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Jimmy
Schon lange war ich nicht mehr so motiviert aufgestanden. Heute durften wir nämlich endlich nach Thirsk! Endlich wieder etwas Spaß außerhalb von Downton. Mr. Carson war zum Glück auf Downton geblieben. Mrs. Hughes und Mrs. Patmore wollten sich dagegen die Gelegenheit nicht entgehen lassen - aber ich war sicher, dass sie der ungezwungenen guten Stimmung nicht gefährlich wurden. Im Bus setzte ich mich neben einen der Hallboys in der Nähe von Faisy und den Hausmädchen. Wir redeten darüber, was wir alles machen wollten und ich versprach, den Mädchen allen eine Spiel auszugeben. Ich dagegen würde meine Zeit selber nicht mit spielen verbringen. Ich freute mich vor allem auf das ein oder andere Bier in lockerer Runde. Dass Thomas auch mitkam, war ein kleiner Dämpfer. Aber die Kirmes in Thirsk war groß - und wenn ich es schon einigermaßen schaffte, ihm auf Downton aus dem Weg zu gehen, dann würde ich das hier auch sicher schaffen. Als wir aus dem Bus ausstiegen, hörte man bereits die Musik und ich freute mich wirklich, auch wenn es nur eine Kirmes in einer kleinen Stadt in Yorkshire war.

Thomas
Die Fahrt hätte meiner Meinung nach länger dauern können – denn solange konnte ich Jimmy anschauen und außerdem fiel es nicht auf, dass ich ziemlich alleine war. Als wir ausstiegen und zur Kirmes gingen, wurde das schon deutlicher. Wir mussten nur ein paar Schritte laufen, bis wir da waren. Ein paar der Mädchen liefen, sich an den Händen haltend, gleich los; der Rest, Jimmy und mich eingeschlossen, verschaffte sich erst einmal einen groben Überblick über die Stände auf dem Gelände. Es gab ein Karussell, einige Spielbuden, viel zu Essen und irgendwo dazwischen wurde außerdem Tauziehen veranstaltet. Missmutig hörte ich zu, wie die anderen planten, wohin sie als erstes gehen wollten. Schließlich heftete ich mich einfach an Daisys Fersen, die wenigstens ab und zu noch ein Wort mit mir wechselte. Auf diese Weise konnte ich außerdem in Jimmys Nähe bleiben, was ich unbedingt wollte. Gleichzeitig wusste ich, dass es ihm nicht gefiel, aber ich konnte nicht anders. Mein schlechtes Gefühl allerdings strafte mich ohnehin die ganze Zeit über dafür.

Jimmy
Ich konnte nicht anders, als breit zu grinsen. Auch wenn es erst der erste Tag war, war ziemlich was los. Überall waren bereits Menschen. Bis auf ein paar der Hausmädchen blieben wir erst einmal als Gruppe zusammen und folgten Mrs. Hughes und Mrs. Patmore an den Ständen und Karussells vorbei. Bis ich ein Schild für das Tauziehen sah - und was noch wichtiger war: 'Geldpreise zu gewinnen!' stand in großen Buchstaben darunter. Da man mir nicht gerade übermäßig viel zahlte und der Tag heute sicher nicht günstig werden würde, erkannte ich meine große Chance. "Hier ist was für uns!", sagte ich laut und sah die anwesenden Männer fragen an, während ich Mrs. Hughes und Mrs. Patmore überholte. "Was sagt ihr? Einen Versuch ist es wert!" Breit grinsend sah ich alle Männer an - bis auf Thomas. Mit den Stallburschen zusammen würden wir das schon schaffen, schließlich waren wir alle keine Schwächlinge. Wir blieben vor dem Schild stehen und aus dem Augenwinkel erkannte ich, wie Thomas schräg hinter mir stand. "Ich bin dabei. Und sie, Mr. Barrow?", fragte einer der Hallboys. Ich schnaubte leise. "Ist das nicht zu rabiat für Mr. Barrow?", fragte ich nur - er würde genau wissen, was ich meinte.

Thomas
Jimmys Stimme riss mich aus meinen Gedanken. Er hatte das Tauziehen entdeckt und wollte allem Anschein nach mitmachen. Etwas unschlüssig ging ich hinter ihm und den anderen Männern her, als sie auf das Schild zugingen und sah überrascht auf, als man mich fragte, ob ich nicht auch mitmachen wollte. Ich wollte schon verneinen, als Jimmy sagte, Tauziehen sei zu rabiat für mich. Gefühle hin oder her, jetzt würde ich erst recht mitmachen. "Ich glaube, das bekomme ich hin", sagte ich lächelnd und reckte das Kinn etwas höher. Aus dem Augenwinkel sah ich Mrs. Patmore, die ihre dreckige Schürze gegen eine rosa Bluse, die ihr mehr denn je Ähnlichkeit mit einem Schwein verlieh, ausgetauscht hatte, mit einem recht kräftigen, wild gestikulierenden Mann reden, während Mrs. Hughes etwas verloren daneben stand. Mittlerweile hatte sich auch eine weitere Gruppe Männer beim Platz für das Tauziehen versammelt und mir ging der gleiche Gedanke durch den Kopf, wie Jimmy und den anderen vermutlich auch: Ob das hier gleich unsere Gegner sein würden.

Jimmy
Ich warf Thomas einen kurzen Blick zu - dass er mitmachte, konnte ich jetzt ja nicht mehr ändern. Außerdem ging es mir mittlerweile nur noch darum, zu gewinnen. "Dann los", meinte ich nur und hoffte, dass Thomas nicht direkt hinter mir stehen würde. Mit einem siegessicheren Grinsen führte ich die anderen auf den Platz, wo bereits unsere Gegner warteten. Diese musterten uns abschätzig. Ich grinste unbeirrt weiter und sah aus den Augenwinkeln zu Mr. Tufton, der laut auf Mrs. Patmore einredete. "Irgendwelche Nebenwetten, bevor wir beginnen?", fragte der Schiedsrichter laut, bei dem ich eben unsere Gruppe angemeldet hatte. "Wer wettet schon auf die?", fragte einer von unseren Gegnern. "Welche Quote geben sie uns?", fragte ich ganz beiläufig, denn der Schiedsrichter war ganz klar auf der Seite unserer Gegner. "10 zu 1", antwortete er. "Gut, 1 Pfund auf die Downton-Mannschaft", antwortete ich gleich und zückte mein Geld, was unsere Gegner nur zum Lachen brachte. Das Lachen wird ihnen gleich vergehen. Der Schiedsrichter hob das Seil an und wir nahmen alle unsere Positionen ein. "Fertig?", fing er an, aber ich unterbrach ihn. "Mr. Tufton? Sie kommen mit in unsere Mannschaft, oder? Als Downton-Lieferant?" Er machte genau das, was ich von ihm erwartet hatte - mit einem "Wenn sie wollen, mein Junge" zog er sein Jackett aus, reichte es Mrs. Patmore und ging unter den mittlerweile ziemlich wütenden Blicken unserer Gegner an das Ende des Seils. Um die Frauen zu beeindrucken hätte er wirklich alles gemacht. Der Schiedsrichter gab dann endlich das Startzeichen und ich zog so stark ich konnte.

Thomas
Jimmy warf mir einen nicht sonderlich begeisterten Blick zu, dem ich auswich und wir gingen zum Platz, wo das Seil bereitlag. Unter dem Lachen unserer Gegner, die leider nicht gerade wie Schwächlinge aussahen, wettete Jimmy ein Pfund auf unsere Mannschaft. Als der Schiedsrichter das Seil nahm, bekam ich schon leichte Panik, doch noch ehe wir loslegen konnten, allerdings geschickt nachdem bereits gewettet worden war, bat Jimmy Mr. Tufton in unsere Mannschaft. Ich konnte gar nicht anders, als zu grinsen – das war ein verdammt schlauer Plan. Meine Panik legte sich, denn mit einem Koloss wie Mr. Tufton in unserer Mannschaft hatten unsere Gegner kaum eine Chance. Das sahen diese anscheinend ähnlich, denn das Lachen war ihnen mittlerweile vergangen. Wir platzierten uns alle hintereinander am Seil und fingen an zu ziehen, als der Schiedsrichter das Startzeichen gab. Obwohl wir einen deutlichen Widerstand merkten und mir das Seil unangenehm in die Handflächen schnitt, konnten wir es schon nach kurzer Zeit auf unsere Seite ziehen – was wir vermutlich Mr. Tufton zu verdanken hatten.

Jimmy
Ich zweifelte keine Sekunde lang an unserem Sieg, aber ein Zuckerschlecken war es trotzdem nicht. Unter den Anfeuerungsrufen der Zuschauer und dem Brüllen des Schiedsrichters an die gegnerische Mannschaft, doch endlich stärker an dem Seil zu ziehen, schafften wir es. "Downton gewinnt!", schrie der Schiedsrichter. Die Menge jubelte und ich holte mir mit einem breiten Grinsen meinen Gewinn ab. Wir gratulierten uns alle gegenseitig - nur Thomas ließ ich aus Versehen aus. Der Tag hätte wirklich nicht besser beginnen können, denn jetzt hatte ich so viel Geld wie schon seit langem nicht mehr! Dem Spaß stand also nichts mehr im Wege. Während sich alle wieder verteilten - ich sah einige auf dem Karussell, Mr. Tufton und Mrs. Patmore gingen in Richtung der Schiffsschaukeln und einige waren bei den Spielen - ging ich zielstrebig auf den Bierstand zu. "Ich gebe eine Runde aus!", rief ich zu den bereits anwesenden Männern, die das mit einem Jubeln quittierten. "Und für dich auch eins, Schätzchen", fügte ich breit grinsend an die Bedienung hinzu, während ich mein erstes von vielen Biere heute Abend trank. Schließlich war ich jetzt ein reicher Mann.

Thomas
Als der Schiedsrichter schließlich unseren Sieg verkündete, brach – zumindest auf unserer Seite – allgemeiner Jubel los. Während unsere Gegner uns böse anschauten und sich gegenseitig Vorwürfe machten, gratulierten wir uns, wobei Jimmy mich noch immer ignorierte. Wahrscheinlich war das der ausschlaggebende Grund, weshalb ich nicht mit den anderen mitging, als sie den Bierstand ansteuerten. Ich hörte Jimmy noch verkünden, dass er eine Runde ausgab, während ich mich in die andere Richtung entfernte und mir alle Stände und Buden der Reihe nach ansah. Mein Blick ging trotzdem immer wieder zu Jimmy zurück, der nach einer Weile recht angetrunken wirkte. Besorgt runzelte ich die Stirn – wenn Mr. Carson ihn so sah, war das vermutlich sein letzter Ausflug auf eine Kirmes gewesen. Als ich mir alles angesehen hatte, entfernte ich mich etwas vom Rummel und setzte mich auf eine Bank in der Sonne. Aus der Ferne hörte ich noch Jimmy und die anderen, die am Bierstand mittlerweile recht laut geworden waren. Die Nase in die Wärme gestreckt, nickte ich irgendwann kurz ein. Verwirrt schreckte ich auf, als ich laute Stimmen hörte, aber diesmal waren es nicht die vom Bierstand. Sie waren weiter von der Kirmes weg. Und wenn mich mein Gehör nicht vollkommen täuschte, war da auch Jimmys Stimme dabei – wenn auch undeutlich. Ohne zu zögern stand ich auf und ging den Stimmen nach.

Jimmy
Aus einem Bier wurden mehrere und bald war eine regelrechte Menge hinter mir, der ich nur zu gerne ein Getränk spendierte. Den Rest der Kirmes nahm ich kaum war - ich bewegte mich nur von einem Getränkestand zum anderen. Und noch immer hatte ich mehr als genug Scheine in meiner Hand. Was für ein Triumph! Zu gern erinnerte ich mich an das Gesicht unserer Gegner, als sich Mr. Tufton bei uns einreihte. An einem Spielstand gab ich Daisy und einem anderen Küchenmädchen eine Runde aus, die das nur mit einem "Bist du betrunken?" und "Du solltest nicht so viel Geld ausgeben!" kommentierten. "Danke, Jimmy, das ist sehr großzügig", meinte ich nur sarkastisch, schließlich hatte ich das Geld fair gewonnen und durfte jetzt damit tun und lassen was ich will. Ab und zu rempelte ich jemanden an - warum liefen auch gerade so viele Leute genau in meinem Weg? Ohne es zu merken griff ich nach dem nächsten Bier, trank es in großen Schlücken aus und redete eine Weile laut mit den anderen hier am Stand - von denen ich keinen kannte, aber was machte das schon aus? Schließlich amüsierten wir uns prächtig. Auch wenn ich langsam verschwommen sah und mehr torkelte als ging und meine Haare wild in mein Gesicht hingen. Langsam drehte ich wieder eine Runde über die Kirmes. Ich hatte keine Ahnung, wie ich dorthin gekommen war - aber auf einmal war es nicht mehr voll und mein Kopf tat sich schwer damit, zu verarbeiten, dass ich nicht mehr auf der Kirmes war. Ich war unter irgendeiner Gruppe und erkannte nur unscharf, dass jemand auf mich zukam. "Wo willst du denn hin, mein Junge?", fragte er. "Geh mir aus dem Weg!", lallte ich nur, aber da hatte er mich auch schon am Kragen gepackt. Ich versuchte den Rückzug anzutreten, aber auf einmal stand auch hinter mir eine große Gestalt - die mich gleich von hinten packte und festhielt. Der andere Mann kam langsam auf mich zu, zog sein Jackett aus und ich wappnete mich schon für den ersten Schlag, während all meine Versuche mich loszureißen nichts nutzten.

Thomas
Eigentlich hatte ich genau damit gerechnet, denn deshalb hatte ich mich ja auf die Suche gemacht. Aber als die beiden kräftigen und sehr großen Männer, die Jimmy gepackt hatten, plötzlich vor mir standen, nachdem ich im Laufschritt um eine Ecke gebogen war, packte mich erst einmal Panik. Ich hatte mich noch nicht oft in meinem Leben geprügelt – ich teilte lieber verbal aus – und die wenigen Male in meiner frühen Jugend waren nicht unbedingt zu meinem Vorteil ausgegangen. Und gegen diese beiden Riesen konnte ich erst recht nicht viel ausrichten. Aber Jimmy konnte das ebenso wenig, denn allem Anschein nach war er stockbesoffen. Mir blieb also keine Wahl. Ohne weiter darüber nachzudenken, ging ich auf den Mann zu, der Jimmy von hinten festhielt und schlug ihm so fest ich konnte gegen die Schläfe. Geistesgegenwärtig ließ er von Jimmy ab, holte aber zum Schlag in meine Richtung aus. Ich wich ihm aus und duckte mich unter der Hand des anderen weg, während ich Jimmy "Lauf!" zurief, was er sich nicht zweimal sagen ließ. Mittlerweile hatte der größere der beiden Rüpel mich ebenso unsanft gepackt wie vorhin Jimmy und kurz darauf spürte ich einen Tritt in meine Rippen. Das hier konnte ich nicht allein schaffen – und Jimmy war weg, von ihm war keine Hilfe zu erwarten. Er würde sich eher eine Hand abhacken, als dem Mann zu helfen, der nachts plötzlich an seinem Bett gestanden hatte. Nicht, dass ich das nicht verstehen konnte. Der nächste Schlag traf mein Gesicht und ich spürte, wie warmes Blut aus meiner Nase tropfte. Sämtliche Versuche, den Schläger dazu zu bringen, von mir abzulassen, schlugen fehl, weil mir immer der jeweils andere zuvor kam und langsam aber sicher nahm das Pochen in meinem Kopf bedrohlich zu und meine Sicht war nur noch verschwommen. Wie sollte mich hier schon jemand finden?

Jimmy
Der Schlag kam nicht, stattdessen lösten sich die Arme von mir und ich taumelte nach vorn. Benommen nahm ich war, dass Thomas - Thomas? - sich auf einen der Männer gestürzt hatte und sie sich eine ordentliche Prügelei lieferten. Er schrie mir zu, dass ich weglaufen sollte und nach einem letzten Blick zurück rannte ich tatsächlich. Mit einem Mal war ich wieder nüchtern und rannte so schnell ich konnte über die Kirmes. Ich lief einen Haufen anderer Menschen um, wich nur knapp einem Tablett voller Getränke aus und betete nur jemanden zu finden, der mir helfen würde. Thomas wird gerade zusammengeschlagen, dabei solltest du an seiner Seite sein. "Doctor Clarkson!", schrie ich dann und hielt an einem Pavillon an. Selten war ich so erleichtert gewesen, eine bekannte Person zu erkennen. "Es ist Thomas, Sie müssen sofort kommen!" Er sprang sofort auf und lief mir nach. "Thomas wird von zwei Männern verprügelt", erzählte ich ihm vollkommen außer Atem, während wir den Weg zurück zum Tunnel nahmen. Wie aus dem Nichts kam Mrs. Hughes dazu und noch einige andere - anscheinend war es ziemlich auffällig, wie wir beide über den Platz liefen. Ich hatte wirklich Angst, was uns im Tunnel begegnen würde. Mittlerweile hatte ich Dr. Clarkson vorgelassen. Thomas saß mit blutigem Gesicht, einem tiefen Schnitt in der Wange und vollkommen fertig auf dem Boden an die Wand gelehnt. Von den zwei Männern war nichts zu sehen. Ich blieb am Rand stehen und sah vorsichtig zu ihm. Warum war er hier? Und warum hatte er mir so geholfen? In den letzten Monaten hatte ich ihn schließlich wie ein Stück Dreck behandelt. Thomas erwiderte meinen Blick und kurz meinte ich so etwas wie Überraschung darin zu sehen."Es ist nichts gebrochen", sagte Dr. Clarkson. "Also wird er wieder ganz gesund?", fragte ich vorsichtig. Der Doktor stimmte zu und ich war wirklich erleichtert. Schließlich hatte Thomas gerade die Schläge eingesteckt, die für mich gewesen waren.

Thomas
Ich hatte jegliches Zeitgefühl verloren und wusste nicht, ob die beiden Männer stundenlang oder nur ein paar Minuten auf mich einschlugen. Ich dachte schon, meine letzte Stunde hätte geschlagen, als einer von ihnen auch noch ein Messer hervorholte, aber dann waren plötzlich Schritte in der Nähe vernehmbar, die sich auf uns zubewegten. Sofort ließen die beiden von mir ab und rannten davon. Erschöpft ließ ich mich auf den Boden sinken. Eigentlich gefiel es mir nicht, dass sie jetzt frei da draußen rumliefen und womöglich noch mehr Menschen zusammenschlagen würden, aber mir blieb keine Wahl, in meinem Zustand schaffte ich es nicht, ihnen zu folgen und noch mehr Prügel einzustecken. Mein ganzer Körper tat weh – meine Rippen pochten, mein Kopf ebenso, meine Nase war ein blutiger Wasserfall und meine rechte Wange brannte wie Feuer. Gerade wollte ich mir Gedanken darüber machen, wie ich zu den anderen zurückkam und wie ich ihnen mein Äußeres erklären sollte, als mir wieder einfiel, wieso die beiden Schläger überhaupt weggelaufen waren – die Schritte. Bevor ich den Gedanken überhaupt zu Ende denken konnte, sah ich mindestens fünf Paar Beine in meinem Blickfeld. Ich schaffte es kaum, den Kopf zu heben, aber eines der Beinpaare senkte dankenswerterweise den Kopf zu mir – Dr. Clarkson? Er betastete mich, stellte ein paar Fragen und stand dann wieder auf, um mir ebenfalls hoch zu helfen. Beim Aufstehen wurde mir schwindelig, aber ich fühlte mich langsam etwas klarer im Kopf und außerdem imstande, mir die anderen Personen anzuschauen. Fast wäre ich wieder auf den Boden gesunken, als ich ausgerechnet Jimmy unter ihnen entdeckte. Dann gab es nur eine mögliche Erklärung – er hatte doch Hilfe geholt. Hätte mein Gesicht nicht bei jeder Bewegung wehgetan, hätte ich sicherlich gelächelt. Aber wegen meiner blutigen Nase beließ ich es bei einem Blick in Jimmys Richtung. Zum ersten Mal seit Wochen schaute er mich ebenfalls an, und er wirkte weit weniger selbstsicher als sonst. Fast, als hätte er sich Sorgen gemacht. Schnell verwarf ich den Gedanken wieder, ich hatte mich in dieser Hinsicht immerhin schon einmal gehörig getäuscht und es hatte zu einer Katastrophe geführt.

Jimmy
Ich war froh, dass jemand anderes Thomas stützte und Dr. Clarkson die Führung übernommen hatte. Denn ansonsten war alles hier meine Schuld. Die zwei Männer, die Thomas so übel zugerichtet hatten, waren nämlich aus unserer gegnerischen Mannschaft vom Tauziehen gewesen. Und vor denen hatte ich schließlich mit meinem gewonnenen Geld geprahlt. "Sind Sie bestohlen worden?", fragte Mrs. Hughes, während wir uns in Richtung der Bushaltestellte machen - denn dass der Ausflug vorbei war, stand außer Frage. Jedenfalls für mich. Als Thomas dann auch noch antwortete, dass sie alles genommen hatten, was er bei sich hatte, fühlte ich mich noch schlechter. Ich lief einige Schritte hinter ihnen und verhielt mich auch auf der Rückfahrt - der Busfahrer hatte nur kurz komisch geguckt - zurückhaltend. Ich setzte mich einige Reihen hinter Thomas, der von Dr. Clarkson gestützt wurde und ballte meine Hände zu Fäusten. Es schien ewig zu dauern, bis wir im Dorf aussteigen konnten und Dr. Clarkson Thomas mit ins Hospital nahm, um ihn zu versorgen. Schweigend lief ich hinter den anderen auf dem Rückweg her. Mrs. Hughes sah zwar kurz besorgt zu mir, redete dann aber mit Mrs. Patmore. Mir ging dagegen Thomas zusammengeschlagenes Gesicht nicht aus dem Kopf und dass er mich gerettet hatte. Warum nur?

Thomas
Zwei der Hallboys stützten mich, als wir uns auf den Weg zur Bushaltestellte machten, Jimmy war aus meinem Blickfeld verschwunden und Mrs. Hughes redete leise mit mir. Es war mir zwar peinlich, dass meinetwegen der Ausflug nun beendet war, aber mittlerweile wollte ich einfach nur noch in mein Bett. "Ja", antwortete ich und biss kurz die Zähne zusammen, weil ich beim Sprechen den Schmerz in der Wange wieder allzu deutlich spürte. Sofort setzte wieder ein Rauschen in meinem Kopf ein und ich meinte, Mrs. Hughes noch fragen zu hören, wie viel man mir geklaut hatte. "Jeden Penny, den ich bei mir hatte", seufzte ich resigniert, auch wenn das zum Glück nicht mein gesamtes Erspartes gewesen war. Dennoch – ich wurde nicht so gut bezahlt, dass dieser Verlust nicht schmerzte. Aber immerhin ist Jimmy verschont geblieben. Das Holpern im Bus machte meine Schmerzen nicht gerade bessern und ich war froh, als Dr. Clarkson, der mich mit ins Hospital nahm, ein Schmerzmittel verabreichte. Das allerdings machte mich entsetzlich müde, und erleichtert stellte ich fest, dass ich, nachdem er mich wieder auf Downton abgeliefert hatte, direkt ins Bett konnte. Es dauerte keine halbe Minute, bis ich eingeschlafen war.

Jimmy
Bevor auch nur irgendjemand anderes mit mir reden konnte, war ich nach oben in mein Zimmer verschwunden. Ich hatte ein furchtbar schlechtes Gewissen und nichts würde daran etwas ändern. Thomas war meinetwegen weggelaufen, weil ich zu feige gewesen und weggelaufen war. Und jetzt hatte er dafür bezahlt und anscheinend höllische Schmerzen. Erst zum Abendessen kam ich wieder nach unten. "Dr. Clarkson hat ihn vor einer Stunde aus dem Hospital gebracht. Er schläft jetzt dank der Schmerzmittel", antwortete Mrs. Hughes auf meine Nachfrage und das heiterte mich etwas auf. Während Mr. Carson und die anderen darüber redeten, dass es gar nicht zu Thomas passte, sich mit anderen zu prügeln, schwieg ich wieder und würgte mein Essen hinunter. Sie kamen zu dem Schluss, dass er wohl überfallen worden war und ich ließ sie in dem Glauben. Es würde nur noch mehr Fragen nach sich ziehen, wenn herauskam, dass er mich beschützt hatte und ich weggelaufen war. Kurz nach dem Essen entschuldigte ich mich wieder und ging gleich ins Bett, wo ich noch bis spät in die Nacht hinein wach lag und nachdachte. Thomas hätte das nicht für mich tun müssen. So wie ich ihn behandelt hatte, hätte ich die Schläge wohl sogar verdient. Am nächsten Morgen war ich mir sicher, dass ich mit ihm reden musste. Ansonsten würde mich mein schlechtes Gewissen noch in den Wahnsinn treiben. Mr. Carson schien ein wenig schlecht gelaunt zu sein, dass ich nun alleine war und die Arbeit wohl nicht komplett erledigt sein würde, bevor die Familie am Samstag zurückkam. Ich polierte allein die Unmengen von Silber, bis Mr. Carson in seinem Büro verschwunden war und ich unbemerkt nach oben gehen konnte. Vor Thomas' Zimmertür blieb ich stehen und atmete tief durch. Komm schon. Sei nicht so verdammt feige. Ich klopfte und ging dann hinein. Er sah noch immer mehr als übel zugerichtet aus. Ich konnte den Blick nicht von seinen blutigen Wunden und Kratzern im Gesicht und an den Armen abwenden.

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