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Sybil
Wir brachen direkt nach dem Frühstück auf. Während Mary als einzige so tat, als wäre sie von der Aussicht auf einen Aufenthalt in London eher gelangweilt, waren wir anderen - vor allem Lizzy und ich - voller Vorfreude. Im Zug hatten wir Zeit zu reden - zwar nicht ungestört, aber da wir uns ja bald lange nicht sehen würden, gab es auch noch genug andere Themen als Jimmy. Tante Rosamunds Chauffeur holte uns von King's Cross ab und ich konnte nicht anders als wie ein kleines Kind gebannt aus dem Fenster zu sehen, während wir durch London fuhren. Dabei war ich doch wirklich schon oft hier gewesen, aber jedes Mal war ich wieder begeistert. Hier pulsierte das Leben und es war einfach so viel los - ganz anders als bei uns in Yorkshire. Rosmaund erwartete uns bereits vor ihrem Haus und wir folgten Mama lächelnd.

Lizzy
Am nächsten Morgen waren Sybil und ich so hibbelig und voller Vorfreude, als wären wir zehn Jahre jünger und zum ersten Mal auf dem Weg nach London. Die Abreise fiel mir zwar etwas schwerer als ihr – immerhin kehrte sie nach dem Besuch in London wieder nach Downton zurück, während ich für unbestimmte Zeit zurück nach Leicestershire fuhr –, aber trotzdem konnte ich es kaum erwarten, wieder nach London zu kommen und besser als ein plötzlicher Abschied war es allemal. Die Zugfahrt wurde wirklich lustig; ich mochte es sowieso, Zug zu fahren und die Landschaft draußen an mir vorbeiziehen zu sehen, aber mich währenddessen mit Sybil unterhalten zu können, machte das Ganze nur noch besser. In London angekommen wurden wir von einem Chauffeur abgeholt und auch auf der Autofahrt zu Lady Rosamund Painswicks Haus schauten wir begeistert aus dem Fenster. Ich war noch nicht oft in London gewesen, aber wenn, hatte ich es jedes Mal mehr als genossen. Es war einfach unbeschreiblich, natürlich nicht zu vergleichen mit meiner Heimat und bei jedem Besuch dort nahm ich mir vor, irgendwann hierher zu ziehen.

Sybil
Rosamund begrüßte uns alle herzlich. Jedes Mal, wenn ich sie mir allein in diesem großen Haus vorstellte tat sie mir leid. Sicher war sie einsam. Zum Glück würde sie das heute nicht sein. Jetzt war das Haus mehr als gut gefüllt. "Ich gehe nach oben und nehme meinen Hut ab", sagte Mary neben mir und verschwand nach oben. "Dann würde ich sagen richtete ihr euch in den Zimmern ein und dann treffen wir uns wieder hier unten zum Lunch. Es gibt ja so viel zu erzählen", sagte Rosamund begeistert und ich lächelte breit. Am liebsten wäre ich sofort wieder aus dem Haus gegangen und durch London gelaufen. Nicht nur um ein paar neue Kleider zu kaufen - anders als in Yorkshire war hier das Leben doch etwas moderner. Vielleicht würde ich das ein oder andere spannende Buch finden. Oder sogar eine Versammlung - die aber hoffentlich anders verlaufen würde als in Ripon. Die Beule hatte schließlich lange genug gebraucht um abzuschwellen. Aber all das war sowieso erst nach dem Lunch möglich, also ging ich auch noch oben und zog meine Reisekleidung aus.

Lizzy
Staunend sah ich mich in Lady Rosamunds Haus um. Es war wirklich schön, aber auch sehr groß – und sie wohnte, wie Sybil mir erzählt hatte, alleine hier, was mir etwas einsam erschien. Dennoch wäre ich, hätte ich die Möglichkeit, sofort auch hier eingezogen. Bevor es Lunch gab, gingen wir alle in unsere Zimmer, um uns für den kurzen Aufenthalt einzurichten und etwas auszuruhen. Etwas müde von der langen Fahrt ließ ich mich auf mein Bett sinken. Ob wir wohl vor dem Theater noch die Möglichkeit bekommen würden, uns in London etwas umzusehen? Es war einfach zu aufregend hier, um nur in meinem Zimmer zu sitzen. Sicher gab es tolle Läden oder – Moment mal. Sicherlich auch Apotheken. Je mehr ich über meine Idee nachdachte, desto besser erschien sie mir. Ich musste mir nur einen Ring von Mama ausleihen und ein paar Minuten alleine sein. Die Wahrscheinlichkeit, dass mich hier jemand kannte, war verschwindend gering und so würde ich auf meinen nächsten Besuch in Downton – wann auch immer das sein würde – perfekt vorbereitet sein. Bei uns im Dorf hätte ich ohnehin nicht in die Apotheke gehen können, das Risiko, erkannt zu werden, war zu groß. Begeistert von meiner Idee setzte ich mich schwungvoll auf und machte mich auf den Weg zum Lunch.

Sybil
Zurück im Salon erzählte ich Rosamund von unserem Silvester, der Fahrt und all den anderen Dingen, die sie noch nicht wusste. Sie sprach meinen 'Unfall' auf der Versammlung in Ripon nicht an und auch ich hatte keinen Drang dazu. Sie würde sicher wie Papa denken und seine Meinung hatte er mir ja laut und deutlich klar gemacht. Als wir wieder alle versammelt, setzten wir uns an den gedeckten Tisch. "Ich habe den Tage heute so geplant, dass wir vor dem Theater zusammen Tee trinken werden und heute Abend wieder hier sind. Bis dahin können wir ein bißchen durch die Stadt laufen. Sicherlich habt ihr noch einige Besorgungen zu erledigen", sagte Rosamund und ich lächelte. Genauso wie alle anderen. "Ich brauche unbedingt einen neuen Reitmantel", meinte Mary, während wir die Suppe aßen. Am liebsten wäre ich allein durch die Stadt gelaufen, aber das würde Mama sicher nicht erlauben. Also würde es wohl darauf hinauslaufen, mit Mary mitzugehen.

Lizzy
Im Salon ließ ich Sybil mit Mary, Edith und Lady Rosamund alleine und setzte mich zu meinen Eltern, gedanklich schon Pläne schmiedend, wie ich an einen Ring kommen sollte – denn ohne wollte ich wirklich nicht in die Apotheke. Ich kehrte erst in die Realität zurück, als Lady Rosamund verkündete, wie sie sich die Planung für unseren Besuch vorstellte. Zum Glück würden wir wirklich etwas Freizeit haben, um in die Stadt zu gehen. Während des Lunch besprachen wir, in welchen Gruppen wir nachher losziehen würden. Mary wollte am liebsten alleine gehen, aber Cora wies sie an, auf Sybil aufzupassen; und weil ich wiederum mit Sybil hatte gehen wollen, schloss ich mich den beiden an und fragte bei der Gelegenheit auch noch Edith. Mit ihr und Sybil würde es sicher lustig werden und Mary zu ignorieren hatte ich ja mittlerweile gelernt. Ich musste es nur schaffen, dass keiner von ihnen mit in die Apotheke kam. Nach dem Lunch gingen wir alle nochmal kurz nach oben, bevor wir uns auf den Weg machen wollten. Jetzt hatte ich nicht viel Zeit, um an den Ring zu kommen. Ohne nachzudenken ging ich zum Zimmer meiner Eltern, klopfte an und trat ein. "Elizabeth", sagte Mama und sah lächelnd, wenn auch etwas überrascht, auf. "Könnte ich mir deine... Kette ausleihen?", sagte ich etwas zu langsam. Es klang, als wäre ich geistig zurückgeblieben. "Die silberne mit den blauen...", machte ich weiter, verzweifelt überlegend, welche Edelsteine die Kette, die ich gerade im Kopf hatte, enthielt. Wenigstens hatte ich dann noch einen Geistesblitz. "Sie würde so gut zu dem Kleid, das ich heute Abend ins Theater tragen will, passen", schloss ich lächelnd. Perfekt. Gute Ausrede. Mama sah mich weiterhin überrascht an, lächelte schließlich aber auch. "Natürlich, Darling, nimm sie dir, nachher ist ja vielleicht nicht mehr so viel Zeit", sagte sie, machte eine Kopfbewegung zu einem Schminktisch, auf dem ihr Schmuckkästchen stand und wendete sich wieder einer Zeitschrift zu, in der sie meinem Vater etwas zeigte, was sie offenbar in London kaufen wollte. Erleichtert öffnete ich das Kästchen und fand schnell die Kette – die glücklicherweise wirklich zu meinem Kleid passte. Außerdem nahm ich blindlings einen der vielen Ringe heraus, die Mama aus mir unbegreiflichen, vermutlich sentimentalen Gründen immer mit sich herumschleppte und schloss meine Faust eng darum. "Danke Mama, bis später!", sagte ich und ging schnell aus dem Zimmer, bevor mein schlechtes Gewissen mich einholen konnte. "Endlich entwickelt sie ein Gespür für Mode", hörte ich Mama noch sagen, während ich die Tür hinter mir schloss. Erleichtert atmete ich aus und ging wieder auf mein Zimmer zurück – jetzt musste ich mich wirklich beeilen, sicherlich warteten die anderen schon. Ich zog mir hastig meinen Mantel an und den Hut auf und steckte den Ring in meine Tasche. Außerdem kramte ich ganz unten aus meinen Koffer das Buch – manchmal hatte es wirklich Vorteile, dass ich stets unsere halbe Bibliothek mit mir herum zu tragen pflegte – und stopfte es ebenfalls in die Tasche. Dann hastete ich die Treppe nach unten.

Sybil
Natürlich durfte ich nicht allein gehen. Immerhin war es schon ein Fortschritt, dass Mama mich und die anderen alleine losziehen ließ und nicht mitkam, um die Gouvernante zu spielen. Mary sah ungeduldig auf die Uhr in der Eingangshalle und richtete ihren Hut, der farblich perfekt zu ihrem tiefblauen Mantel mit dem Fellbesatz passte. "Lizzy kommt sicher gleich", meinte ich lächelnd, denn auch Edith wartete schon hier. "Besser wäre es. Sonst schließen die Geschäfte, bevor wir auch nur einen Schritt aus dem Haus gemacht haben", sagte Mary und zupfte einen unsichtbaren Fussel von ihrem Mantel. Zum Glück kam da Lizzy die Treppe nach unten gehastet, bevor Mary noch etwas gemeineres sagen könnte. Vor dem Haus wartete bereits Rosamunds Chauffeur. Die anderen wollten die Stadt zu Fuß erkunden, bis wir uns um 16 Uhr im Criterion treffen würden. "Wo möchtest du hin?", fragte ich Lizzy, als wir alle saßen und losfuhren. "Mary möchte nach Reitkleidung gucken und ich wollte vielleicht in eine Buchhandlung" Sicherlich würde ich aber auch nach dem ein oder anderen Kleid sehen. Wenn ich schon mal in London war, wollte ich das auch ausnutzen. Unsere Schneiderin in Ripon nähte schließlich immer die gleichen Röcke.

Lizzy
Natürlich wusste ich ganz genau, wohin ich wollte, aber ich sagte nichts – noch nicht. "Ich brauche nichts Bestimmtes", sagte ich daher nur breit lächelnd. "Ich komme einfach mit dir, gegen Bücher habe ich nämlich auch nichts." Also stürzten wir uns ins Getümmel. Es war einfach unwahrscheinlich viel los, aber genau das machte es so aufregend. Ich wusste gar nicht, wohin ich zuerst schauen sollte und schon bald schwirrte mir der Kopf. Wir fanden tatsächlich bald eine Buchhandlung, wo wir uns alle vier nicht unbedingt kurz aufhielten – wonach Sybil, die ein ganzes Stück abseits von Mary, Edith und mir stand, suchte, konnten wir uns natürlich denken – und auch Mary wurde bezüglich ihrer Reitkleidung fündig. Schließlich ergab sich eine perfekte Gelegenheit für mich: Wir bewunderten gerade einige Schmuckstücke im Schaufenster eines Juweliers, als mir das große Schild über dem Gebäude nebenan auffiel. Eine Apotheke. Jetzt oder nie. "Ich bin mal eben in der Apotheke, ich brauche etwas gegen meine, äh, Kopfschmerzen", sagte ich zu Edith. "Ist gut, wir warten hier", antwortete sie lächelnd und ich ging erleichtert zum Eingang der Apotheke. Davor blieb ich kurz stehen und holte den Ring sowie das Buch aus meiner Handtasche. Ersteren steckte ich mir an den Ringfinger meiner rechten Hand; das Buch schlug ich auf einer mit Eselsohr versehenen Seite auf. Noch einmal atmete ich tief ein und betrat dann die Apotheke. Drinnen roch es nach irgendetwas Würzigem, und es war angenehm warm. Die Apothekerin hinter der Theke lächelte mich freundlich an. "Was kann ich für Sie tun?" Ob sie auch gleich noch so nett lächelt, wenn ich ihr das gesagt habe? Ich lächelte ebenfalls, wenn auch etwas nervös, und hielt ihr das aufgeschlagene Buch hin. Wenigstens zitterten meine Hände nicht. "Ich hätte gerne eines von denen hier", sagte ich und zeigte auf die passende Abbildung, "bitte." Das Lächeln gefror auf ihrem Gesicht, bis sie mich schließlich ansah, als hätte ich sie gerade um Sprengstoff gebeten. Sie machte keine Anstalten sich irgendwie zu bewegen, umzudrehen, geschweige denn etwas aus dem Regal zu holen. Ich strich mir mit der rechten Hand eine Strähne aus dem Gesicht, für den Fall, dass sie den Ring noch nicht gesehen hatte. Ihre Augen folgten meiner Hand. „Wir haben schon drei und wollen keine mehr – wegen meiner Gesundheit“, sagte ich schließlich, als wäre es das offensichtlichste auf der Welt. Eigentlich ärgerte es mich, dass ich mich nun rechtfertigte – was ging es diese Frau schon an, was ich nachts tat? – aber es hatten soeben weitere Kunden die Apotheke betreten und unter den bösen Blicken der Apothekerin fühlte ich mich zunehmend unwohl, also tat ich, was nötig war, damit sie sich endlich zu dem großen Regal hinter dem Tresen umdrehte und eine kleine Schachtel aus einer Schublade holte, allerdings nicht, ohne mich noch einmal misstrauisch anzusehen. Etwas kräftiger als nötig gewesen wäre, legte sie die Schachtel auf die Theke und nannte mir den Preis. Das ältere Ehepaar, dass kurz nach mir die Apotheke betreten und sich bis eben umgesehen hatte, kam nun gefährlich nah und so rundete ich den Betrag auf, legte schnell das Geld hin, schnappte mir die Schachtel und hetzte mit einem schnellen auf Wiedersehen nach draußen. Auch dort wagte ich erst durchzuatmen, als sowohl Geldbeutel als auch Buch und Schachtel sicher in meiner Handtasche verstaut waren. Den Ring nahm ich ebenfalls wieder ab und steckte ihn ein. Dann erst straffte ich die Schultern und ging zurück zu den anderen, die noch immer Schmuck bestaunten.

Sybil
Ich hatte tatsächlich ein Buch gekauft, aber es niemand anderem gezeigt. Auch wenn sie mich alle mit wissenden Blicken ansahen, musste ich es ja nicht noch offensichtlicher machen. Wir hatten unsere Einkäufe bereits dem Chauffeur gegeben und warteten jetzt auf Lizzy, die einige Zeit in der Apotheke verschwunden war. "Mama wird dir nie so etwas kaufen, Edith - nicht, bevor du heiratest", sagte Mary gerade, während wir uns alle eine wunderschöne mit Edelsteinen besetzte Brosche anschauten und ich aus dem Augenwinkel heraus Lizzy sah. "Hast du alles bekommen? Sind die Kopfschmerzen schlimm?", fragte ich einfühlsam, während wir weiter die Straße entlangschlenderten und ich mit ihr hinter Edith und Mary herging, die sich noch immer wegen der Brosche zankten. Meine Idee, auf eine Versammlung zu gehen hatte ich bereits verworfen. Das würde ich niemals schaffen. Es war, als hätte Mama das gewusst und mir deshalb Mary als Aufsicht eingeteilt. Übel nehmen konnte ich es ihr ja nicht nach dem letzten Vorfall.

Lizzy
Als ich zurückkam, waren Mary und Edith gerade am Streiten – zu schade, dass ich nicht wusste, worum es ging, ich hätte nur zu gerne für Edith Partei ergriffen. Blöderweise sprach mich Sybil auf meine Kopfschmerzen an. "Nein nein, ich habe nur in letzter Zeit öfter welche, deshalb wollte ich endlich etwas dagegen holen", sagte ich schnell und lächelte. "Aber jetzt geht's mir gut, wirklich." Für diese dicke Lüge, auch noch Sybil gegenüber, hatte ich noch den ganzen Tag lang ein schlechtes Gewissen. "Es ist schon fast Zeit für den Tee, oder?", sagte ich dann schnell, um das Thema zu wechseln. Außerdem stimmte es ja, es war schon beinahe 16 Uhr. Mittlerweile hatte mich die Vorfreude aufs Theater wieder erfasst.

Sybil
"Dann ist ja gut. Tante Rosamund hätte dir sicher aber auch etwas gegeben, wenn du nichts mithattest", sagte ich lächelnd, während wir weiterhin Mary und Edith folgten. "Ja, wenn es dir nichts ausmacht, gehen wir jetzt zu Fuß zum Criterion. Es ist nicht mehr weit und wir haben ja eigentlich alles erledigt, was wir wollten" Ich lächelte sie an. Mary hatte einen wunderschönen neuen Reitmantel gefunden und ich hatte Hoffnungen, ihren alten zu bekommen, der in meinen Augen noch perfekt war. Ich hatte mein Buch und auch Edith war in der Buchhandlung fündig geworden. Und Lizzy hatte etwas gegen ihre Kopfschmerzen. Für die wenige freie Zeit zwischen Lunch und Tee hatten wir das wirklich gut gemacht. Breit lächelnd sah ich mich um, als wir an unzähligen Schaufenstern vorbeikamen und immer wieder auffälligen Passanten begegneten. London war wirklich aufregend. Im Criterion erwarteten uns die anderen bereits. Mary erzählte ausführlich von ihrem Einkauf und ich hörte einfach zu, während ich in aller Ruhe meinen Tee trank und Plätzchen aß. Der Tag würde noch lange genug werden, wenn wir ins Theater gingen und danach Lunch bei Rosamund hatten.

Lizzy
Zum Glück war der Fußweg zum Criterion nicht mehr weit, denn mir taten mittlerweile wirklich die Füße weh. Schon jetzt total erschöpft ließ ich mich dort auf einen Stuhl sinken und trank müde meinen Tee, während ich meinen Eltern alles Wichtige über unseren Einkauf erzählte – die Apotheke natürlich ausgelassen – und sie mir über ihren. Auch Sybil und Edith schienen ziemlich geschafft zu sein, nur Mary erzählte jedem, ob er es hören wollte oder nicht, putzmunter von ihrem neuen Reitmantel, der in meinen Augen einfach nur protzig aussah. Als der Tee beendet war, fühlte ich mich aber schon wieder gestärkt und bereit für das Theater. Kurz darauf hatten wir uns auch schon wieder durch den lärmenden Verkehr auf Londons Straßen zum Eaton Square fahren lassen und alle wuselten auf ihre Zimmer, um sich umzuziehen. Eine junge Frau, die sich mir als Sarah vorstellte, half mir in mein tief-dunkelblaues Kleid, steckte meine Haare hoch – wenn auch nicht so gut wie Charlotte, denn natürlich hatte sie keinerlei Erfahrung mit dem Gewächs auf meinem Kopf – und legte mir schließlich noch die Alibi-Kette meiner Mutter um. Zufrieden schaute ich mich im Spiegel an. Wenn das nur Jimmy sehen könnte. Wie schon vorhin ging ich wieder nach unten in die Eingangshalle, wo wir uns alle versammeln wollten. "Ich bin so nervös", sagte ich grinsend zu Sybil, die ebenfalls schon wartete.

Sybil
Eigentlich hätte ich nichts lieber getan als mich mit meinem Buch in mein Zimmer zu verkriechen, aber das ging wegen des Theaters natürlich nicht. Lizzys Laune war wirklich ansteckend, als wir uns unten begegneten. Ich hatte ein eher schlichtes Kleid gewählt und nur wenig Schmuck, weil ich mich so wohler fühlte. "Eine schöne Kette hast du da", sagte ich lächelnd zu Lizzy. "Und warum das denn? Du musst doch nur sitzen und zusehen, nicht selber spielen" Ich grinste sie an, glaubte aber zu verstehen, was in ihr vorging. Mit Tante Rosamund waren wir schon oft im Theater oder der Oper gewesen, sodass es für mich nichts neues war. Außerdem hatte es mir nie so sehr gefallen, dass ich immer öfter in Vorstellungen wollte. Nach und nach kamen auch die anderen und wir fuhren mit zwei Autos zum Royal National Theater. Drinnen warteten bereits unzählige Männer in Frack und Damen in schicken, glitzernden Kleidern. Ohne Umschweife nahmen wir unsere Plätze ein, wobei ich mich neben Lizzy und Mama setzte. Ich sah Lizzy lächelnd an, die gebannt nach vorne auf den Vorhang sah.

Lizzy
"Danke, Mama hat sie mir geliehen", grinste ich über Sybils Kompliment zu meiner Kette. Ob sie schön war oder nicht, darüber hatte ich nie wirklich nachgedacht. Ich hielt sowieso nicht viel von Schmuck, und gerade diese Kette war für mich nur Mittel zum Zweck gewesen. "Nervös im positiven Sinne!", erklärte ich ihr noch, ehe wir in verschiedene Autos stiegen und daher erstmal einige Minuten getrennt waren. Als wir schließlich vor dem Royal National Theater hielten und ausstiegen, legte ich ehrfürchtig den Kopf in den Nacken und spätestens drinnen, zwischen all den unglaublich funkelnden Menschen und in dieser ganz besonderen Atmosphäre mit dem leicht muffigen Theater-Geruch, bekam ich eine Gänsehaut. Warum waren wir nicht viel öfter hier? Ich nahm meinen Platz zwischen Papa und Sybil ein und gespannt miteinander flüsternd warteten wir darauf, dass es endlich losging. Zum Glück dauerte es nicht mehr lange und während der Akte vergaß ich alles um mich herum, während ich – teils fasziniert, teils lachend – auf die Bühne starrte. Zu meiner großen Begeisterung gab es eine Zofe namens Mary, die sich aber leider als recht gewitzt herausstellte. Ich wusste nicht, woher dieser Wunsch kam – ob von der packenden Atmosphäre hier oder tatsächlich von mir selbst –, aber plötzlich wünschte ich mir, auch auf dieser Bühne zu stehen und fremde Menschen zu unterhalten, zum Lachen zu bringen und in eine völlig andere Rolle zu schlüpfen als meine eigene, die mir ja meistens so gar nicht passte.

Sybil
Ich konnte es nicht lassen - das Stück fesselte mich nicht so sehr wie es Lizzy neben mir tat - und so sah ich immer wieder zu ihr herüber. Ihr Blick sagte alles. Ich biss mir auf die Lippe, um nicht zu grinsen und sah sie wieder nach vorn. Wahrscheinlich war ich ja genauso schlimm, wenn ich mich mal wieder über Frauenrechte und Politik ausließ. Anscheinend war das, was diese beiden Themen für mich waren, für Lizzy das Theater. Sie war schon vom Kino begeistert gewesen und der Theaterbesuch schien das noch zu übertrumpfen. Als zwischen den Akten die Pause kam und alle sich erhoben, um etwas zu trinken wartete ich auf Lizzy. "Dir gefällt es, nicht wahr?", meinte ich lächelnd, bevor wir uns wieder zu den anderen stellten. Mary redete mit einem Glas Champagner in der Hand mit einer anderen Frau in ihrem Alter, die mir vage bekannt war. Auch Mama und Rosamund hatten Bekannte getroffen. Ich wandte mich wieder Lizzy zu und nahm von einem vorbeigehenden Diener selber ein Glas an.

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