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Edward
Etwas unentschlossen betrat ich mit den anderen den Salon. Wohin sollte ich mich setzen? Irgendwie gehörte ich ja zu niemandem. Miss Allen, Lady Sybil und Lady Edith steckten die Köpfe zusammen, während Henry sich natürlich sofort besitzergreifend neben Mary setzte. Ich blieb vor dem Fenster neben dem Sofa, auf dem die beiden saßen, stehen und konnte nicht anders, als ihr kurzes Gespräch mitzuhören. Fast musste ich grinsen, als Mary Henry ins Gesicht sagte, dass er sie nicht mit Jahreszahlen langweilen solle. Dann aber drehte ich mich überrascht zu den beiden um, weil Mary mich fragte, ob ich schon mal hier gewesen sei. "Vor ein paar Jahren, ja", antwortete ich nur höflich lächelnd. Ich hatte wenig Lust, Henrys und meine gemeinsame Vergangenheit breitzutreten. Es käme mir wirklich seltsam vor, jetzt davon zu erzählen, während er dabei saß. "Und du?", gab ich die Frage zurück, immerhin waren Lord Rerdvers und Lord Grantham schon lange befreundet.

Lady Mary
Wieder trank ich einen Schluck und ließ mir so mit der Antwort ein wenig Zeit. "Nein, wir sind das erste Mal auf Campbelton", antwortete ich ihm. "Zwar sind Lord Redvers und Papa gute Freunde, aber ich habe Henry auch erst im letzten Jahr kennengelernt" Ich lächelte kurz und sah zu Henry, der mich mit einem Blick wie ein treuer Labrador ansah. Er würde in dieser Woche alles mit mir unternehmen, was ich nur wollte, da war ich mir sicher. Ich hatte vergessen, wie anhänglich er war. "Was ist für diese Woche geplant?", fragte ich ihn dann. "Neben unserer Hausführung meinte er?", meinte er mit einem breiten Lächeln. "Nun, die Männer sind zur Jagd eingeladen und Mutter hat für die Frauen ein Picknick an einem See in der Nähe geplant. Wir können auch gern ausreiten, wie auf Downton. Im Stall stehen gute Pferde" Er sah Edward kein Mal an und ich wusste, dass er am liebsten alles nur mit mir allein unternehmen wollte. "Uns wird nicht langweilig werden", sagte ich lächelnd.
Jimmy
Die Crawleys waren bereits am frühen Morgen in Richtung Schottland aufgebrochen. Jetzt war es schon Nachmittag und ich stand mit einer Tasse Tee in der Hand lässig an die Wand in der Küche gelehnt, während einer der Hallboys gerade von der Kirmes in Thrisk redete, die in ein paar Tagen beginnen würde. Carson war in sein Zimmer verschwunden und so hatte ich ein wenig freie Zeit, die ich so gut es ging ausnutzen wollte. Dank Lizzys Anwesenheit war ich eigentlich durchgängig übermüdet, aber jetzt konnte ich ja eine Woche lang wieder länger schlafen. Daisy, einige der Dienstmädchen und auch Thomas schienen von der Idee, die Kirmes zu besuchen, begeistert zu sein. Ich hielt mich eher zurück. "Was ist mit dir, Jimmy?", fragte Daisy und riss mich aus meinen Gedanken. "Ich gehe nur, wenn viele von uns hingehen", antwortete ich mit einem Seitenblick auf Thomas. Ich hatte keinesfalls vergessen, was er getan hatte. Deswegen hatte ich auch keine Lust, einen gemeinsamen Ausflug mit ihm zu machen. Wenn ich daran dachte, dass seine Lippen auf meinen gelegen hatten, musste ich schaudern. Ich wusste nicht, ob er meinen Blick bemerkte, aber es war mir auch egal. Er sollte meine Abneigung ruhig spüren. "Zuerst müssen Mr. Carson und Mrs. Hughes zustimmen!", kam da Mrs. Patmores Stimme aus dem Lagerraum zurück. Ich bezweifelte, dass sie das tun würden - aber irgendwie bekam auch ich langsam Lust, mal ein wenig rauszukommen und über eine Kirmes zu gehen. Von Thomas könnte ich mich ja fernhalten.

Edward
Es überraschte mich angenehm, dass Mary auch zum ersten Mal auf Campbelton war, denn so hatten wir eine weitere Gemeinsamkeit, wenn auch nur eine kleine. Als sie das Gespräch allerdings auf die weitere Planung unseres Besuchs lenkte, ergriff Henry verständlicherweise die Chance, um sie für – gefühlt – die ganze Woche einzuspannen. Ich riss mich zusammen, um einen neutralen Gesichtsausdruck zu wahren. Er wollte natürlich so viel Zeit wie möglich mit Mary verbringen, aber das würde sie nicht wollen. Sie war nicht der Typ Frau, der jede Sekunde mit einem Mann verbrachte, nur weil sie ihn mochte. Dieser Gedanke beruhigte mich und machte es einfacher, mich während des Gesprächs einfach im Raum umzusehen. Es störte mich nicht, dass Henry mich so gekonnt ignorierte; in meinen Augen zeigte es nur, wie weit es um seine geistige Reife bestellt war. Und wenn Mary kein komplett schlechter Mensch war, fiel ihr das sicherlich auch auf. Irgendwann wurde mir das Rumsitzen doch zu bunt und ich stand mit einem "entschuldigt mich" auf, um Miss Allen, Lady Edith und Lady Sybil richtig zu begrüßen. Ich war schließlich nicht von Marys Aufmerksamkeit abhängig, auch, wenn sie mich natürlich nicht störte.
Thomas
Durch den Streit zwischen Jimmy und mir fiel mir erst wieder auf, wie einsam ich war. Ich hatte niemanden mehr, mit dem ich längere Gespräche führen konnte; und außer Mrs. Hughes und Daisy ließ sich kaum jemand dazu herab, wenigstens gelegentlich freundlich zu mir sein. Schneller als gedacht gewöhnte ich mich wieder daran und da Jimmy mich soweit es ging ignorierte und mir aus dem Weg ging, war es wie zu der Zeit, als er noch nicht auf Downton gearbeitet hatte. Trotzdem gab es Momente – wenn die anderen Dienstboten gemeinsam lachten oder Karten spielten und verstummten, wenn ich den Raum betrat – in denen ich mir wie so oft wünschte, dazu zu gehören. So auch an dem Nachmittag nach der Abreise der Crawleys nach Schottland, an dem einige plötzlich anfingen, von einer Kirmes in Thirsk zu reden, die sie gerne besuchen wollten. Ich verspürte den üblichen kurzen Stich in der Magengegend, der sich immer bemerkbar machte, wenn ich mich besonders ausgeschlossen fühlte, ignorierte ihn wie immer und trank weiter meinen Tee, in meine Gedanken versunken, bis plötzlich Daisys Stimme erklang. "Was ist mit Ihnen Thomas, wollen Sie nicht auch zur Kirmes?" Einen kurzen Moment lang war ich zu überrascht, um zu antworten. Natürlich wollte ich hin, ich hatte schon ewig keinen Spaß mehr gehabt. Und zusammen mit den anderen war es allemal besser als allein, wenn sie mich auch nicht großartig beachten würden. "Ja, warum nicht", sagte ich daher mit einem angedeuteten Lächeln und warf Jimmy einen kurzen Seitenblick zu. Er sah nicht begeistert aus und gab auch auf Daisys Nachfrage, ob er – sicherlich zur Freude aller weiblichen Bediensteten – auch mitkommen wolle, nur eine vage Antwort. Und doch war sie in meinen Ohren mehr als eindeutig.

Lady Mary
Es waren die typischen Aktivitäten für einen Besuch in Schottland. Ich hörte mich sagen, dass ich gerne einmal mit ihm ausreiten wollte - was allerdings nicht daran lag, um noch mehr Zeit mit Henry allein zu verbringen, sondern einfach, weil ich das Reiten liebte und mich für die kommende Jagdsaison gut genug vorbereiten wollte. Außerdem war die Landschaft hier mehr als schön. Vielleicht würde ich Sybil fragen - die eigentlich immer nachgab, wenn ich sie um etwas bat -, ob sie mitkommen würde. Ich sah Edward kurz nach, als er sich zu Edith, Elizabeth und Sybil redete und die vier sofort miteinander lachten und sich anscheinend gut unterhielten. Dabei fiel mir Mamas Blick auf, die zusammen mit Lady Redvers neben einem der Fenster stand und mich und Henry direkt ansah. Ich konnte mir nur zu gut vorstellen, was die beiden dachten. Ich blendete Henrys Erzählung über die Pferde im Stall und die möglichen Reitwege aus und wurde auf einmal leicht nervös. Ich war mir sicher, dass Mama früher oder später fragen würde, wie es mit Henry lief. Und wann wir uns endlich verloben würden.
Jimmy
"Wozu sollen wir zustimmen?", kam Mrs. Hughes Stimme von hinten. Wie Carson hatte sie die Gabe, sich lautlos anzuschleichen. Ich stellte mich ein wenig gerader hin, trank aber weiter meinen Tee. Warum sollte ich mich größere Hoffnungen auf einen Kirmesbesuch machen, wenn der Butler doch sowieso nicht zustimmen würde? Bei Mrs. Hughes konnte ich mir das eher vorstellen - bei Carson war es ausgeschlossen. "In Thirks ist ab Mittwoch die Kirmes", fing eines der Hausmädchen mutig an. "Wir würden gerne hingehen" Hilfesuchend sah sie sich um, erst zu Thomas - der ja eben zugestimmt hatte und als Diener eine gehobene Position hatte - und dann zu mir. Ich sah mit einem leichten Lächeln nur zu Mrs. Hughes. "Ich muss das mit Mr. Carson besprechen, Madge", sagte sie ernst. "Auch wenn wir es uns meiner Meinung nach verdient hätten", fügte sie zu meiner Überraschung hinzu und verschwand dann wieder im Flur. Ich grinste kurz, stellte meine leere Tasse ab und ging zurück ins Dienstbotenzimmer, um mit dem Silberpolieren weiterzumachen und nebenbei mit den anderen zu reden, die sich schon jetzt ausmaltne, was sie alles auf der Kirmes machen würden. Auch ich freute mich jetzt schon so sehr auf den Ausflug, dass ich enttäuscht sein würde, wenn Mr. Carson doch alles absagte. Ich sah nicht auf, als Thomas sich mit dem Silberbesteck neben mich setzte, sondern machte einfach weiter.

Thomas
Mrs. Hughes hatte anscheinend die Gabe, ihren Namen auch durch fünf dicke Wände hindurch zu hören, denn plötzlich stand sie in der Küche. Zu meiner großen Überraschung erwiderte sie auf Madges Frage aber nicht, dass wir das vergessen und uns wieder an die Arbeit machen sollten – im Gegenteil, sie schien der Idee gar nicht so abgeneigt zu sein, wollte sie aber erst mit Carson besprechen. Insgeheim hoffte ich fast, dass er nein sagen würde, damit ich am Ende nicht völlig allein auf der Kirmes herumstand, während die anderen sich amüsierten. Und so, wie ich Carson kannte, durfte ich mir durchaus Hoffnungen machen. Ich trank schnell meinen Tee aus, stellte die Tasse ab und ging hinter Jimmy ins Dienstbotenzimmer zurück, wo wir mit dem Silberpolieren weitermachen mussten. Im Gegensatz zu früher war das nun eine sehr schweigsame Angelegenheit. Ich war komplett in Gedanken versunken und schreckte hoch, als Carson den Raum betrat und sich räusperte. "Mrs. Hughes hat mir soeben mitgeteilt, dass Sie auf eine Kirmes gehen möchten", fing er in unheilvollem Ton an. Aber das musste nichts heißen, Carson hätte eine Verlobung verkünden und es dennoch wie eine Grabinschrift klingen lassen können. Der ganze Raum schien den Atem anzuhalten und ihn anzuschauen. "Ich denke, es spricht nichts dagegen", fuhr Carson fort und hob die Hand, als eines der Hausmädchen ein freudiges Quieken von sich gab. "...vorher müssen aber noch die Schlafzimmer der Familie, der Salon und die Bibliothek geputzt werden sowie das gesamte Silber poliert." Selbstgefällig schaute Carson in die Runde, aber es schien niemanden zu stören, dass noch so viel Arbeit anstand. Kein Wunder, die hatten wir ja sowieso. Alle außer mir schienen über die Erlaubnis froh zu sein, aber ich bereute, überhaupt zugesagt zu haben und verfluchte Daisy mal wieder innerlich.

Lady Mary
In Gedanken versunken ging ich hoch in mein Zimmer für die Woche, das leider direkt neben dem von Elizabeth lag. Abwesend sah ich aus dem Fenster und dachte daran, dass es vielleicht doch gar nicht so abwegig war, dass Henry mir einen Antrag machen würde. Wie viele Monate schrieben wir uns schließlich schon Briefe? Und jetzt war ich hier, auf dem Landsitz seiner Familie und hatte gleich in unserem ersten Gespräch deutlich gemacht, wie gerne ich mit ihm ausreiten gehen würde und dass er mir auch gerne das Anwesen genauer zeigen konnte. Innerlich verfluchte ich mich wie schon öfter zuvor. Würde Henry mich fragen, dann wäre er Edward einen gewaltigen Schritt voraus und hätte deutlich gemacht, wie ernst es ihm war. Würde ich dann auch noch zusagen, dann wäre Edward ein für alle mal aus dem Rennen. Seufzend klingelte ich nach Anna, um noch einen Spaziergang vor dem Abendessen zu machen und mich dafür umzuziehen. Sie erschien kurz darauf, half mir in den doch noch dicken Mantel und versprach, mein tiefrotes Kleid für das Dinner heute Abend herauszulegen. Ich suchte meinen Weg zurück in die Eingangshalle und trat in die kühle Luft. Ich wählte den Weg zu den Gärten und stellte überrascht fest, dass anscheinend auch Edward die gleiche Idee gehabt hatte. Eigentlich hatte ich allein sein und darüber nachdenken wollen, ob ein Heiratsantrag von Henry wirklich möglich war. Dennoch ging ich lächelnd auf Edward zu. "Musst du dir auch etwas die Beine vertreten nach der langen Fahrt im Zug?", fragte ich ihn.
Jimmy
Wunder geschahen wohl doch noch, denn Carson stimmte tatsächlich zu! Sobald er den Raum verlassen hatte, fingen alle an zu reden, sich auszumalen, was man alles machen könnte und dass es bis Mittwochnachmittag viel zu lange hin war. Über die Arbeit bis dahin machte sich niemand Gedanken, auch ich nicht. Hauptsache, ich kam aus Downton heraus. In Thirks könnte ich mir ein paar Bier gönnen, mit den anderen Spaß haben und endlich einen freien Nachmittag genießen. Beschwingt putzte ich gleich weiter, während Mrs. Hughes die tuschelnden Dienstmädchen schon nach kurzer Zeit wieder nach oben scheuchte, um die Schlafzimmer gründlich zu putzen. Aber auch sie schien wegen des bevorstehenden Ausflugs ein wenig besser gelaunt als sonst. Wenn Lizzy wiederkommen würde, hätte ich so auch etwas zu erzählen. Schweigend putzte ich weiter und war mir Thomas' Nähe nur zu gut bewusst - jetzt, wo wir wieder allein im Raum waren und die Stille nur durch das gelegentliche Klappern der Töpfe und Mrs. Patmores lauten Anweisungen an Daisy unterbrochen wurde.

Edward
Nach dem Tee bezogen wir erstmal unsere Zimmer. Während die meisten noch die unglaubliche Aussicht aus den zum Park gelegenen Fenstern bewunderten oder sich schon für das Dinner zurechtmachten, wollte ich lieber etwas frische Luft schnappen. Ich fühlte mich viel zu energiegeladen und, wie ich zugeben musste, auch etwas zu wütend auf Henry, um still zu sitzen. Und so ein Spaziergang vor dem Essen hatte schließlich noch keinem geschadet. Draußen war es deutlich kälter als in England und, vermutlich weil es auf den Abend zuging, es deutete sich sogar Nebel an. Vielleicht erkannte ich Mary deswegen erst, als sie schon fast vor mir stand. Ich lächelte angenehm überrascht. Da fängt man doch glatt an, an Schicksal zu glauben. "Ehrlich gesagt war es eher der Tee, der mich dazu veranlasst hat", beantwortete ich ihre Frage – ich war mir sicher dass sie wusste, wie ich das gemeint hatte. "Außerdem ist es viel zu schön hier, um drinnen zu bleiben", nahm ich meiner Antwort etwas die Negativität. Und es stimmte ja auch, Schottland war tatsächlich wunderschön, von der Kälte mal abgesehen.

Lady Mary
"Auch wenn man von den schönen Aussichten bald nichts mehr sehen wird. Es wird ja jetzt schon dunkel", meinte ich lächelnd und überging seinen Hinweis auf den Tee. Der machte mir ja auch noch zu schaffen, auch wenn Edward meine kreisenden Gedanken gerade für den Moment gestoppt hatte. Schweigend gingen wir ein paar Schritte nebeneinander. Ich hätte ihn gern gefragt, wie er Henry einschätzte. Ob er es wirklich ernst meinte, wenn er sich so für mich einsetzte und mich am liebsten gar nicht gehen ließ. Aber das ging nicht, da ich die Freundschaft der beiden zerstört hatte und Edward außerdem nicht nur rein freundschaftliche Gefühle für mich hatte, wie mir wieder deutlich bewusst wurde. Warum musste auch alles so kompliziert sein? Warum konnte ich mich nicht einfach darüber freuen, dass Henry mich so bewunderte und mich vielleicht heiraten wollte? Warum konnte ich nicht einfach ja sagen? Gut, dass waren keine Themen, die ich mit Edward besprechen sollte. "Wie läuft es mit deiner Arbeit?", fragte ich stattdessen, während wir an noch kargen Blumenbeeten entlanggingen.

Edward
Es wunderte mich, dass Mary sich nach meiner Arbeit erkundigte, obwohl das doch genau der Punkt war, der einen so großen Keil zwischen uns trieb. "Ich kann mich nicht beschweren", lächelte ich. Und das sagte ich nicht nur, um Mary zu beeindrucken, es lief tatsächlich gut. Bis jetzt war ich dafür auch immer dankbar gewesen, aber zu meiner eigenen Überraschung hatte ich mir in letzter Zeit des öfteren gewünscht, nicht nur ein Anwalt zu sein, sondern jemand, der einer Frau wie Mary eine wirkliche Zukunft bieten konnte. Mehr fiel mir auf ihre Frage nicht ein, denn über die einzelnen Fälle durfte ich ja ohnehin nicht sprechen und vermutlich würden sie Mary auch nicht interessieren. Ich wollte ihr eine Gegenfrage stellen, was sich aber mangels Arbeit ihrerseits als schwierig herausstellte. Da war er wieder, der riesige, unüberwindbare Unterschied zwischen uns. "Und wie läuft es bei... dir?", fragte ich daher und beschloss, dass sie diese Frage interpretieren konnte, wie sie wollte.

Lady Mary
"Ich habe auch keinen Grund, mich zu beschweren", sagte ich nur vage mit einem Blick in die Ferne, denn wie es gerade in meinen Leben lief, wusste ich ja auch nicht zu genau. Ich wusste, dass Mama langsam unruhig wurde, dass ich noch immer unverheiratet war. Noch hatte sie zwar nichts gesagt, aber das würde noch kommen. Und ansonsten? War alles wie immer. Ich ging reiten, suchte Kleider aus, besuchte viele, half bei Wohltätigkeitsveranstaltungen und stritt mich mit Edith. Ich seufzte, denn aus diesem Leben würde ich nur herauskommen, wenn ich heiratete. Warum dachte ich nur die ganze Zeit so angestrengt darüber nach? "Wirst du an der Jagd teilnehmen, von der Henry eben sprach?", fragte ich dann weiter, um nicht wegen meines Schweigens unhöflich zu wirken und über etwas anderes reden zu können als über Liebe und Heirat. "Mir kommt es so vor, als ob wir immer nur nach Schottland fahren, um zu jagen" Ich lächelte ihn an, denn wieder einmal war das eine Sache, die Edward von mir unterschied. Er hatte sicher andere Gründe, um nach Schottland zu kommen.

Edward
Marys Antwort fiel nicht sonderlich genauer aus als meine, wahrscheinlich, weil wir beide nicht zu sehr auf die Differenzen zwischen unseren Leben eingehen wollten. An die Jagd dachte ich allerdings erst wieder, als Mary sie erwähnte – die ganze Zeit hatte ich beim Gedanken an den Besuch in Schottland nur meinen Streit mit Henry und natürlich Mary im Kopf gehabt und wenig über die Freizeitgestaltung nachgedacht. "Ich weiß es noch nicht", antwortete ich wahrheitsgemäß. "Ich fürchte, ich teile eure Begeisterung fürs Jagen einfach nicht." Ich lächelte entschuldigend und schaute dann weg – wir schafften es einfach kaum, ein Thema anzusprechen, bei dem wir auf einer Wellenlänge lagen. Eine Weile liefen wir schweigend nebeneinander her. "Ich sollte besser wieder reingehen, sonst schaffe ich es nicht mehr, mich vor dem Dinner noch umzuziehen", sagte ich irgendwann, als mir wirklich kalt und das Dinner in greifbarer Nähe war. "Wir sehen uns später", lächelte ich und ging wieder auf das Schloss zu. Zum ersten Mal seit ich Mary kennengelernt hatte, hatte ich das Gefühl, dass sie mit Henry womöglich doch glücklicher werden würde als mit mir – auch, wenn ich Henry diesen Gedanken keineswegs gönnte.

Lady Mary
"Dabei bist du wirklich gut darin", meinte ich noch lächelnd zu ihm, aber auch dieses Kompliment konnte unsere Unterhaltung nicht angeregter machen. Ich sah ihm noch nach, während er sich durch den immer dichter werdenden Nebel zurück ins Schloss aufmachte. Auch ich war bestimmt schon spät und brauchte ein wenig länger Zeit zum Umziehen als Edward. Trotzdem hatte ich keine Eile. Ich hatte gedacht, dass Edward mich durch seine lustige Art von den ständigen Gedanken um Henry und Heirat abbringen würde, aber es war eher das Gegenteil der Fall. Er war einfach nicht wie ich. Ich hatte über unseren Klassenunterschied hinweggesehen, aber jetzt stach er mir förmlich ins Auge. Langsam ging auch ich zurück, mein Mantel feucht vom Nebel. In meinem Zimmer brannte ein Feuer und ich überließ mich nur zu gern Anna, die mir in mein Lieblingskleid half und mir die Haare hochsteckte. Aber auch Anna merkte meine Stimmung und redete nicht viel. Als ich im Salon ankam, war ich die letzte. Henry schien schon gewartet zu haben, denn er kam lächelnd auf mich zu, machte mir ein Kompliment und fragte mich dann nach meinem letzten Besuch in Schottland. Ich sah kurz zu Edward rüber und erzählte Henry dann von Duneagle.

Edward
Zum Glück dauerte es nicht lange, bis ich fertig für das Dinner war, sonst hätte ich vermutlich gleich am ersten Abend einen schlechten Eindruck bei unseren Gastgebern hinterlassen. Wussten Lord und Lady Redvers eigentlich, welcher Konkurrenzkampf zwischen mir und ihrem Sohn stattfand? Mary kam erst spät in den Salon und ich überließ es Henry, sie wieder einzulullen – wir brauchten vermutlich einfach beide Bedenkzeit nach unserem letzten, nicht sehr erfolgreichen Gespräch. Während dem Essen unterhielt sich Lady Redvers höflich mit mir, aber ich war dennoch froh, als nach einem Drink im Salon endlich alle ins Bett gingen und ich ebenfalls auf mein Zimmer gehen konnte, ohne mir unhöflich vorzukommen. Nach dem heutigen Tag erschienen mir die Aussichten auf sechs weitere nicht mehr so rosig wie noch gestern. Vielleicht hatte ich ja Glück und fing mir in der Kälte hier oben eine heftige Grippe ein, die mir als Ausrede zum Abreisen dienen würde.

Lady Mary
Mit der Ausrede, von der langen Reise müde zu sein, ging auch ich recht früh ins Bett, lag aber noch lange wach. Ich starrte an die Decke, während draußen der Wind an den Fenstern rüttelte. Ich hatte während des Dinners und auch nachher im Salon vor allem mit Henry geredet - über typische Themen wie die Jagd, die kommende Saison in London und den neuesten Klatsch und Tratsch von unseren Bekannten. Meine Gefühle blieben unschlüssig. Und komischerweise hatte ich das Gefühl, bald eine Entscheidung treffen zu müssen. Nach einer unruhigen Nacht wünschte ich mir nichts sehnlicher, als wie Mama im Bett frühstücken zu dürfen. Meine Laune hob sich, als ich die Sonne hereinscheinen sah. Beim Frühstück war hingegen nur Edith am großen Tisch anzutreffen, sodass ich mich wohl oder übel neben sie setzen musste. "Wo sind alle?", fragte ich und trank einen ersten Schluck Tee.

Edith
Ich hatte gerade meinen ersten Schluck Kaffee trinken und mich über die Ruhe am Frühstückstisch freuen wollen, als ausgerechnet Mary den Raum betrat. Mir blieb nichts anderes übrig, als mit dem Kaffee noch zu warten, um ihre Frage zu beantworten. "Lizzy und Sybil schlafen sicher noch, sie waren gestern lange wach", fing ich an. "Edward war schon mit dem Essen fertig, als ich eben hereingekommen bin und Henry habe ich vorhin rausgehen sehen", zählte ich auf, was ich über den Aufenthalt unserer momentanen Mitbewohner wusste. Hoffentlich hatte die Info über Henry gereicht, damit sie ebenfalls nach draußen ging und mich in Ruhe frühstücken ließ. Endlich nahm ich meinen wohlverdienten Schluck Kaffee und hoffte, dass Lizzy und Sybil nicht allzu lange ausschlafen würden. Lord Redvers hatte uns gestern angeboten, auszureiten, wenn wir wollten, und das wollten wir natürlich, am besten noch heute. Ohne Mary hatte selbst ich Lust dazu, weil ich nicht befürchten musste, für meine nur mittelprächtigen Reitkünste einen ihrer Kommentare zu ernten.

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