham wird Sie sofort rausschmeißen, wenn er Sie in Lady Sybils Zimmer findet... Die einzige Möglichkeit ist, dass Sie sich reinschleichen, wenn niemand da ist. Oder Sie fragen Lady Mary oder Lady Edith", antwortete ich ihm auf die Frage, die so einfach, aber doch so kompliziert war. Jeder andere Verlobte hätte problemlos zu seiner zukünftigen Frau ans Krankenbett gehen können, aber nicht in diesem Fall. Ich dachte angestrengt nach. Ich hatte keine Ahnung, wie Lady Mary oder Lady Edith auf Mr. Branson reagieren würden, aber ich setzte mehr auf sie als auf Lord Grantham. Der wahrscheinlich jetzt auch ein schlechtes Gewissen hatte. "Mr. Carson müssen Sie gar nicht erst fragen - aber vielleicht Mrs. Hughes" Sie war jedenfalls nett und nicht so abgehoben wie der Butler. Ich sah Mr. Branson an. Hoffentlich würde er nicht mit Gewalt in Lady Sybils Zimmer gehen wollen, das würde ihn nicht gerade beliebter machen... "Es wird sicher alles gut. Der Doktor war eben bei ihr und sie ist doch jung und gesund", versuchte ich ihn zu beruhigen, denn er war leichenblass geworden und wirkte furchtbar traurig.

Lizzy
Das Telefon klingelt mal wieder zum genau falschen Zeitpunkt. "Wer ruft denn um diese Uhrzeit an?", stöhnte ich und kam unter der Bettdecke hervor. Pierres Kopf folgte. "Es ist Nachmittag, chérie", grinste er und ich schlug ihn mit einem Kissen. Wir waren bis in die frühen Morgenstunden aus gewesen, weil heute keine Probe anstand und ich war immer noch nicht ganz wach. Ich zog mir schnell mein Nachthemd über und war mit zwei großen Schritten am Telefon. Noch etwas verschlafen und genervt meldete ich mich, aber ich war sofort hellwach, als ich meinen Anrufer erkannte. "Ji- Josephine", korrigierte ich schnell und spürte Pierres Blick in meinem Nacken. Mein Herz machte einen Hüpfer. Was konnte er nur wollen? Ich hatte das blöde Gefühl, dass es nicht seine Sehnsucht nach mir war, die ihn dazu brachte, mich anzurufen. Meiner Erfahrung nach telefonierten Männer nicht gerne oder freiwillig. "Ist etwas passiert?" Und das war es tatsächlich. "Oh mein Gott... Sybil", hauchte ich. "Ist es wirklich so schlimm? Ja... ja, ich komme so schnell ich kann", sagte ich und legte ich auf. Ohne Pierre anzusehen ging ich ins Bad. "Lady Sybil ist krank, ich muss sofort zu ihr", rief ich ihm zu, während ich mich so schnell wie möglich auf Vordermann brachte. "War es dieser kleine Diener der dich angerufen hat? Oder wer ist Josephine?", fragte Pierre mich misstrauisch. Er saß noch in meinem Bett, während ich vor dem Spiegel stand und überprüfte, ob ich mich so auf der Straße blicken lassen konnte. "Sei nicht albern, du bist doch sicher nicht auf diesen kleinen Diener eifersüchtig?", sagte ich, ohne seine Frage zu beantworten. Ich gab ihm schnell einen Kuss und eilte zur Tür hinaus. Zum Glück erwischte ich schnell ein Taxi und war innerhalb weniger Minuten am Grantham House.

Jimmy
Mr. Branson und ich diskutierten noch eine Weile. "Wenn Sie einfach nach oben gehen wird es ein riesiges Theater ge-", meinte ich und hielt abrupt inne. Theater. Das war es. Ich brauchte jemanden, der ein höllisches Theater machen würde und so die Crawleys dazu brachte, Mr. Branson zu Lady Sybil zu lassen. Und genau diese Person kannte ich. Jemand, der von Berufs wegen Theater machen konnte - Lizzy. Mr. Carson würde mich steinigen, wenn er wüsste, was ich vorhatte. Aber es war alles logisch: Lizzy war Lady Sybils Freundin und konnte sie sicher ohne Probleme besuchen. Und dabei gleich dafür sorgen, dass ihr Verlobter das auch durfte. Grinsend sah ich Mr. Branson an. "Warten Sie eine Minute und passen Sie auf, dass Mr. Carson nicht in sein Büro geht", sagte ich noch über die Schulter, bevor ich im Büro des Butlers verschwand. Schnell wählte ich die Nummer der Auskunft, nannte Lizzys Name und wartete scheinbar ewig. Sie musste einfach zu Hause sein... Endlich meldete sie sich beinahe unhöflich, aber das hielt mich nicht auf. "Lizzy, hier ist Jimmy. Lady Sybil ist krank geworden - sehr krank. Du solltest besser sofort kommen. Es ist sehr ernst", sagte ich schnell. Es hörte sich so an, als würde sie gleich sterben, aber ein bißchen Druck würde sicher nicht schaden, dass Lizzy sich beeilte. Außerdem wusste ich ja nicht, wie schlimm es wirklich um sie stand... Sie versprach jedenfalls zu kommen und ich lächelte. Auf dem Weg zurück zum Dienstbotenzimmer dachte ich nur darüber nach, was ich getan hätte, wenn ihr französischer Verlobter ans Telefon gegangen wäre. Mr. Branson erklärte ich kurz, dass gleich jemand Sybil besuchen würde und er dann sicher auch zu ihr konnte. Und dann wartete ich, dass jemand an der Haustür klingelte und ich öffnen würde. Tatsächlich dauerte es gar nicht lange und ich lief nach oben, um ja vor Carson da zu sein. Lizzy wirkte ein wenig abgehetzt, aber vor allem besorgt. "Guten Tag, Miss", sagte ich förmlich, grinste sie aber kurz an.

Lizzy
Ich hatte gar keine Zeit, zu warten, bis der Taxifahrer mir die Tür öffnete. Das Auto war noch nicht ganz zum Stehen gekommen, da zerrte ich schon am Türgriff und fiel beinahe aus der Tür heraus. Ich drückte dem Fahrer einige Scheine in die Hand, rannte zur Tür und klingelte. Am Telefon hatte Jimmy geklungen, als läge Sybil im Sterben. Ich betete, dass er nur übertrieben hatte. Wenn man vom Teufel spricht, dachte ich dann, als er mir anstelle von Carson die Tür öffnete und mich zwar förmlich begrüßte, aber angrinste. Das alte Spiel von früher. "Jimmy", sagte ich nur und rang mir ein Lächeln ab. Mehr brachte ich anhand der Sorge um Sybil nicht zustande, außerdem war ich von meinem kurzen Sprint vom Taxi zur Haustür außer Atem. "Wo ist Sybil, ich kann doch zu ihr?", fragte ich, sah Jimmy an und runzelte besorgt die Stirn. Kam es mir nur so vor, oder war es unnatürlich still im Haus? Ich fühlte mich seltsam leer. Der Gedanke daran, dass ich Sybil vielleicht verlieren würde, so kurz nachdem wir uns wiedergefunden hatte, war unerträglich und dass ich kaum geschlafen und Restalkohol im Blut hatte, machte es nicht besser. Ich wünschte mir, dass Pierre hier wäre, aber der interessierte sich auffällig wenig für Sybil und alles, was mit ihrer Familie zu tun hatte. Als Jimmy mir erklärte, dass Mr Branson mit mir zu Sybil gehen würde, nickte ich nur abwesend, ohne näher darüber nachzudenken. Natürlich würde er sie auch sehen wollen, als ihr Verlobter. Ich seufzte und umklammerte meine Handtasche. Wie sie wohl aussehen würde? Ich hatte noch nie einen schwer kranken Mensch aus der Nähe gesehen.

Jimmy
Wahrscheinlich hatte ich doch ein wenig am Telefon bezüglich Lady Sybils Gesundheitszustand übertrieben, denn Lizzy wirkte den Tränen nahe und beinahe ängstlich. Aber gut, das würde ihre Hartnäckigkeit nur verstärken, unbedingt an Lady Sybils Bett zu kommen. Mit Mr. Branson als Begleitung. Kurz fragte ich mich, was ich hier eigentlich gerade angeleiert hatte und wie wütend Carson werden würde. Aber dann kam mir wieder Mr. Bransons trauriger Blick in den Sinn und ich wusste, das Richtige zu tun. Früher oder später müssten sich die Crawleys daran gewöhnen, dass der Chauffeur nun zur Familie gehörte und warum konnten sie damit nicht schon heute anfangen? "Mr. Branson wird Lady Sybil auch sehen wollen, also können Sie zusammen gehen", redete ich weiter mit meiner professionellen Stimme - man konnte ja nie wissen, wo der Butler gerade steckte und seine Ohren hatte. Ich bat Lizzy, kurz zu warten und holte Mr. Branson aus dem Dienstbotenzimmer. Er wirkte überrascht, aber ich sagte ihm, dass er mir vertrauen sollte. Wieder oben angekommen musterte Lizzy Mr. Branson und ich wollte die beiden gerade zur Treppe nach oben führen, als Carson aus der Bibliothek kam. "James, wer war an der Tür?", fragte er und blieb stehen, als er erst Lizzy sah - und dann Mr. Branson neben ihr. Das Theater konnte beginnen. Ich ersparte mir eine Antwort, als Carson sich Lizzy zuwandte. "Kann ich Ihnen helfen, Miss?", fragte er höflich, behielt aber aus den Augenwinkeln immer Mr. Branson im Auge, als ob der gleich etwas anstellen würde. Aber noch bevor Lizzy antworten konnte, kam von oben eine Stimme - Lady Mary. Perfekt. Spätestens jetzt würde Lizzy loslegen und ich zweifelte nicht daran, dass sie am Ende gemeinsam mit Mr. Branson zu Lady Sybil gehen würden. "Carson - wir brauchen neue Handtücher", sagte sie und blickte dann auf die versammelte Runde in der Eingangshalle. Ihre Augen verengten sich, als sie Lizzy sah. "Elizabeth Allen?" Sie schien wirklich schockiert zu sein. "Was willst du hier?"

Lizzy
Ich musterte Tom Branson, als Jimmy ihn zu mir hoch brachte. Er sah regelrecht verzweifelt aus und tat mir augenblicklich leid. In dieser Familie, das wusste ich aus Erfahrung, hatte man es als Außenstehender nicht immer leicht, und als Chauffeur der mit der Tochter verlobt war, vermutlich erst recht nicht. Ich nickte ihm aufmunternd zu und wir wollten gerade hinter Jimmy nach oben gehen, als Carson aus der Bibliothek trat. "James, wer war an der Tür?", fragte er und blieb dann abrupt stehen, als er Branson und mich entdeckte. "Kann ich Ihnen helfen, Miss?" Ich machte gerade den Mund auf, um zu antworten, als Marys Stimme erklang. Dich habe ich echt nicht vermisst. Langsam wurde mir klar, dass Jimmy anscheinend der einzige war, der von meinem Besuch wusste und dass dahinter ein Plan stecken musste, denn Branson war sicher nicht als Zuschauer hier. Aber ich war gerne bereit, mitzuspielen. Also setzte ich mein freundlichstes Lächeln auf. "Hallo Mr. Carson, Lady Mary", sagte ich und lächelte beide an, "ich bin hier, um Lady Sybil zu besuchen. Wie ich gehört habe, ist sie krank." Carson musterte mich schon wieder von oben nach unten und wieder nach oben und Mary tat vermutlich dasselbe. Kein Wunder, meine Kleidung und meine Frisur hatten nicht mehr viel mit dem zu tun, was ich zu meinen Zeiten auf Downton getragen hatte. "Lady Sybil befindet sich in kritischem Zustand und jeder Besuch würde sie nur unnötigen Gefahren aussetzen", sagte Carson, aber mein entwaffnendes Lächeln schien etwas zu bewirkt haben, denn er wirkte nicht mehr so angespannt und lauernd wie noch eben. Nur Branson warf er aus dem Augenwinkel weiterhin feindselige Blicke zu. "Mr. Carson, es ist keinesfalls meine Absicht, Lady Sybil irgendwelchen Gefahren auszusetzen. Ich möchte sie nur kurz sehen. Ich...", an dieser Stelle schaute ich kurz betreten zu Boden, räusperte mich und schaffte es sogar, dass ein paar Tränen in meinen Augen glänzten, "sehen Sie, Lady Sybil ist eine meiner ältesten und besten Freunde. Als wir uns das letzte Mal gesehen haben, hatten wir einen Streit und dann wurde sie krank und ich... ich könnte es nicht ertragen wenn sie stirbt und die letzten Worte, die ich zu ihr gesagt habe, im Streit gefallen sind!" Den letzten Satz flüsterte ich dramatisch und jetzt fühlte ich tatsächlich, wie eine Träne über meine Wange rollte. Innerlich triumphierte ich. Auf Anhieb zu weinen fiel mir nicht leicht, aber jetzt hatte ich es im richtigen Moment geschafft. Dass ich wirklich sehr besorgt um Sybil war, machte es aber einfacher. "Na schön, Sie können kurz zu ihr", sagte Carson schließlich und wandte den Blick von mir ab – anscheinend konnte er es nicht ertragen, mich weinen zu sehen. "Ich danke Ihnen", hauchte ich, wischte mir die Tränen vom Gesicht und Jimmy setzte sich wieder in Bewegung. Branson und ich folgten ihm wie selbstverständlich. "Es gibt jedoch keinen Grund für Mr. Branson, sich Lady Sybil unter solchen Umständen zu nähern", sagte Carson plötzlich scharf und wir blieben alle drei stehen und drehten uns um. "Aber wieso denn nicht?", stellte ich mich dumm und schaute den Butler gespielt überrascht an. "Mr. Branson hat Lady Sybil getäuscht, verführt und wie man sich erzählt, sogar versucht sie zu entführen und ihrer Familie zu entreißen", Carson sprach leise, genoss aber sichtlich das Drama, das er veranstaltete, "außerdem arbeitet er nicht länger hier und hat keinerlei Befugnis, sich hier aufzuhalten. Mr. Branson, ich bitte sie freundlich zu gehen", sagte er und schaute Branson zum ersten Mal richtig an. Ich setzte einen gespielt überraschten und angeekelten Blick auf, mit dem ich Branson musterte. Da musste der Arme jetzt durch. Die einzige Möglichkeit, Carson zu überzeugen, war, so zu tun, als sei ich auf seiner Seite. Ich schaute ihn ernst an. "Mr. Carson, ich bin genauso angewidert und schockiert über dieses Verhalten wie Sie", Carson nickte mir zu, "aber ich habe auch mit Lady Sybil über diese Situation gesprochen und Lady Sybil liegt viel an ihrem – ehemaligen – Chauffeur. Wäre es nicht besser, persönliche Abneigungen hintenanzustellen und sich zu fragen, was für Lady Sybils Wohl am besten ist?" Ich setzte ein verständnisvolles Gesicht auf und schaute Carson mit großen Augen an. Mittlerweile sah er aus, als hielte er mich für verrückt. Sehr gut, dann würde er nicht länger diskutieren wollen. "Möglicherweise handelt es sich um die letzten Atemzüge die diese viel zu junge Frau tut und sollten wir nicht dafür sorgen, dass die Menschen bei ihr sind, die sie liebt?" Wieder hatte ich meine Stimme dramatisch gesenkt, als könnte Sybil bei der bloßen Erwähnung dieser Worte sterben. "Ich werde dafür sorgen dass dieser Mann einen gebührenden Abstand zu Lady Sybil hält und ich selbst werde Mühe haben, meinen Ekel zu unterdrücken, aber es wäre Lady Sybils Wunsch und bei einer so tückischen Krank-" Plötzlich hob Carson die Hände, um meinen Redefluss zu stoppen. "Gehen Sie, und nehmen Sie in Gottes Namen Mr. Branson mit. Aber ich möchte Sie beide in zehn Minuten wieder hier unten sehen und sollten mir irgendwelche Geschichten zu Ohren kommen, dann..." Er hielt inne und dachte offenbar über eine Drohung nach. "Wie dem auch sei. Sie haben zehn Minuten bei Lady Sybil."

Jimmy
Hätte man Lizzy auf die größte Bühne des Landes gestellt, sie hätte es nicht besser hinbekommen können. Kein Wunder, dass sie jetzt die Hauptrolle spielte, sie war überragend. Denn nicht viele schafften es, Mr. Carson umzustimmen. Ich war mehr als beeindruckt , wie sie ihn um den Finger wickelte, anfing zu weinen und so tat, als könnte sie Mr. Branson nicht ausstehen. Das dem nicht so war, konnte ich mir denken. Und zum Glück spielte auch Mr. Branson mit und ließ es sich nicht anmerken, wie überrumpelt er sich fühlen musste. Schließlich hatte er keine Ahnung von meinem - bescheiden gesagt - brillanten Plan gehabt und vermutlich auch noch nie etwas von Lizzy gehört. Aber nur zu bereitwilligt, folgte er schließlich mir und Lizzy die Treppe nach oben zu den Schlafzimmern. Wo das nächste Hindernis wartete. Lady Mary. Sie hatte sich vor Lady Sybils Schlafzimmertür positioniert und funkelte vor allem Lizzy an. Sie hatte ich wirklich vergessen... "Du hast es vielleicht geschafft, dass Carson einem Besuch einwilligt. Bei mir sieht das anders aus", sagte sie kühl. "Du hast wirklich Nerven gerade heute hier vorbeizukommen. Mama und Sybil sind krank und du musst gerade an diesem Tag kommen, wo alles drunter und drüber geht? Wir haben dich seit Jahren nicht mehr gesehen. Fast hätte ich dich nicht mehr erkannt" Ihr Blick glitt über Lizzys Kleidung und ihre Haare. Zugegeben, Lizzy sah jetzt nicht mehr aus wie eine Lady. Anders als bei Lady Mary war ihr Kleid keine teure Einzelanfertigung nach der letzten Mode aus Paris. Auch ihre Haare waren nicht perfekt frisiert. Aber das war doch egal - mir jedenfalls. Ich fand, dass Lizzy nie besser ausgesehen hatte. Aber dann mochte ich sie ja auch im Gegensatz zu Lady Mary. Der tat die allgemein angespannte Stimmung im ganzen Haus jedenfalls gar nicht gut. Sie war noch zickiger als sonst, aber auch hier vertraute ich auf Lizzy. Sie würde Mr. Branson und sich selbst schon zu Lady Sybil bekommen. Dann sah Lady Mary Mr. Branson an. "Ich denke, es ist besser, wenn auch Sie jetzt gehen. Papa ruft ansonsten die Polizei"

Lizzy
Zuerst schien es, als sei Jimmys Plan aufgegangen. Aber dann stellte Mary sich uns wortwörtlich in den Weg. Diese streitsüchtige Ziege! "Ich weiß, dass Lady Grantham und Sybil krank sind, und stell dir vor, genau deswegen bin ich auch hier", zischte ich. Ich wusste, dass sämtliche Schauspielerei bei Mary nicht wirkte, also konnte ich ihr auch gleich die Wahrheit sagen. "Es ist wieder typisch für dich, dass dir dein Stolz wichtiger ist als alles andere. Anscheinend auch wichtiger als deine Schwester. Du weißt genau dass sie Tom sehen wollen würde – und mich auch." Ich funkelte wütend zurück. Als Mary dann auch noch Branson drohte, die Polizei zu holen, platzte mir der Kragen. "Die Polizei? Wirklich, Mary, sowohl Lord Grantham als auch du wisst doch, dass Sybil es euch nie verzeihen würde, wenn ihr Branson von der Polizei abführen lasst. Du bist ihre Schwester, wie kann dir ihr Glück so egal sein? Langsam denke ich, du bist eifersüchtig, weil sie einen Mann hat und du nicht. Dass es an seinem gesellschaftlichen Status liegt, ist doch nur ein Vorwand." Ich schaute ihr direkt ins Gesicht.

Mary
Das letzte, was ich an diesem Tag noch brauchte, war das überraschende Auftreten von Elizabeth Allen. Wirklich, ich hatte gedacht sie am Tag ihrer vermeintlichen Hochzeit mit Henry Redvers vor einigen Jahren das letzte Mal in meinem Leben gesehen zu haben und darüber auch keine Träne vergossen. Umso weniger freute es mich, dass sie jetzt hier leibhaftig vor mir stand. Im Gegensatz zu ihrer Kleidung und ihrem Aussehen hatte sich ihr Mundwerk kein bißchen verändert. Und natürlich setzte sie sich für Tom Branson ein. Schließlich war ihr auch ein Diener gut genug gewesen. Ich baute mich vor ihr auf. Sie hatte keine Ahnung, welche Emotionen ich an diesem Tag durchgemacht hatte. Sybils Erkrankung war für uns alle ein riesiger Schock und noch immer konnte ich nicht verstehen, dass meine kleine Schwester jetzt mit hohem Fieber in ihrem Bett lag, uns nicht mehr erkannte und anscheinend furchtbar litt. Dazu kam noch Mama, der es mittlerweile aber Gott sei dank ein wenig besser ging. Meine Laune war dementsprechend und mein Geduldsfaden kurz. "Ich tue all das hier nur für Sybil. Du hast doch keine Ahnung, wie schlecht es ihr wirklich geht. Es macht keinen Unterschied, ob du sie besuchst oder nicht, wo sie doch noch nicht einmal wahrnimmt, dass jemand mit ihr im selben Raum ist", zischte ich und ballte die Fäuste. Danach herrschte kurz Stille. Am liebsten wäre ich in mein Zimmer gegangen und hätte meinen mühsam zurückgehaltenen Tränen freien Lauf gelassen. Denn ich hatte wirklich Angst um Sybil. Und ein schlechtes Gewissen, weil ich in letzter Zeit nicht so für sie da gewesen war, wie ich es hätte sein sollen. Ich atmete tief durch und sah zu Mr. Branson. Er sah mich mit weit aufgerissenen Augen an und ich erkannte panische Angst darin. Meine Beschreibung von Sybils Zustand hatte ihn erschrocken. Ich musste zugeben, dass ich kurz an ihn gedacht hatte, als wir von Sybils Erkrankung erfuhren. Aber Papa würde wirklich nicht gut darauf reagieren, ihn an ihre Seite zu lassen. Also hatte auch ich mich nicht weiter damit befasst. Was vielleicht ein Fehler war... "Es geht ihr wirklich nicht gut und daran wird auch weiterer Besuch nichts ändern", sagte ich dann etwas versöhnlicher und überhörte Lizzys Anschuldigungen. Sie ignorierte ich mittlerweile vollkommen. Denn Mr. Branson sah aus, als würde er gleich anfangen zu weinen. Ich erinnerte mich an den Blick, den er mit Sybil getauscht hatte, als Edith und ich sie aus diesem Hotel geholt hatten. Und wie sie ihn erst gestern Abend vor der gesamten Familie geschützt hatte. In diesem Moment wurde mir klar, dass wir keine Chance hatten - Sybil hatte sich für den Chauffeur entschieden. Daran konnten weder Papa noch ich etwas ändern. Und ich wusste, dass ich es mir nie verzeihen würde, sollte Sybil diese Krankheit tatsächlich nicht überleben, dass ich Mr. Branson nicht zu ihr gelassen hatte. Vielleicht bist du wirklich eifersüchtig und einsam, flüsterte eine Stimme in meinem Kopf. "Es wird wohl nicht schaden, wenn Sie einige Minuten bei ihr sind", sagte ich dann zu ihm und ging ohne ein weiteres Wort in Sybils Zimmer. Wie eben lag sie zusammengesunken auf einer Seite und atmete schwer. Ihre Haare klebten an der verschwitzten Stirn, aber wenigstens schien sie zu schlafen. Ich konnte nicht verhindern, dass man mir ansah, wie sehr mich dieser Anblick mitnahm. Und für einen Moment war es mir auch egal, dass Elizabeth Allen gegen mich gewonnen hatte.

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